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Die deutsche Mode kommt aus der Provinz

Hier wird Mode gemacht: Wir besuchen die Kleiderbranche, wo sie wirklich zu Hause ist – eine Deutschlandreise von Herford bis nach Schorndorf.

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Drei Autostunden von Hamburg, Heimat der BRIGITTE, liegt: Herford. 64 000 Einwohner, Hochschule für Kirchenmusik, Fußgängerzone. Was aussieht wie ein altes Mädchengymnasium, ist Sitz des Modeunternehmens Brax. 275 Millionen Umsatz, wachsend. Kaum sind neue Räume fertig, wird angebaut. Die Logistik liegt schon hinter der Eisenbahnunterführung. Endlosreihen farbiger Jeans schlängeln sich auf Bügeln hängend rauf ins Lager oder runter zu den Lkw. Auf einer kleinen Bühne dreht sich ein Mann, zwei Frauen zuppeln engagiert an seiner Hose rum – Passformkontrolle. „Wir sind die Einzigen, die Passformsicherheit garantieren“, erklärt Geschäftsführer Wolfgang Drewalowski, 63. „Bei Damen und Herren. Gerade Männer haben wenig Lust aufs Shoppen. Wenn die ihre Form gefunden haben, kaufen sie die auch in Beige, Blau, Grün.“ Als ehemals reiner Hosenspezialist sieht sich Brax heute bei „Premium-Casual“: Hosen, Oberteile, Strick. „Für unsere Stores ist das ganze Sortiment wichtig“, sagt der Chef und eröffnet jeden Monat weltweit einen neuen. Und das Geheimnis des Erfolgs? Laut eigener Marktforschung sind es vor allem Qualität, pünktliche Lieferungen und Berechenbarkeit – das schätzen die Geschäftspartner an deutschen Unternehmen.

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120 000 Menschen leben bei uns von der Textilindustrie, die jährlich 20 Milliarden Euro Umsatz macht. Deutsche Top-Unternehmen liegen vor denen aus Italien und Frankreich, wer hätte das gedacht? Die großen Namen sind in der Provinz zu Hause – Hugo Boss in Metzingen, Adidas in Herzogenaurach. „Mit beiden Füßen am Boden, einen anständigen Job machen und seine Kunden mit guten Produkten überzeugen – das ist ostwestfälisches Unternehmertum.“ In diesen Tugenden sieht Achim Tischer das Rezept. Der 41-Jährige ist Geschäftsführer von Tamaris, einer Gesellschaft des internationalen Schuhproduzenten Wortmann in Detmold. 60 Millionen Paar Schuhe schickt der Konzern jährlich von hier in 70 Länder. Herzstück dieser Meisterleistung ist „Europas größter Schuhschrank“, ein vollautomatisches Logistikzentrum, in dem Riesenkräne selbständig die Lieferungen in alle Welt zusammenstellen. Jedes Jahr mehr. „Bei Schuhen ist ein neues Bewusstsein gewachsen“, sagt Tischer. „Unsere Kunden wünschen eine möglichst unendliche Auswahl und das perfekte Preis-Leistungs-Verhältnis.“

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Anspruch und Rhythmus haben sich auch in der Bekleidung durch Ketten wie Massimo Dutti und Zara verändert: hochwertige Erscheinung, kleine Preise, ständig neue Ware. Das Modelabel Comma, Konzerntochter von s.Oliver aus dem unterfränkischen Rottendorf, spielt seit 2002 in dieser Liga mit: 12 Kollektionen pro Jahr. Heute ist „Kollektionstag“. Die Designerinnen präsentieren den Vertrieblern ihre Ideen, es wird diskutiert – und viel gelacht. Das Team ist jung und motiviert. In drei Jahren hat sich der Umsatz verdreifacht.

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„Wir sind ein bisschen wie Borussia Dortmund“, sagt Chefin Sonja Blömker, 45. „Es wird miteinander gearbeitet und füreinander gerannt. Es gibt keine Stars, der Trainer ist nahbar, alle haben Spaß.“ Weil sich so etwas rumspricht, ist es leicht, Nachwuchs zu locken. Trotz des Standorts. Rottendorf wird „s.Oliver-Village“ genannt, größte Attraktion: die Outlet-Meile. „Nur wer sich nicht rechtzeitig informiert, wohnt hier. Ansonsten leben wir alle in Würzburg“, sagt Sonja Blömker. „Das liegt 20 Minuten entfernt“, fügt Geschäftsführer Armin Fichtel, 54, hinzu, „ist eine schöne alte Studentenstadt und hat südländisches Flair.“

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Weiter nach Süden: Schorndorf, nahe Stuttgart. Weinberge, hübsche Altstadt. Hier lebt Miriam Lehle, 30. Ihr Label Prose besteht aus ihr selbst, zwei weiteren Modedesignerinnen – und einem Neufundländer. In der „Alten Lederfabrik“ teilt sie sich mit ihrem Freund, einem Fotografen, ein Loft. Ihr Atelier ist voll mit Schneiderpuppen, Stoffen und Fundsachen, die sie verarbeitet. Sie trennt altes Ledergeflecht zu fransigen Volants auf oder experimentiert mit Tüll und Rost. 2008 zählte sie mit ihrem romantischavantgardistischen Stil beim Modefestival im südfranzösischen Hyères zu den Siegern, gewählt von Design-Stars wie Haider Ackermann und Ricardo Tisci. Das öffnete ihr die Türen zur London Fashion Week, wo sie eigene Shows hat. Und nach Paris, wo sie ihre Mode verkauft. Leben möchte sie dort nicht. „Hier in Schorndorf sind die Leute, die ich liebe, hier bekomme ich die Inspiration“, sagt sie. Lebensqualität führt zu Kreativität. In der Provinz gibt es beides. Schwäbische Alb, Teletubbie-Land: runde Hügel, manchmal mit Burg obendrauf. Joachim Hahn, 62, leitet in Albstadt den Wäschehersteller Mey. Er ist hier geboren. Wie die meisten der 500 Mitarbeiter.

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Von der verglasten Kantine aus sieht man nichts als Grün. „Wir sind hier aber nicht allein“, sagt Hahn. „In dieser Region gibt es ein Umfeld aus Zulieferern, Maschinenfabriken und Stoffveredlern, das traditionell unserem Metier verbunden ist.“ Vor 84 Jahren fingen die Meys mit einer einzigen Strickmaschine an. Nach den zwei Weltkriegen brauchten die Leute einfach Wäsche. „Egal was, sie haben es gekauft.“ Als in den 60er Jahren Massenware in die Discounter kam, setzte Mey auf Qualität. „Das heißt nicht nur Haltbarkeit. Qualität ist auch maßgeblich fürs Wohlbefinden.“ Damit nichts zwickt und sich die Wäsche angenehm oder am besten gar nicht anfühlt, wird vom Stoff bis zum Design alles selbst probiert, entworfen, genäht, der Nachwuchs ausgebildet und übernommen. Alles in Deutschland – das gibt es nicht mehr oft. „Und der ganze Aufwand für ein Produkt, das man eigentlich nicht sieht.“ London, Mailand, Paris, Berlin? Während der Fashion Weeks sind sie der Nabel der Modewelt. Was uns täglich anzieht, kommt aus Herford, Detmold, Rottendorf, Schorndorf, Albstadt – und vielen Metropölchen mehr.

Fotos: Dominik Asbach Text: Jan Gritz Ein Artikel aus BRIGITTE Heft 15/2012

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