Beth Ditto: Die Super-Size-Woman im Interview
Sie ist für ganze 24 Stunden in der Stadt. Beth Ditto, die amerikanische Sängerin mit der großen Stimme und den gewaltigen Kurven, gastiert eine Nacht im Berliner "Soho House". Nicht, weil sie mit ihrer Band Gossip ein Konzert geben wird. Der Grund ihrer kleinen Deutschland-Tournee ist Mode. Als Plus-Size-Star hatte sie schon Gastauftritte auf den Laufstegen von Marc Jacobs und Jean Paul Gaultier. Und hier hängt nun ihre erste eigene Übergrößen-Kollektion aufgereiht auf zwei Kleiderstangen von den Fenstern einer Suite im dritten Stock des Hotels. Draußen Berliner Torstraßengrau, drinnen bunte Kussmünder und Karomuster, die auf Kleidern und Jumpsuits herumtanzen. Und mittendrin Beth Ditto, 35 Jahre alt, knapp 1,60 Meter groß, kugelrunder, geballter Sexappeal. Sie trägt einen schwarzen, taillenhohen Tulpenrock, das cremeweiße Loch-T-Shirt ist in den Bund gesteckt, die Füße zieren getupfte Pin-up-Girl-Söcken und Plateausandaletten aus hochglänzendem Lack. Es ist 10.40 Uhr am Vormittag und Beth Ditto ist beschäftigt. Sehr beschäftigt. Mit Nadel und Faden bewaffnet steht sie an der Kleiderstange und repariert die Schulternaht eines Overalls. Ihre Kollektion ist auf bethditto.com erhältlich.
BRIGITTE: Mrs. Ditto, Sie können ja tatsächlich nähen ...
Beth Ditto: Yeah, klar. Ich kann auch richtig gut häkeln, das hat mir meine Tante beigebracht. Früher habe ich viele meiner Klamotten nach meinen Ideen abgeändert, weil das, was es zu kaufen gab, nicht besonders spannend war - und auch immer mit Scham verbunden. Man, das wollte ich immer: Irgendwo reinkommen und alles haben können, ohne es selber machen zu müssen.
Jetzt sitzen wir vor einer Kollektion, die bei Größe 42 losgeht. Wie wichtig ist da das Thema Pfunde wegschummeln?
Es geht nicht darum, zu versuchen, jemanden dünner aussehen zu lassen, sondern darum, einen anderen Shape zu kreieren. Alle meine Kleider haben eingearbeitete Taschen, damit eine coole Form entsteht und man sich nicht ausgeliefert fühlt. Auch der Rücken ist besonders geschnitten. Ein Mädchen in München hat gestern ein Kleid angezogen und sagte: Oh, ich habe ja einen Hintern!
Sehen Sie sich mit Ihrem sexy Stil als Vorreiterin eines neuen Selbstbewusstsein für kurvige Frauen?
Ich weiß nicht, ob ich die Anführerin bin. In meiner Szene gab es früher viele Frauen, die so aussahen wie ich. Es war eine verrückte Punkrock-Feministen-fast-Homosexuellen-Bewegung, in der es darum ging, den weiblichen Körper in all seinen verschiedenen Formen zu akzeptieren. Jetzt fangen die Leute an, uns ernst zu nehmen. Jetzt sind wir tatsächlich im Mainstream angekommen.
Und wie ist es so, als Punk in der Mainstream-Mode?
Lustigerweise habe ich gleich eine Abfuhr kassiert, weil meine Kollektion angeblich zu teuer ist. Aber ich kann keine Highstreet-Mode machen, wo alles 20 Dollar kostet. Gerade, wenn man etwas für Leute macht, die bigger sind, ist die Qualität wichtig. Bei uns ist alles gefüttert, damit man keine Unterkleider drunter tragen muss. Und dieser Jumpsuit hier besteht aus fast sieben Metern Seide. Wenn dir das zu teuer ist und du wirklich Punk sein willst, klau dir die Sachen doch. Das hätte ich zu einer bestimmten Zeit in meinem Leben auch so gemacht.
Rückblickend auf Ihre Karriere und den Song "Heavy Cross" von 2009, mit dem Sie international durchstarteten: Würden Sie sagen, dass Sie für Ihren Erfolg härter kämpfen mussten, weil sie eine Frau sind, lesbisch und keine Größe 36 tragen?
Natürlich! Die Leute fragen mich immer noch, ob ich mich als Fetischobjekt oder Randerscheinung fühle. Ich sage: ja, manchmal. Aber ich habe immer versucht, es für die anderen Mädchen einfacher zu machen. In den letzten zehn Jahren hat eine unglaubliche Veränderung stattgefunden im Verhältnis von Frauen zu ihrem Körper. Denken Sie nur an Sängerinnen wie Adele oder Brittany Howard von Alabama Shakes. Ich habe dieses Jahr die Grammy Awards angeschaut, und da waren vier fette Frauen - das hätte es, als ich 25 war, niemals gegeben. (Beth sagte wörtlich: "fat women". Beth darf das.)
Was hat Sie so stark gemacht, dass Sie herrschende Schönheitsideale einfach umkippen konnten?
Ich denke, die Tatsache, dass ich in einem Haus voller Kinder aufgewachsen bin, in Armut, mit einer richtig coolen Mutter. Da entwickelt man Empathie und den Willen, hart zu arbeiten. Außerdem komme ich aus der Punk-Szene. Da geht es darum, gemeinsam gegen etwas zu rebellieren. Das Prinzip der Sisterhood, wir machen das zusammen.
Schönes Bild!
Ja, was würde ich ohne Sisterhood tun? Deswegen macht es mich auch so traurig, an einigen Kommentaren auf meinem Instagram-Account zu sehen, wie ausgerechnet die dicken Mädchen untereinander gemein zu sich sind. Da sollte es nicht hingehen. Frauen, seid nicht so dumm, seid nicht so engstirnig, helft euch gegenseitig!