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Beziehungsstreit Mein Partner, der Umweltsünder

Beziehungsstreit: Frau mit nachhaltigem Lebensmitteleinkauf
© j.chizhe / Shutterstock
"Ganz ehrlich: Wie schwer kann es sein, deine Zeitung ins Altpapier zu werfen?!", frage ich. Er nölt.
Wenn mein Ökoanspruch die Liebesbilanz killt.

Gestern war es wieder so weit. Ich habe echt gedacht, ich flippe aus, als ich unseren Restmülleimer öffnete und dort eine Amazon-Verpackung aus schönster Pappe vorfand, daneben einen Joghurtbecher, eine ausgelesene Zeitung und die gerade geleerte Chipstüte. Die, die sich jetzt fragen, was daran so schlimm ist, können gleich aufhören zu lesen, denn ich brauche Verständnis. Verständnis für die Dramatik dieser Situation. Nämlich dass der Mann, der eigentlich dieselben Werte wie ich teilen sollte, es ernsthaft fertigbringt, drei wunderschöne, sortenreine Ressourcen wie Pappe, Papier und Plastik ohne mit der Wimper zu zucken in den Restmüll zu schmeißen. Und ja, es ist so dramatisch, wie es klingt! Aber alles von vorn.

Hinter jeder Weltretterin steht ein Partner - der mit den Augen rollt

Als ich vor sechs Jahren anfing, auf nachhaltig umzustellen, und sich erste Festshampooteile auf der Duschablage stapelten, war die Welt noch in Ordnung. "Hey Schatz, ich hab dir eine Bambuszahnbürste mitgebracht", sagte ich damals. Heute ist es eher: "Ich schwöre, nächstes Mal hole ich die vollgeschmierte Zeitung aus der Tonne und lege sie dir aufs Kopfkissen!"

Denn wisst ihr, was einem die ganzen grünen Ratgeber und Insta-Accounts hinter den hübsch arrangierten Unverpacktbildern nicht sagen? Dass hinter jeder Weltretterin ein Partner steht – der mit den Augen rollt.

Ein paar Beispiele gefällig? Ich wollte nur noch bio kaufen, er sagte, dass sich das eine Familie mit zwei Kindern nicht leisten kann. Während ich kleine Ostergeschenke auf Flohmärkten stöberte, veranstaltete er Onlineshopping-Sessions und – was mich doppelt fertigmacht – ließ die Sachen nicht zusammen liefern, sondern: alle! einzeln! verpackt! Der Höhepunkt fand dann neben unserem Altglasstapel statt: Denn nachdem ich gelesen hatte, welche Todsünde es ist, Glas wegzuwerfen, durften noch nicht mal mehr Parfumproben in den Restmüll. Das klitzekleine Problem war nur, dass ich zu faul war, meine Ansammlungen auch mal zum Container zu bringen, und sie sich gefühlt überall in unserer Wohnung fortpflanzten. "Lisa, das ist total messiemäßig", sagte der Mann irgendwann, "ich werde das alles wegwerfen – und zwar OHNE es zu recyceln!" Es war dieser Beisatz, der seine Augen so richtig zum Funkeln brachte und mir klarmachte: Shit, mein Öko-anspruch killt unsere Liebesbilanz. Und wir sind damit anscheinend nicht die Einzigen.

Mülltrennung ist nur das kleinste Problem

Studien zufolge geht jede fünfte Partnerschaft aufgrund unterschiedlicher Gesinnung in die Brüche. Themen wie Klimapolitik, Erderwärmung (oder ob Letzteres überhaupt existiert) sorgen sicher bei vielen für Zündstoff. Als ich dann auch noch im Interview mit einer Scheidungsanwältin las, dass eine langlebige Ehe "einfach nur" gemeinsame Werte voraussetzt, wurde mir klar, dass Trennung – also zumindest die von Müll – bald mein kleinstes Problem sein würde.

