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Zeit für Sex!

Haben Sie nicht? Dann kann es sein, dass Ihre erotische Uhr ganz anders tickt als die Ihres Partners. Und jetzt? Verbessern Sie doch einfach Ihr Timing für den Sex!

Jeden Morgen um sechs wird er von einem lauten Stöhnen geweckt. Denn die Frau, die da neben ihm liegt, steht auf ungepflegten Frühsex. Sie geht ab wie ein Feuerwerk in der Morgensonne und dreht so dermaßen auf, dass das Bett bald lichterloh brennt. Und zwar "jedes Mal, jeden Tag, weil du nie was dagegen hast", singt er. "Fire in the Morning" heißt der Song der Berliner Band Seeed. Herzlichen Glückwunsch. Da klappt es im Bett. Ob Reggae-Musiker tatsächlich permanent Sex haben?

Mia und Nils sollte man den Song besser nicht vorspielen. Bei ihnen lodert nicht viel. Noch nicht mal ein Streichholz glimmt da im Schlafzimmer. Feuerwerk-Sex am Morgen? Dazu sind beide viel zu müde. Besonders sie. Schließlich ist sie erst um halb zwei von ihrer Nachtschicht bei einem Online-Dienstleister zurück- und ins Bett gekommen. Abends um acht beginnt ihre Schicht. Nils wiederum steht wochentags um halb sieben auf, fährt ins Büro und bleibt dort mindestens bis um sieben. Mitgerechnet? Genau: Macht summa summarum ein Zeitfenster von einer Stunde am frühen Abend. Falls alles nach Plan läuft. Was es eigentlich nie tut.

Sex wird angeschrieben, aufs Wochenende

Dennoch: Bei einer durchschnittlichen bundesdeutschen Sex-Dauer von acht Minuten (plus Vorspiel immerhin 30,2 Minuten) könnte in dieser Stunde was gehen. Könnte. Wenn man von sieben bis acht nicht auch noch essen müsste. Oder die Steuererklärung besprechen. Oder telefonieren. Schon Getränke geholt? In der Woche gibt's schnell ein Küsschen auf die Wange und die Klinke in die Hand. Die Stunde Sex aber wird angeschrieben, aufs Wochenende.

Hormone spielen keine Rolle

Den Chronobiologen Till Roenneberg wundert es nicht, dass ein Körper, der unter physiologischem Stress steht und erschöpft ist, wenig Lust auf Sex hat. Er hat erforscht, dass dieser Stress zu einem großen Teil daher rührt, dass wir Menschen permanent gegen unsere innere Uhr leben und uns zu stark nach der so genannten "sozialen Uhr", also nach Arbeits- oder Ausgehzeiten richten. Und dann ticken Frauen auch noch anders als Männer: Sie sind tendenziell frühere Chronotypen, werden früher wach und eher wieder müde. Passt doch, könnte man jetzt denken, schließlich haben Männer doch verstärkt morgens Lust. "Ein Irrglaube, der immer noch da draußen herumschwirrt", sagt Roenneberg. Zwar läuft die Testosteronproduktion morgens um sieben auf Hochtouren, "aber wer behauptet denn, dass genau dieser Hormonspiegel wichtig ist, um sexuelle Gefühle zu entwickeln? Der ist zum Beispiel genauso wichtig, um jemanden zusammenzuschlagen."

Es ist schon merkwürdig: Alles hat sich so perfekt auf unser unchronobiologisches Leben eingestellt. Coffee to go, Shopping open end, sogar Freunde lassen sich in letzter Minute mal eben per SMS zu anderen Treffpunkten bestellen. Nur unser Liebesleben sträubt sich noch. Eine letz- te Anti-Hektik-Bastion: nicht unendlich flexibel, nicht allzeit bereit. Seinen Schatz mal eben schnell in zwei Minuten heiß machen – wie in der Mikrowelle? Wie das Danach schmeckt, wissen wir alle: lauwarm und etwas fad. Aber wie soll's sonst klappen mit dem Timing? An Tipps für Paare, bei denen das Sex-Timing zum Problem wird, herrscht kein Mangel. Man rät ihnen, sich einen gemeinsamen Abend pro Woche in den Terminkalender einzutragen, "Gutscheine für Zeit zu zweit" zu erschenken oder auch mal spontan die Sicherungen rauszudrehen und einen Stromausfall zu simulieren, um den anderen vom Computer wegzulocken.

