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Über Sex reden: "Komm mal heheer!"

Über Sex reden: "Komm mal heheer!"
© froodmat/photocase.com
Als Paar muss man spätestens dann über Sex reden, wenn man ihn haben will. Da hilft nur die Flucht in gemeinsame Geheimformeln, meint BRIGITTE-Mitarbeiter Till Raether.

Ein nackter Mann steht im Umkleideraum eines Schwimmbades. Er ist gerade aus der Dusche gekommen und trocknet sich ab. Dabei telefoniert er, über seine offene Sporttasche gebeugt, mit seiner Frau. Es geht um die Einkäufe, um das bevorstehende Wochenende - Alltagsplanung. Offenbar wähnt der nackte Mann sich allein, oder er unterschätzt die schallverstärkende Wirkung von Kacheln und Fliesen. Jedenfalls höre ich deutlich, wie er, nachdem alles andere geregelt ist, mit leicht neckischem Tonfall in der Stimme in sein Handy sagt: "Und, bist du nachher ein bisschen lieb zu mir?" Er frottiert sich mit seinem Badetuch im Schrittbereich und fügt hinzu: "Ich bin auch ganz sauber." Und nach einer kurzen Pause - die Antwort seiner Gesprächspartnerin ist nicht zu hören - beendet er das Telefonat mit den Worten: "Alles klar, bis gleich!"

Indem ich dieses Teiltelefonat mit anhörte, wurde ich Zeuge eines Kommunikationsaktes, der normalerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Ich möchte ihn Verabredung zum Sex nennen. Was wissen wir über die Verabredung zum Sex? Nur so viel: Paare, die ein bisschen länger zusammen sind, vielleicht Kinder, womöglich sogar Hobbys bzw. eigene Interessen haben und berufstätig sind, verwenden einen Großteil ihrer Kommunikation darauf, den gemeinsamen Alltag zu planen: Wer kauft was ein, wer bringt das Auto in die Werkstatt, wer bringt das Leergut weg, wer ist wann wo, und so weiter. Wenn sie zusammen ins Kino gehen möchten, verabreden sie sich, ins Kino zu gehen. Wenn sie zusammen Sex haben wollen, verabreden sie sich, Sex zu haben.

Es ist ausführlich erforscht, wie Paare während und nach dem Sex miteinander reden. Das Ergebnis ist eigentlich immer: zu wenig. Der Heidelberger Paartherapeut Ulrich Clement sagt, dass beide Partner sich ganz zu Anfang einer Beziehung sexuell auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen, das heißt, beide könnten sich eigentlich noch mehr, noch anderes, noch Besseres vorstellen, sind aber zu gehemmt, um offen darüber zu reden. Die Tipps, um dem abzuhelfen, reichen von gut gemeint, aber banal (Sex-Forscher Oswalt Kolle: "Reden Sie nicht erst im Bett über Ihre Wünsche, sondern zum Beispiel bei einem romantischen Essen oder einem Spaziergang") bis zu völlig hirnverbumst ("Bild": "1. Zwanzig Worte für Sex aufschreiben und im Bett darauf achten, auf welche Worte sie besonders anspringt. Merken. 2. Erotik-Schinken lesen und die guten Passagen auswendig lernen").

Einschlägige Umfragen ergeben Statistiken, die widersprüchlich bis zur Unsinnigkeit sind: Drei Viertel aller Deutschen finden es gut, wenn der Partner seine sexuellen Wünsche äußert, deutliche Worte lehnen aber zwei Drittel der Befragten in der gleichen Untersuchung ab. Eine Studie ergibt, dass Frauen mehr über Sex reden als Männer; eine andere, dass Testosteron-Ausschüttung Männer besonders gesprächig macht. Trotzdem, sagt eine dritte, reden deutsche Ehepaare nur acht Minuten am Tag miteinander, haben also statistisch kaum Zeit für "Bettgeflüster" ("Bild"). Der bayerische Dialekt gilt als besonders erotisch, das Pfälzische steht ganz unten auf der Liste (Durchschnittswerte für Gesamtdeutschland, beim Sex zwischen Pfälzern sieht die Sache mutmaßlich anders aus). Männer und Frauen hören zu über 90 Prozent im Bett am liebsten Komplimente und eher nicht so gern Sätze wie "Wird das heute noch was?".

