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Topmodel Alina Baikova "Ich würde lieber arm sterben, als über die Lage in meinem Heimatland zu schweigen"

Topmodel Alina Baikova im BRIGITTE-Interview.
Topmodel Alina Baikova im BRIGITTE-Interview.
© Adobe Stock / Getty Images
BRIGITTE spricht dem ukrainischen Topmodel Alina Baikova über den Drahtseilakt zwischen Mode, politischer Verantwortung und dem Krieg in ihrem Heimatland.

Mit fast vier Millionen Follower:innen auf Instagram und Kunden wie Christian Dior, John Galliano und Vivienne Westwood ist Alina Baikova das erfolgreichste Model, das die Ukraine in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Doch seit Beginn des Krieges in ihrem Heimatland hat sich das Leben der 35-Jährigen drastisch verändert. Sie nutzt ihre Plattform vermehrt für politischen Aktivismus und setzt ihre Karriere damit regelmäßig aufs Spiel. Doch wie relevant ist Mode eigentlich noch in Zeiten von Krieg? Wir sprechen mit dem Topmodel über den Kontrast zwischen Glitzer, Glamour und purer Zerstörung.

Alina Baikova im BRIGITTE-Interview

BRIGITTE: Wie hat der Krieg in Ihrem Heimatland Ihr Berufsleben beeinflusst? Wie unterscheidet sich ein Tag am Set heute im Vergleich zu vor zwei Jahren, fühlt es sich anders an?

Alina Baikova: Mein Berufsleben endete praktisch nach dem letzten Cannes Film Festival. Hier wollte ich meine Stimme nutzen und natürlich etwas provozieren und trug ein Kleid mit der Aufschrift "F*ck Putin" auf dem roten Teppich. Kunden fingen kurz darauf an, mich aufzufordern, mich politisch zurückzuhalten oder mir zu sagen, der Krieg sei "nur Politik". Mir wurde dadurch klar, dass viele Menschen einfach nicht verstehen, was der Krieg mit unserem Leben macht. 

Wie gehen Sie mit so einem Feedback um?

Es ist schockierend, dass die Modeindustrie behauptet, unpolitisch zu sein, obwohl sie eine mächtige Stimme hat. 

Sie sollte nicht nur Modetrends diktieren, sondern auch ihre Macht nutzen, um Haltung, Handlungen und Worte zu beeinflussen. Viele Menschen haben Vorbilder in der Modewelt, doch wie kann man ein Vorbild sein, wenn man sich nicht mit dem Weltgeschehen beschäftigt und Haltung zeigt?

Alina Baikova beim Cannes Filmfestival 2023.
Alina Baikova beim Cannes Filmfestival 2023.
© imago images

Also hat die Modeindustrie Ihrer Meinung nach die Verantwortung, soziale und politische Themen anzusprechen?

Absolut! Berühmte Menschen haben eine starke Stimme, auch in der Modebranche. Nur Fotos zu machen und hübsch zu sein, reicht in aktuellen Zeiten meiner Meinung nach nicht aus und sollte nicht bewundert werden. Menschen mit Einfluss müssen aktiv werden und ihre Stimme erheben. 

Das Schweigen wichtiger Menschen über politisches Geschehen gibt Politiker:innen mehr Macht über uns. 

Alle Politiker:innen fürchten berühmte Menschen, da diese mehr Anhänger haben und daher mehr Macht besitzen, als sie es im Zweifel tun. Die Gesichter der Modebranche sollten sich also zu relevanten Themen äußern und nicht nur auf aktuelle Hypes aufspringen.

Was inspiriert Sie, trotz der aktuellen Herausforderungen in der Modebranche weiterzuarbeiten? Hinterfragen Sie die Relevanz der Branche?

Meine starken Moralvorstellungen lässt mich Teile der Branche immer mehr hinterfragen. Natürlich müssen wir alle Rechnungen bezahlen und Familien versorgen, aber ich entscheide mich, auch in schwierigen Zeiten an der Wahrheit festzuhalten. Leider schließen viele ihre Augen vor der Realität. Für einige passe ich momentan daher nicht mehr in die Modewelt, was mir mein Herz bricht.

Sie sind sehr aktiv in sozialen Medien und auch in der Öffentlichkeit, wenn es um aktuelle politische Themen geht. Waren Sie schon immer so mutig oder hat sich diese starke Stimme im Laufe der Jahre entwickelt?

Ehrlich gesagt, hatte ich keine andere Wahl. Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Krieg in meinem Land Realität ist. Mein ganzes Volk musste seine Häuser verlassen, auf den Böden in Europa schlafen und wurde als Flüchtlinge bezeichnet. Meine Familie musste in den ersten Kriegstagen fliehen, und ich hatte panische Angst, den Kontakt zu ihnen zu verlieren und dachte oft, sie könnten irgendwo bombardiert worden sein. Ich war immer aktiv und politisch engagiert und war zu Beginn des Krieges die bekannteste Ukrainerin weltweit. Der Druck meines Volkes war groß. Ich verstand meine Rolle in diesem Krieg – ich konnte mein Land nicht im Stich lassen.

Wie gehen Sie mit negativer Kritik oder Rückschlägen um, die aus Ihren politischen Aussagen resultieren könnten?

Ich habe Arbeit verloren, was schmerzhaft war, aber es gab mir die Gelegenheit, mein Talent und Wissen anderweitig zu nutzen und mich persönlich weiterzuentwickeln. Das ist etwas, was in der Modebranche vorher nie wirklich gefordert war. 

Ich würde lieber arm sterben oder härter arbeiten und etwas Neues anfangen, als über die Lage in meinem Heimatland zu schweigen, nur um weiterarbeiten zu können.
Rdnt By Andre TanSpring Summer 202
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© Launchmetrics.com
Brigitte

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