Anzeige

Wie Shanghais Frauen mühsam nach einem Ehemann suchen

Chinesische Businessfrau am Wasser
© elwynn / Shutterstock
Für die Liebe haben die jungen Frauen in Shanghai keine Zeit. Sie machen Karriere, sind plötzlich 30 - und damit in China fast zu alt zum Heiraten. Also müssen pragmatische Lösungen her. Und dazu gehören auch ungewöhnliche Dating-Regeln.

Auf dem Tisch vor ihr liegen: ein Personalausweis, eine Gehaltsabrechnung und ein Hukou, die Wohnsitzberechtigung für die Stadt Shanghai. Wenjing Li sieht sich alle Papiere an, dann schiebt sie sie mit gespreizten Fingern über den Tisch, zurück zu dem jungen Mann ihr gegenüber. Wenjing lächelt verlegen. "Nicht nötig, ich glaube dir auch so." Wenjing Li ist 26 Jahre alt, trägt gelbe Hotpants und silberne Highheels, und dies ist ihr erstes Date mit Weidi, dem Nachbarssohn ihrer Eltern. Die Enttäuschung hat sich bereits nach der Vorspeise - marinierte Hühnerfüße und Kürbis-Pickles - in ihr hübsches Gesicht geschrieben. Unromantischer könnte ein Date nicht verlaufen. Nicht wegen der Bescheinigungen; aber Weidi habe sie kein einziges Mal zum Lachen gebracht, klagt sie danach: "Er hat so wenig geredet. Und dann diese Frisur!" Immerhin will er vertraglich zusichern, dass er sich im Falle der Eheschließung keine Geliebte nehmen wird, das hat er ihr erzählt, und das hält sie ihm auch zugute. Aber das genügt Wenjing nicht. Ein bisschen, ein klitzekleines bisschen Kribbeln hätte ihr ja schon gereicht. "Ist das zu viel verlangt?"

"Ich hab den idealen Mann für dich!", hatte ihre Mutter ein paar Tage zuvor ins Telefon gebrüllt. "Regierungsangestellter, Jahrgang 84, ernste Absichten, gute Familie. Die Eltern wollen euch sogar eine Wohnung kaufen." Wenjing hatte kurz überlegt. Eine eigene Wohnung, das klang gut, dann müsste sie nicht zu seinen Eltern ziehen, wie sonst häufig üblich bei jungen Paaren in China. Außerdem genießen Staatsbeamte hohes soziales Ansehen, sie gelten als gebildet und als pflichtbewusste Ehemänner, weil ihre Karriere eng an den Familienstand gekoppelt ist: keine Ehefrau, keine Beförderung. Hinzu kommen ein gesichertes Einkommen, Kranken- und Rentenversicherung und zahlreiche soziale Vergünstigungen, kurz: ein gutes Leben in der mittleren bis oberen Gesellschaftsschicht. Wenjing sagte einem Treffen zu.

Wenjing ist eine typische Großstadt-Chinesin: jung, modern, sie spricht fließend Englisch, hat studiert, viele Freunde, ein Handy mit Klimperanhängern und einen gut bezahlten Job als Chinesischlehrerin in einer internationalen Sprachenschule. Aber es fehlt der passende Mann. "Während des Studiums haben mir meine Eltern verboten, Männer zu daten", sagt sie. "Danach sollte ich mich auf die Karriere konzentrieren. Und jetzt?" Sie verzieht die Lippen zum Schmollmund. "Woher soll ich einen Mann zaubern? Ich arbeite bis spät abends, und meine Kollegen sind alle Frauen."

Ihre größte Angst ist, als "Sheng Nu" zu enden. Wörtlich übersetzt heißt das: übriggebliebene Frau. Frei übersetzt: alte Jungfer. Frauen um die 30, selbstbewusst, erfolgreich und finanziell unabhängig. Eine Art Carrie Bradshaw auf Chinesisch - also das, was man bei uns eine tolle Frau nennen würde. Ihre Zahl wächst, in Peking leben 500 000 unverheiratete Frauen über 25, in der 19-Millionen-Metropole Shanghai ist die Zahl fast doppelt so hoch. In keiner anderen Stadt Chinas besetzen mehr Frauen Spitzenpositionen in der Wirtschaft oder gründen eigene Unternehmen. Aber je erfolgreicher eine Frau ist, umso schwerer findet sie einen Mann. Denn kaum ein Chinese würde eine Frau heiraten, die mehr verdient, ein teureres Auto fährt, die älter, größer oder ihm sonst wie überlegen ist. "Tore und Fenster müssen einander entsprechen", lautet ein Sprichwort.