Gott sei Dank kann mich da Paarcoach und Pressesprecher der "Psychologists for Future", Dr. Steffen Landgraf, etwas beruhigen: "Die Chance ist groß, dass Ihre Werte und Ideale gar nicht so weit auseinanderliegen, wie Sie vielleicht denken", sagt er, "sonst wären Sie wahrscheinlich gar nicht zusammen." Das entspannt mich etwas. Es ist nur: Menschen verändern sich doch auch. Was ist, wenn unsere unüberbrückbare Differenz Klimaschutz lauten wird? "Dann fragen Sie sich: Was verbindet Sie eigentlich? Auch in puncto Nachhaltigkeit", rät der Psychotherapeut. "In Konfliktsituationen kann man sich dann auf diese Gemeinsamkeiten zurückbesinnen."

Okay, Gemeinsamkeiten haben wir ja schon. Der Mann shoppt zum Beispiel gern auf Kleinanzeigen. Mehr noch: Er war es sogar, der mich vor Jahren überhaupt auf das Portal gebracht hat. Ich dachte zwar lange, dass es ihm dabei ums Geld- und weniger ums Ressourcensparen geht, aber vielleicht stimmt das gar nicht mehr. Erst neulich sagte er stolz, dass seine Universalfernbedienung aus der Nachbarschaft nur zwei Euro gekostet und er – Achtung – dadurch voll viel Verpackung gespart habe … Ich sollte hier wahrscheinlich mehr loben. Nur: Es macht mich einfach so fertig, wie langsam das alles geht. Wir sind so was von viel zu spät dran – ich, der Mann, die Regierung, einfach alle! Wie kann ich ernsthaft EINE Secondhand-Fernbedienung abfeiern, während wir alle weiter konsumieren wie blöd?! Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es ist nicht der langsame Mann, der mich nervt, sondern die viel zu langsame Politik! Und dass man uns ernsthaft bittet, den Planeten doch bitte am heimischen Mülleimer zu retten!

Wie doll beziehen Sie Ihren Partner eigentlich mit ein, wenn Sie Routinen im gemeinsamen Alltag ändern?

Meine zweite Baustelle wird mir dann von Zero-Waste-Coachin Marijana Braune offenbart, die die Frage aufwirft: "Wie doll beziehen Sie Ihren Partner eigentlich mit ein, wenn Sie Routinen im gemeinsamen Alltag ändern?" Ähm, erwischt, denke ich. Meist bestimme ich nämlich einfach: "So, unten steht jetzt eine Biotonne, da schmeißen wir jetzt jeden Krümel rein, auch wenn wir dafür fünfmal am Tag runterlaufen müssen." Ja okay, ich merk schon …

"Lisa", sagt der Mann dann in einem Moment, in dem wir uns mal nicht mit recyceltem Geschenkband an die Gurgel gehen, "du hattest dein Tempo, Nachhaltigkeit für dich zu entdecken. Gib mir jetzt bitte auch die Zeit dafür, du kannst das nicht einfach so über mich stülpen." Und damit wird mir der wohl wichtigste Punkt klar: Es sind ja nicht nur Bambuszahnbürsten und Altpapier. Es sind Einkaufsroutinen, die er verändern muss; es ist Zeit, die er dafür freischaufeln muss, sich zu informieren, sich einzulesen, Dinge zu verändern; und es ist Bereitschaft, täglich Umwege zu laufen – sei es zum Biomarkt oder eben zum Glascontainer. "Gewohnheiten zu verändern, braucht nun mal Zeit", sagt Paarcoach Landgraf. Zahlen und Fakten hingegen runterzubeten und davon auszugehen, dass das beim Gegenüber zum Umbruch führt, sei Quatsch. "Es nützt wenig, Menschen zu erklären, wie man ein Schiff baut. Man sollte sie lieber dazu bringen, vom Meer zu träumen. Dann bauen sie das Schiff von ganz allein."

Naaa gut. Dann also doch nichts mit Verschmierte-Zeitung-aufs-Kopfkissen und so. Stattdessen feiere ich jetzt den Milchaufschäumer, den der Mann bei Kleinanzeigen geschossen hat. "Für dich und deine Hafermilch", sagte er und drückte mir das Teil in die Hand. Und der Mülleimer? Sind wir mal ehrlich: Da muss ich jetzt einfach immer ein Auge zudrücken. Oder am besten gleich alle beide. Rät die Scheidungsanwältin sicher auch.

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