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Partnerschaft Guter Sex: Kann man Intimität lernen?

Wie funktioniert guter Sex?
© Minet / Adobe Stock
Wie funktioniert guter Sex? Im Grunde ist es ganz einfach. Alles, was du brauchst, ist Neugier und ein bisschen Zeit, sagen die Schweizer Paartherapeuten und Tantra-Experten Doris Christinger und Peter A. Schröter. Hier erklären sie die vier Säulen des Sex-Lebens.

Präsent sein

Wenn zwei Menschen miteinander ins Bett gehen, dann sind sie oft mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit erst mal beim anderen. Was will er, was macht er, was macht sie, was ihm gefällt, was gefällt ihr, und wie zeigt sie ihm das? Wenn du dir mehr Intimität wünschst, dann solltest all das beiseiteschieben und zunächstmit der ganzen Aufmerksamkeit bei dir bleiben. Im Mittelpunkt deines Interesses stehst jetzt du und alles, was in dir vorgeht. Denn nur, wenn du spürst, was beim Sex mit dir passiert, kannst du dich in deinem ganzen Wesen zeigen, und das ist die Voraussetzung für Intimität. Die wichtigste Frage lautet: was empfinde ich in meinem Körper, jetzt, genau in diesem Moment? Wie fühlt es sich an, wenn er:sie meine Brüste berührt? Empfinde ich Lust oder Desinteresse, Zärtlichkeit oder Scham? Wie fühlt sich die Haut unter meinen Fingern an, regt sich Scheu in mir oder Gier?

Konzentriere dich auf deine Körperwahrnehmungen und bleib bei dir, obwohl da ja auch noch der andere ist. Und dazu jede Menge Gedanken, Assoziationen und Wünsche, die sich immer wieder zwischen dir und dein unmittelbares Empfinden drängen. Wenn du merken solltest, dass die Gedanken gerade um den Orgasmus kreisen, oder die Kinder, die wach werden könnten, mache dir bewusst: Okay, gerade bin ich gedanklich woanders, jetzt versuche ich, mich in mir selbst zu verankern, mich wieder meinem unmittelbaren Empfinden hinzugeben. 

Küssen

Wann hast du deine:n Partner:in das letzte Mal richtig lange und heiß und intensiv und verführerisch geküsst? Wenn wir Paare in unseren Seminaren danach fragen, wird ihnen oft bewusst, wie lange das her ist. Und dass sie vorm Küssen zurückschrecken, weil es für sie intimer ist, als miteinander zu schlafen. Tatsächlich spielt sich im Gehirn beim Küssen mehr ab als beim Liebesakt selbst, es werden dabei größere Regionen aktiviert, und entsprechend intensiv ist unsere emotionale Reaktion.

Beim Küssen können wir ganz unmittelbar unsere Empfindungen ausdrücken, sanft oder heftig, fordernd oder hingebungsvoll, es ist eine wunderbare Form der wortlosen Kommunikation. Häufiger als die Frauen sind es die Männer, die Probleme mit dem Küssen haben, wir hatten mal ein Paar, da empfand der Mann einen richtiggehenden Horror davor. Seine Vermutung war, dass es mit seiner Mutter zusammenhing, die immer was von ihm wollte, und beim Küssen war sie wie ein Phantom in seinen Gedanken dazwischen. Wir haben dem Paar dann eine sehr konkrete Hausaufgabe gegeben: zwanzig Minuten Küssen. Zuerst hat er sich verweigert, er wollte es überhaupt nicht. Aber dann ging es doch, und irgendwann war der Knoten geplatzt, und beide waren selig. Zwanzig Minuten ist natürlich viel, das macht ein Paar nur bei großem Leidensdruck. Aber versuchen Sie es mal mit zehn Minuten. Verabredet euch dazu, zehn Wochen lang. Küsst euch und schaut mal, was mit euch passiert.

Hingucken

Es gibt einen sehr wirksamen Weg, um Intimität herzustellen: Macht beim Küssen oder beim Sex die Augen auf. Solange die Augen geschlossen sind, hat man Bilder im Kopf, es kommen Gedanken und Fantasien, die einen wegdriften lassen. Aber sobald wir die Augen öffnen, ist das nicht mehr möglich, wir können nicht mehr ausweichen. Vor allem aber zeigen wir uns dem anderen jetzt mit allem, was gerade in uns passiert: mit Lust, Angst, Abwehr, Liebe – unseem Wesenskern.

Wir alle wissen ja genau, wann uns etwas im Inneren berührt, und dann ziehen wir uns instinktiv zurück, schnell die Augen zu, sonst wird es zu viel, zu nah, zu intim. Über diese Grenze gilt es hinauszugehen, sie in kleinen homöopathischen Dosen zu verschieben. Mit Übung schaffen es Paare auch, sich beim Orgasmus anzuschauen. Wenn es gelingt, ist es überwältigend. Sich zu zeigen in einem Moment des völligen Kontrollverlusts: das ist das Intimste überhaupt.

Ruhe bewahren

Du hast gerade gar keine Lust auf Sex? Nichts regt sich in dir, kein Fünkchen Leidenschaft? Auch gut, dann versucht es mit dem stillen Lieben. Dazu braucht man keine große Erregung, sondern nur den schlichten Wunsch, dem anderen nah zu sein. Ziel des stillen Liebens ist es, den Sex zu verlangsamen und dabei ruhig zu werden. Wenn du mit dem:der Partner:in vereint bist – dazu reicht bei Seitenlage in der Scherenstellung auch eine leichte Erektion –, vermeidet ab jetzt jede Stoßbewegung und richtet die Aufmerksamkeit voll auf eure Körperempfindungen.

Tipp: Doris Christinger und Peter A. Schröter arbeiten als Paar- und Sexualtherapeuten in Zürich. Sie haben eine eigene Praxis und leiten Seminare mit tantrischem Schwerpunkt. Ihr aktuelles Buch heißt "Vom Nehmen und Genommen werden. Für eine neue Beziehungserotik" (304 Seiten, 18 Euro, Pendo Verlag)

Protokoll: Christine Hohwieler // Ein Artikel aus der BRIGITTE 18/09 Brigitte

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