Und die erste Studie zur Sexualsprache der Deutschen förderte vor zehn Jahren unter anderem zu Tage, dass in der DDR sozialisierte Männer und Frauen das männliche bzw. das weibliche Geschlechtsteil auch als "Bobik" und "Mizinka" bezeichnen. Und alle sind sich einig, dass eine kritische Aufbereitung des eben Erlebten zwar grundsätzlich gut, aber schwer hinzukriegen ist und unter gar keinen Umständen, auch oder erst recht nicht im Scherz, mit den Worten "Und, wie war ich?" eingeleitet werden darf.

Das Dabei und das Danach sind also mehr oder weniger erschöpfend bearbeitet, nichts aber erfährt man in der Öffentlichkeit über das Davor: die Verabredung zum Sex. Der neue Roman "Little Children" des amerikanischen Autors Tom Perotta, gerade hervorragend verfilmt mit Kate Winslet, handelt von Eltern, die das ebenso eintönige wie chaotische Leben mit Dreijährigen zu meistern versuchen. In einer Szene gleich zu Beginn unterhalten sich die Mütter auf dem Spielplatz darüber, wie wenig Sex sie nur noch haben und wie schnell man das Thema Sex ganz aus dem Auge verliert, wenn man sich nicht ein bisschen darum kümmert. Mary-Ann, eine überkorrekte, unsympathische Super-Mama, hat wie für alle Probleme auch für dieses eine ebenso praktische wie unspontane Lösung: Sie und ihr Mann haben jeden Dienstagabend eine stehende Verabredung zum Geschlechtsverkehr. Diese pragmatische Variante der Sex- Verabredung hat den klaren Vorteil, dass man nur ein einziges Mal über das Thema reden muss und dann nie wieder. So, wie völlig klar ist, dass am Mittwoch Volleyball ist, ist am Dienstag Sex.

Vermutlich ist dies nicht einmal besonders unerotisch; Volleyball wird ja auch nicht dadurch unsportlich, dass es jeden Mittwoch stattfindet. Es ist aber nie ganz unproblematisch, sich die Woche mit Terminen zuzupflastern, vor allem den Dienstag, wenn traditionell die guten Fernsehserien laufen. Und wenn dann jemand anderes am designierten Sex-Abend was Unsexuelles mit einem unternehmen möchte, muss man immer irgendeine Ausrede erfinden.

Eine Zeit lang wohnte ich in Berlin Wand an Wand mit einem, wie ich damals gesagt hätte, älteren Ehepaar (etwa Mitte dreißig), das eine sehr reduzierte Form gefunden hatte, über Sex zu kommunizieren. Alle paar Tage hörte ich, wie die Frau, nachdem die normalen Alltagsgeräusche verklungen waren, Musik anmachte und dann nach einer kurzen Weile rief: "Komm mal he-heer!" Dann hörte man Schritte, wenig später reguläre Sex-Geräusche.

Einmal habe ich so etwas wie die halb-öffentliche Variante erlebt. Wir waren mit einem befreundeten Paar übers Wochenende in einer Ferienwohnung am Meer. Nach dem Abendessen tranken wir eine Flasche Wein. Irgendwann stand unsere Freundin auf und sagte, sie würde jetzt ins Bett gehen, sie wolle noch ein bisschen lesen. "Ich bleib noch einen Augenblick hier sitzen", sagte ihr Freund und schenkte sich und uns nach. Sie stand schon, lächelte und sagte mit einer Art unsichtbarem Augenzwinkern: "Sehen wir uns denn nachher noch?" Ihr Freund stellte die Flasche ab und sagte im gleichen verschwörerischen Tonfall: "Oh ja, wir sehen uns nachher noch . . . " Ich schwöre, man hätte die drei Pünktchen aus der Luft pflücken können, so deutlich waren sie mitgesprochen.