Double Income, No Sex

Aber auch ein Kurzschluss würde Nathalie und Maik nicht helfen. Falsch: Nathalie, Maik, Sophia und Leonie. So steht’s auf dem Schild an ihrer Wohnungstür. Seit acht Monaten gibt es sie im Viererpack. Und Mama und Papa nur noch äußerst selten als Duo, wie vorletzten Samstag zwischen drei und vier. Die nette Nachbarin hatte sich angeboten, mal kurz auf Tochter eins und zwei aufzupassen. Zu kurz. "Die Gelegenheit war so günstig, aber ich hatte plötzlich kaum noch Lust", klagt Nathalie. Erotik auf Knopfdruck ist eben schwierig.

"Wenn Partner in ihren Arbeitswelten und der Familie viel Stress haben, fällt es ihnen zu den Zeiten, in denen sie wieder zusammentreffen, schwer, schnell auf körperliche Nähe und Sexualität umzuschalten", sagt Paartherapeut Friedhelm Schwiderski, Vorsitzender des Arbeitskreises Paar- und Psychotherapie. Und als ob es nicht schon kompliziert genug wäre, kommt noch eines hinzu: Männer sind oft schneller erregbar. Frauen brauchen eher günstige Bedingungen, um sich fallen lassen zu können, weiß Paartherapeut Schwiderski. In der Binsenweisheit "Männer haben Sex, um sich zu entspannen, Frauen müssen entspannt sein, um Sex zu haben" steckt also tatsächlich ein Quäntchen Wahrheit. Für Nathalie jedenfalls reicht eine kinderfreie Stunde zur Entspannung nicht aus.

Nathalie und Maik sind übrigens keine Ausnahme mehr: Immer mehr Paare suchen bei Schwiderski wegen sexueller Probleme Rat. Er schätzt, dass sich die Zahl derer, bei denen berufliche Stressfaktoren eine Rolle spielen, in den letzten zehn Jahren nahezu verdreifacht hat. Und trotzdem hält die Statistik hartnäckig dagegen: Zweimal die Woche hat der Durchschnittsmensch Sex. Da lächelt müde, wer Kinder, Job oder beides hat. Und so scheint alles geradewegs ins DINS-Dilemma zu führen: "Double Income, No Sex". Damit sind wohl Mia und Nils gemeint. Wo kein Sex ist, ist wenigstens ein Etikett. Und Nathalie und Maik? TKNT: "Two Kids, No Time"?

Hörkassetten als Verbündete

Ab und an sind wir für so ein Etikett ja ganz dankbar. Manchmal suchen wir geradezu nach dringenden Erledigungen und unaufschiebbaren Terminen, um mit dem Mann, der unser Bett und unser Leben mit uns teilt, keinen Sex haben zu müssen. Weil wir uns so richtig über ihn geärgert haben. Mal wieder. Von der schlampig ausgequetschten Zahnpastatube im Bad mal ganz zu schweigen. Ein schnelles "Ich hab jetzt keine Zeit" – weg sind wir. Aber meist kommen wir wieder zurück. Und dann gibt es diese Momente, in denen wir ganz da sind. Und er auch. Ein paar Verbündete können nicht schaden: die Sonntagmorgen-Sonne, die uns und ihn wachkitzelt. Oder die Gute-Nacht-Kassette, die kleine Hörer in Rekordzeit einschlummern lässt. Eigentlich braucht es nur vier Augen, die sich ansehen, und zwei Münder, die sich ein wenig lasziver anlächeln als gewöhnlich. Und kurz darauf gibt es plötzlich nur noch eine Frau und einen Mann. Ganz chronobiologisch. Ganz einfach. Einfach nur schön. Irgendwann fällt der Blick auf den Radiowecker: Was, so spät schon? Aber das ist nun wirklich ein anderes Timing-Problem.

Text: Sina Teigelkötter<br/><br/>BRIGITTE Balance 02/2005

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