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Olena Selenska auf dem Vogue-Cover Wie politisch darf Mode in Zeiten des Krieges sein?

Olena Selenska in Washington, DC.
Olena Selenska in Washington, DC.
© SAUL LOEB/POOL/AFP / Getty Images
Olena Selenska ziert das Cover der Vogue. Es sind atemberaubende Fotos, die bei Redakteurin Hannah ein kleines Gefühlschaos auslösen.

Wie politisch darf Mode eigentlich sein? Wie politisch darf Mode vor allem in Zeiten des Krieges sein? Diese Gedanken schießen mir durch den Kopf, als ich das aktuelle Cover der Vogue anschaue.

Es handelt sich um Fotos der First Lady der Ukraine, Olena Selenska, 44. Sie blickt mit ernstem Blick in die Kamera. Sie sitzt auf einer großen Marmortreppe, hinter ihr sind Sandsäcke zu sehen. Ihre Haare sind in perfekten Locken gestylt, ihre Hände hält sie verschränkt. Mein Kopfkarussell beginnt.

Aufgeregt und mit einer Art Ehrfurcht schaue ich mir die weiteren Fotos des Shootings an, auf denen auch Präsident Wolodymyr Selenskyj, 44, zu sehen ist. Auf einem Foto hält er seine Olena fest im Arm. Auf einem anderen sitzen sie an einem Tisch, halten Händchen. Selenskyj sitzt auf einem grünen Ledersessel. Es ist ein schicker Sessel, der mir direkt bekannt vorkommt. Und mich betrübt macht. Es ist der Sessel, in dem er immer sitzt. In dem er Russland auffordert, den Krieg zu beenden. In dem er den Westen um Unterstützung anfleht. In dem er immer und immer wieder mitteilt, dass Menschen ums Leben gekommen sind.

Aus Ehrfurcht wird Unbehagen

Während ich bei den ersten Fotos Respekt und Ehrfurcht empfinde, kippt meine Stimmung beim Betrachten des dritten. Darauf zu sehen ist Olena Selenska, die in einem Designermantel vor etwas, das nach einem zerschmetterten Flugzeug aussieht, posiert. Neben ihr stehen zwei Soldaten in Uniform. Selenska selbst sieht dabei top gestylt aus, und das natürlich nicht zufällig: Hinter den Fotos steckt ein über zehnköpfiges Team – eine Stylistin, zwei Styling-Assistentinnen, Make-up-Artistin, Hair-Stylistin und so weiter und so fort.

Und hier beginnt mein Problem: Wie entstehen solche Fotos in Zeiten des Krieges? Ich stelle mir Szenen vor, in denen der schicke Designermantel noch fix entfusselt werden muss, der Soldat gebeten wird, ein kleines Stück nach rechts oder links zu rücken, damit das Foto perfekt ist, und drei Assistent:innen das Licht so drehen, dass eine dramatische Atmosphäre entsteht. Und das alles vor der Kulisse der puren Zerstörung. Was im ersten Moment nach einem dramatischen Set aussieht, ist tatsächlich der zerstörte Flughafen Hostomel. Ein symbolträchtiger Ort. Ein Kriegsschauplatz. Keine Kulisse, kein erfundenes Szenario. Es ist ein Ort, an dem zahlreiche Menschen ihr Leben gelassen haben. Ein Ort, der für viele der Anfang vom Ende war. Das unangenehme Verschmelzen der Kreativität eines Fotoshootings und der brutalen Realität lässt sich bei dem Betrachten dieser Fotos nicht mehr verleugnen.

Und hier frage ich: Wie perfekt inszeniert dürfen Fotos wie diese sein? Einen Krieg modisch inszenieren? Makaber oder wichtiger denn je?

Ich verliere mich in den Kommentaren

Neugierig widme ich mich den Kommentaren in den sozialen Netzwerken und frage mich, ob ich die Einzige bin, in der die Fotos Unbehagen auslösen. Während ich also durch die Kommentare scrolle, bleibe ich neben allerlei negativer oder posititver Kommentaren, die zu erwarten waren, vor allem bei einem Satz hängen: 

War But Make It Fashion!?

Ein fieser Kommentar, der aber irgendwie genau das beschreibt, was mir durch den Kopf geht: Brauchen wir wirklich ein über-inszeniertes Fotoshooting, während Menschen sterben? Naja, in der Vogue möchte ja auch niemand eine gestresste, müde aussehende First Lady, die einfach nur Angst um ihr Land hat, sehen. Oder vielleicht eben doch?

Dieser Artikel ist ursprünglich auf Gala.de erschienen

Brigitte

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