Womit wir wieder beim nackten Mann in der Umkleidekabine wären. Nach der mir zur Verfügung stehenden Datenlage gibt es drei Varianten der Verabredung zum Sex: die eher langfristig angelegte Kalender-Variante (immer dienstags), die eher kurzfristig ausgerichtete Zuruf- Variante ("Kommst du mal heheer?") und die komplizierte, aber weit verbreitete Paarsprech-Variante. In diese letzte Kategorie fallen sowohl der nackte Mann in der Umkleidekabine ("Bist du nachher ein bisschen lieb zu mir?") als auch das Paar in der Ferienwohnung ("Sehen wir uns nachher noch?"). Vom ersten Augenblick ihres Zusammenseins an entwickeln Paare eine gemeinsame Sprache: Redewendungen, die für beide einen besonderen Reiz haben, für den Rest der Welt aber völlig glanzlos sind; Worte, die aus Gründen, die keiner mehr weiß, von beiden eigenwillig ausgesprochen werden; Spezialausdrücke für besondere Sachverhalte, zum Beispiel eben Sex. "Nachher lieb zu jemandem sein" klingt in meinen Ohren überaus unerotisch und lächerlich, aber diese Worte waren ja auch Paarsprech: gerichtet nur an eine einzige Adressatin auf der Welt.

Meine Vermutung ist, dass Paarsprech, wenn es um Sex geht, immer eine leicht ironische Komponente hat. Es gibt keine klischeefreie, frische Sprache über Sex, alles ist schon abertausendfach gesagt, gestöhnt und parodiert worden. Also muss man sich aus dem vorhandenen Material etwas halbwegs Eigenes zusammenbasteln, immer im Wissen, dass das, was man dann vorträgt, tendenziell abgegriffen und potenziell unfreiwillig komisch klingt.

Statt also in wortlosem Einverständnis übereinander herzufallen, müssen Menschen sich irgendwann nicht nur zum Sex verabreden; sie tun es auch noch mit leicht ironischem Unterton, in unsichtbaren Gänsefüßchen. Ist das nicht ganz schön deprimierend, weil: pragmatisch, verkopft, leidenschaftslos? Es kommt mir nicht so vor. Denn wenn es stimmt, was der Paartherapeut Ulrich Clement über den kleinsten gemeinsamen Nenner sagt, auf den Paare sich von Anfang an beim Sex einigen - dann kann es dagegen ja nur zwei Mittel geben: Erstens, im Gespräch bleiben. Und zweitens, mutiger werden. Das Gute ist, dass die Verabredung zum Sex beides leichter macht. Jemand muss die Frage "Wann tun wir es?" auf irgendeine Art und Weise irgendwann stellen, und jemand anderes muss darauf antworten; und das ist dann schon fast so etwas wie ein Gespräch über Sex. Und indem das Ganze leicht ironisch behandelt wird, schafft man sich eine Art Schutzpolster, nicht nur gegen die Lächerlichkeit der zur Verfügung stehenden Worte und Redewendungen, sondern möglicherweise sogar gegen kleinere bis mittlere Verletzungen. Mal ehrlich: Es ist vermutlich leichter, auf eine tendenziell alberne Frage wie "Bist du nachher ein bisschen lieb zu mir? Ich bin auch ganz sauber" ein "Nein" entgegenzunehmen, als bei einem wortlosen, aber leidenschaftlichen Umarmungsversuch wortund leidenschaftslos weggeschoben zu werden.

Text: Till Raether BRIGITTE Heft 3/2007 Foto: froodmat/photocase.com

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