Wenjing sagt: "Ich will mehr vom Leben haben, als meine Mutter hat. Ich will das Bestmögliche. Und deshalb will ich auch den bestmöglichen Mann." Einen Mann aus Shanghai, gebildet, gut aussehend, Nichtraucher, aufrichtig, sicherer Job, gutes Einkommen, eigene Wohnung, durchsetzungsstark, gesellschaftlich anerkannt, tierlieb und auch kinderlieb. Darüber hinaus soll er wenigstens ein klein wenig Kribbeln im Bauch verursachen.

Durch Zufall oder Blickkontakt in der U-Bahn oder im Café findet man solche Männer in China nicht. Die wenigsten Chinesen flirten einfach so auf der Straße mit fremden Frauen, und wenn es doch einer wagte, käme er für Wenjing nicht mehr in Frage. "Wer Interesse an mir zeigt, ohne Hintergrund-Informationen über mich zu haben, kann es nicht ernst meinen." Außer der Familie oder Freunden helfen immer häufiger professionelle Agenturen bei der Partnersuche. Vor allem im Internet. 140 Millionen Chinesen, schätzt die Marktforschung iResearch, suchen dort derzeit einen Partner. Es gibt eigene Partneragenturen für Millionäre und für zurückgekehrte Übersee-Chinesen. Und virtuelle "Date-Doktoren", die Tipps vom Styling bis zum Flirt-Verhalten geben und bei Bedarf auch zündende Date-Smalltalk- Themen fürs erste Treffen erarbeiten. Wenjings letzte Beziehung hat ihr eine Freundin vermittelt. Sie hielt wegen "kultureller Differenzen" nur ein Jahr. "Das hat man davon, wenn man sich auf einen Randgebiet-Shanghainesen von der anderen Flussseite einlässt", sagt sie. "Er wollte, dass ich den ganzen Tag zu Hause bleibe und den Haushalt übernehme!"

Jetzt, da die Sache eilt, weil Wenjing auf die 30 zugeht, übernimmt ihre Mutter die Angelegenheit. Sicher ist sicher. Dafür stellt sie sich samstags auf den öffentliche Heiratsmarkt und hält ein Foto samt Steckbrief ihrer Tochter hoch. Wenn das nicht hilft, wird sie Wenjings Schicksal vertrauensvoll in die Hände von "Tante Fan" legen.

Die ehemalige Lehrerin Fan Benliang veranstaltet samstags in einem Teehaus in Shanghai-Pudong einen stadtbekannten Dating-Salon, der nach sehr pragmatischen Regeln funktioniert: Pünktlich um drei Uhr stellen sich die ledigen Bewerber in eine Schlange und betreten dann einzeln eine kleine Bühne, um sich vorzustellen. Wer sich für den Kandidaten interessiert, meldet seinen Wunsch bei Fan Benliang an, die daraufhin ein spontanes Mini-Date arrangiert. Nach fünf Minuten vergeben beide füreinander ihre Punkte. Anhand der Punktkarten versucht Tante Fan später, passende Puzzleteile zueinanderzufügen - für ein richtiges Date. Auf ihrem Frauen-Stapel liegen derzeit 1100 Bewerberinnen, auf dem der Männer nur 400. "Die Frauen sind zu wählerisch", klagt Frau Fan. "Sie wollen nur A-Klasse- Männer mit bester Bildung und hohem sozialem Status. Aber sie kümmern sich zu lange nur um die Karriere. Mit Ende 20 werden sie dann panisch. Aber die AKlasse- Männer wollen keine alten Frauen, sondern junge und möglichst hübsche." In vier Jahren kam es mit ihrer Hilfe nur zu zehn Eheschließungen. Trotzdem ist ihr Salon jeden Samstag voll.

Weiwei Zhang, 25, hat vor einigen Monaten ihren Job als PR-Beraterin gekündigt und konzentriert sich nun ganz auf die Männerjagd. Sie entspricht ziemlich genau dem Typ, von dem chinesische Männer träumen: zerbrechliche Figur, Porzellanteint, schmales Kinn, große Augen mit Lidfalte - ein Statussymbol, für das sich viele Frauen unters Messer von Schönheitschirurgen legen. Trotzem ist sie allein. Sie nuckelt an einer Evian-Import-Wasserflasche, auf ihrem Schoß hat sie eine Louis- Vuitton-Tasche. "Sieben Männern wurde ich schon vorgestellt", seufzt sie. "Es ist ziemlich ermüdend." Sie fächert sich mit der Hand Luft aus der Klimaanlage zu.

