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Sexologin Jana Welch Nichts gegen einen Quickie

Sexologin Jana Welch: Pärchen im Bett
© PhotoAlto/Frederic Cirou / Getty Images
... aber das wäre, als nähme man sich von einem riesigen Buffet nur ein Gericht. Sagt Sexologin und Sexualtherapeutin Jana Welch. Ein Gespräch über das Wiederfinden der Sinnlichkeit.

BRIGITTE: Vor einiger Zeit rief ein Sextoy-Hersteller in Deutschland auf, den "Gender Masturbation Gap" zu schließen. Empowerment durch Lust, weniger Abhängigkeit von einem Partner – gefällt Ihnen das?

Jana Welch: Ich bin zwiegespalten. Für manche ist es ein echtes Aha-Erlebnis, wenn sie mit einem Vibrator zum ersten Mal kommen können. Aber: Moderne Vibratoren fördern eine zielgerichtete, ergebnisorientierte Art der Masturbation. Ich habe zunehmend Frauen in meiner Praxis, die sich darüber beklagen, zu schnell und zu früh zu kommen. So wie man es eher Männern zuschreiben würde.

Was ist das Problem?

Nichts gegen einen Quickie, ob allein oder zu zweit. Aber wenn es immer nur darum geht, schnell ans Ziel zu gelangen, ist das, als würde man sich von einem gigantischen Buffet immer nur dasselbe Gericht nehmen. Dazu kommt: Wenn der Vibrator zum besten Freund wird, gewöhnt sich mein Körper an diese hohen Sinnesreize. Aber ein Penis vibriert nun mal nicht. Unter Umständen fühlt sich mein Partner dann abgehängt und nebensächlich.

Aber sollte ich meine Lust nur in die Hände anderer legen?

Nein, Selbstbefriedigung ist was Wunderbares, sowohl das, was ich als "Selbst-Liebesspiel" bezeichne, aber auch als Übungsfeld für die Paarsexualität. Wenn ich im Orchester spielen will, muss ich zuerst mein Solo-Instrument gut beherrschen. Das kann ich aber nur, wenn ich bereit bin, meine Vulva und Vagina besser kennen-zulernen. Wenn ich mich darauf einlasse, mich bei der Selbstliebe mehr zu bewegen, bewusster zu berühren, Töne von mir zu geben, lerne ich meinen Körper besser kennen und kann auch in der Paarsexualität Lust und Erregung besser steuern.

Dazu braucht es Raum und Zeit. Wir neigen im Alltagsleben aber dazu, To-do-Listen aufzustellen und abzuhaken. Eine Bedrohung für Sex und Sinnlichkeit?

Oft geht es nur noch um Performance, bei der Solo-Nummer wie in Beziehungen: ein-, zweimal pro Woche Sex, Häkchen dran, alles okay mit uns. Als wäre das eine Frage der Frequenz. Es kann sinnlicher sein, einmal im Monat ein großes Liebesfest zu feiern, sich wirklich aufeinander einzulassen, ziellos, absichtslos, als alle paar Tage dieselbe Standardnummer durchzuziehen. Ich sage den Menschen in meiner Beratung oft: Ich möchte, dass ihr Liebe nicht macht, sondern Liebe spielt. Auch in der Alltagssexualität zwischendrin.

Was meinen Sie damit, Alltagssexualität?

Das fängt ganz klein an. Mich erstaunt es, wenn ich sehe, wie Paare sich begrüßen: Bussi, Klaps auf die Schulter. Da ist überhaupt kein präsenter Kontakt. Es kann sehr sexy sein, sich erst mal zehn Sekunden lang in die Augen zu schauen. Oder sich einen Zungenkuss zu geben, ohne dass sich daraus etwas anderes entwickelt. Oder eine Ansage wie: Mir ist heute Abend nicht nach Penetration, ich möchte aber gern von dir gestreichelt werden. Dazu gehört aber ganz viel Mut.

Fällt es uns heutzutage leichter, über unsere Bedürfnisse zu sprechen?

Ich fürchte nein. Es wird zwar nach außen Offenheit suggeriert, aber dahinter findet oft eine große Vereinsamung statt, auch in Beziehungen. Sie nimmt sich den Vibrator, er den Porno, um das intime Gespräch zu vermeiden. Wir ersticken noch immer in Scham, in der Angst davor, verurteilt oder schlimmstenfalls verlassen zu werden.

Und wie kommt man ins Reden?

Erst einmal über eine Sprache, mit der beide sich wohlfühlen. Welche Worte habe ich für meine Genitalien, für meine Sexualität? Und auch hier wieder braucht es einen Rahmen, Raum und Zeit. Neugierig sein, liebevoll, zuhören. Nicht gleich abwehren, wenn mir etwas nicht gefällt, sondern mich einfühlen, nachfragen, Wege offenhalten. Ich glaube, in Sachen Kommunikation können wir viel von Menschen lernen, die andere Spielarten bevorzugen.

Zum Beispiel?

Ich hatte einmal bei einer TV-Aufzeichnung mit einem Frauenpaar zu tun, die beiden haben mich beeindruckt, weil sie so sinnlich und so achtsam miteinander waren. Hetero-Paare haben vielfach diese vorgezeichneten Muster im Kopf, etwa, dass der Mann die ganze Zeit einen steifen Penis haben und am Ende kommen muss. Es wäre viel gewonnen, wenn wir uns von diesen festen Vorstellungen befreien könnten. Wenn beide Seiten beides sein könnten, mal zielgerichtet, mal verspielt, mal absichtslos, mal schnell, mal langsam.

Jana Welch coacht Menschen nach der "Sexocorporel"-Methode, sowohl in ihrer Hamburger Beratungspraxis als auch online (welch-sexologie.de)

Brigitte

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