Um zu verstehen, was Weiwei Zhang durchmacht, muss man den Szenenaufbau des chinesischen Kuppeltheaters kennen. Erster Akt: unverbindliches Vorstellen in der Gruppe beim Abendessen, Karaoke-Singen und Ähnliches. Bei guter Performance, gegenseitigem Interesse und folgendem SMS-Kontakt findet ein Date zu zweit statt. Wenn dabei harte Fakten, wie zum Beispiel eine Wohnsitzberechtigung für Shanghai, auf den Tisch kommen: umso besser. Wenn sich der Mann danach ins Zeug legt, drei bis zehn SMS pro Tag verschickt, kleine Aufmerksamkeiten besorgt (Ohrringe, Lieblingsschokolade) und "sich kümmert", wie Weiwei es nennt, beginnt die so genannte Ai-Mei-Phase, wörtlich: die Keine-Liebe-Phase - eine Grauzone zwischen Flirt, Freundschaft und Liebesbeziehung ohne Verpflichtungen. Erst nach intensiver Prüfung beginnt der dritte Akt: die eigentliche Beziehung.

Bis zum letzten Akt kam Weiwei mit keinem der sieben Männer. Sie wickelt eine Haarsträhne um ihren Finger und senkt die ohnehin schon leise Stimme. "Gerade arbeite ich an Nummer acht, der könnte ein Volltreffer sein." Der Freund einer Kollegin hat in Italien eine eigene Textilfirma, will jetzt aber nach Shanghai zurück und heiraten. Er ist 33, klein, nicht sehr attraktiv, aber vermögend. "Genau, wie es mir eine Wahrsagerin vorausgesagt hat", berichtet Weiwei und strahlt. Dabei ist sie noch nicht einmal in ihn verliebt. "Liebe", sagt Weiwei, "ist Luxus, keine Notwendigkeit." Sie glaubt an das Schicksal - und an die Aussagekraft von Louis- Vuitton-Taschen. "Er ist sehr großzügig", sagt sie. "Lieber heulend in einem BMW als lachend auf einem Fahrrad": Der Spruch ist beliebt unter jungen Chinesinnen, sie tragen ihn auf ihren T-Shirts. Im Frühjahr kam Weiweis Nummer acht aus Italien für vier Wochen nach Shanghai, um sie und ihre Eltern kennen zu lernen. "Wir haben uns jeden Tag gesehen", sagt Weiwei stolz. Doch irgendwas muss schiefgelaufen sein. "Er ist einfach abgereist und meinte, er sei noch nicht bereit zum Heiraten." Seitdem telefonieren sie oft. "Ich werde nicht aufgeben. Es muss klappen."

Ruby Ding hat zehn Jahre vergeblich gewartet. Die 40-jährige Direktorin eines internationalen Privatkindergartens in Shanghai war mit Anfang 20 mit Prädikatsexamen nach Shenzen gezogen, um in der Hotelbranche Karriere zu machen. Dort lernte sie ihre große Liebe, einen Schweizer, kennen. Sie hoffte auf einen Heiratsantrag, der nie kam. Während dieser Jahre wurde sie regelrecht terrorisiert: "Von meinen Eltern, Freunden, von allen", sagt Ruby. "Sie gaben mir das Gefühl, mit mir stimme etwas nicht, ich sollte zum Psychiater gehen, ich sei krank im Kopf." Über 30 und immer noch ledig, das geht in China einfach nicht. Ruby zog nach Shanghai, kaufte Immobilien und bildete sich fort. Doch ihre Familie erhöhte den Druck, und mit 34 gab sie schließlich nach und heiratete einen chinesischen Regierungsangestellten. Sie war acht Jahre älter als er, aber das konnte sie den Schwiegereltern verheimlichen.

Scheidung: Das geht hier an einem Tag und kostet 1,20 Euro.

Frieden kehrte durch die Heirat nicht ein. "Das Unglück ging erst richtig los", erzählt Ruby. Geschäftsreisen, Saufgelage - nach vier Jahren ließ sich Ruby scheiden, das geht in China an einem Tag und kostet 1,20 Euro. "Seitdem", sagt sie, "fühle ich mich frei." Als geschiedene 40-Jährige ist sie angesehener als als ledige 30-Jährige. Scheidung ist kein Makel, die Scheidungsrate liegt in Shanghai mit 39 Prozent gleichauf mit dem bundesdeutschen Durchschnitt. "Im Nachhinein war die Scheidung das Beste, das mir passieren konnte", sagt Ruby. "Keiner versucht mehr, mich zu verkuppeln, keiner drängt mich mehr. Ich habe diesen Job schon erledigt." Vor zwei Jahren lernte Ruby, die eine Shanghai-untypische innere Ruhe ausstrahlt, auf einer Geschäftsreise Michael kennen. Der Deutsche, 15 Jahre älter, saß neben ihr im Flugzeug. Zuvor hatte er seinen Job als Investmentbanker verloren. Ein mittelloser Ausländer also. Schon wieder ein Gesellschaftstabu. Doch diesmal kann es ihr egal sein. "Ich bin zu alt, um mir Vorschriften machen zu lassen", sagt Ruby, "der soziale Druck ist weg. Das ist das wahre Glück."

Text: Miriam Collée BRIGITTE; Heft 19/11

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel