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Orgasmus-Studie: Wie Frauen kommen

In einer aktuellen Studie wird untersucht, welche Faktoren den weiblichen Orgasmus begünstigen. Psychologin Anja Lehmann, die die Studie auswertet, erklärt im Interview, wieso Masturbation ein Tabuthema ist, und was vorgetäuschte Orgasmen mit sexuellem Selbstbewusstsein zu tun haben.

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Brigitte.de: Der weibliche Orgasmus ist von vielen Mythen umrankt. Welches Ergebnis Ihrer Studie hat Sie am meisten überrascht?

Anja Lehmann: Wir konnten nicht beweisen, von welchen messbaren Faktoren, wie zum Beispiel Bildungsstand oder Aufklärung im Elternhaus, die sexuelle Zufriedenheit begünstigt wird. Außerdem war für uns überraschend, dass jede fünfte Frau nicht bereit war, Angaben zum Thema Masturbation zu machen - und das, obwohl die befragten Frauen generell sehr bereitwillig über ihre Sexualität berichteten. Schließlich war unsere Umfrage freiwillig, und die Anonymität wurde gewährleistet.

Brigitte.de: Haben Sie eine Erklärung für die Scheu vor dem Thema Masturbation?

Anja Lehmann: Wir haben noch keine endgültige Erklärung. Wir vermuten zwei Dinge: Es handelt sich bei Masturbation um etwas sehr Intimes. Sex mit sich selbst ist offensichtlich ein schützenswerter Bereich, über den keine Auskunft erteilt wird. Außerdem nehmen wir an, dass einige Frauen gar nicht masturbieren, und es deswegen nicht für nötig befunden hatten, diesen Teil des Fragebogens auszufüllen. Wir bekamen sogar einen Anruf von einer empörten Teilnehmerin, die sich über diesen Teil des Fragebogens beschwerte. Eine andere Teilnehmerin hatte den Masturbations-Teil mit dicken, schwarzen Strichen unkenntlich gemacht. Aus diesen heftigen Reaktionen, die nur bei diesem Teil der sehr umfangreichen Befragung auftauchten, schließen wir, dass Masturbation ein sexuelles Tabu-Thema ist.

Brigitte.de: Ihrer Untersuchung lag die Annahme zugrunde, dass es bei der Fähigkeit, einen Orgasmus zu bekommen, vor allem auf die Erfahrung ankommt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie in Bezug auf die Orgasmusfähigkeit der Frauen gekommen?

Anja Lehmann: Wir sind davon ausgegangen, dass es keine angeborene Unfähigkeit zum Orgasmus gibt. Bei der gesunden Orgasmusfähigkeit - so unsere These - handelt es sich um einen Lernprozess. Der Zeitpunkt des ersten Orgasmus variiert sehr stark, unter den befragten Frauen zwischen vier und 45 Jahren. Die Orgasmusfähigkeit wird, wie wir festgestellt haben, umso besser, je älter die Frauen sind. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sie ihren Körper besser kennen.

Brigitte.de: Welche Rolle spielt dabei die Kommunikation in der Partnerschaft, beziehungsweise die partnerschaftliche Zufriedenheit?

Anja Lehmann: Für erfüllte Sexualität ist es wichtig, dass die Frau das Gefühl hat, der Partner interessiert sich für ihre Bedürfnisse. Dabei ist es wichtig, auch ganz spezifische sexuelle Bedürfnisse anzusprechen, also darüber zu reden, was die Frau sich für ihren eigenen Orgasmus wünscht. Das können ältere Frauen besser als jüngere, die sexuell oft noch eher Orientierungsschwierigkeiten haben. Unserer Beobachtung nach nimmt das sexuelle Selbstbewusstsein der Frauen ab etwa 35 stark zu. Sie kennen ihre Bedürfnisse besser, und geben auch eine höhere sexuelle Zufriedenheit an. Sie haben jedoch nicht notwendigerweise mehr Sex, aber besseren.

Brigitte.de: Sie haben auch untersucht, welche äußerlichen Faktoren positiv auf den weiblichen Orgasmus wirken. Welcher hat den größten Einfluss?

Anja Lehmann: Der wichtigste Einflussfaktor liegt in der Frau selbst. In welcher Stimmung befindet sie sich, findet der Sex in einer stressfreien Situation statt? Sie muss sich fallenlassen können und sich sicher mit ihrem Partner fühlen. Das heißt zu wissen, dass sie sich mit ihm keine Krankheit einfängt, dass sie beim Sex ungestört sind, aber auch, dass der Partner treu ist. Auch der Geruch des Partners spielt eine wichtige Rolle.

Brigitte.de: Wenn Sicherheit so eine zentrale Rolle spielt - heißt das, Sie wollen den Orgasmus beim Fahrstuhlsex in das Reich der Legende verweisen?

Anja Lehmann: Nein, auf keinen Fall. Weibliche Sexualität kann jeden Tag anders sein. Unsere Untersuchung liefert keine Gebrauchsanweisung für gelungenen Sex. Ich behaupte allerdings: Frauen können Fahrstuhlsex mit dem Partner mehr genießen, als wenn sie mit ihm schlafen, um ihm einen Gefallen zu tun.

Brigitte.de: Apropos Gefallen: Sie haben auch herausgefunden, dass neun von zehn Frauen schon mindestens einmal einen Orgasmus vorgetäuscht haben. Wie erklären Sie sich diese Quote?

Anja Lehmann: Da muss ich zunächst klarstellen, dass nur zehn Prozent der Frauen es regelmäßig tun. Viele möchten dem Mann das Gefühl geben, dass er sie zum Orgasmus bringen kann. Manche täuschen ihn auch vor, damit "es" schneller vorbei geht. Gleichzeitig haben wir herausgefunden, dass es die Frauen nicht als Aufgabe des Mannes ansehen, sie zum Orgasmus zu bringen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Frauen davon ausgehen, dass der Mann diese Einstellung teilt. Für Frauen kann es durchaus auch als lustvoll erlebt werden, einen Orgasmus vorzutäuschen.

Brigitte.de: Wie meinen Sie das?

Anja Lehmann: Indem sie sexuelle Erregung simuliert, stimuliert sie sich auch gleichzeitig. Es kommt zu körperlichen Rückkopplungsprozessen, und ihre eigene Erregung steigert sich tatsächlich. Für Frauen ist es wichtig, sich selbst und von anderen als sexuell attraktiv erlebt zu werden. Ein wichtiger Faktor für sexuelle Attraktivität, also die klassische Frage nach dem "gut im Bett?" ist die sexuelle und sinnliche Erregbarkeit und Erlebnisfähigkeit. Frauen versuchen also über vorgetäuschte Orgasmen, ihre sexuelle Attraktivität zu steigern. Allerdings sind Frauen, die es regelmäßig tun, wesentlich unzufriedener mit ihrer partnerschaftlichen Sexualität und fühlen sich auch nicht sexuell attraktiver, anders als die Frauen, die das gelegentlich machen.

Brigitte.de: Entlasten Sie mit Ihrem Befund die Rolle der Männer beim Sex?

Anja Lehmann: Nein. Sexualität spielt sich zwischen zwei Menschen ab, und beide tragen Verantwortung. Frauen mit ihrer Fähigkeit zur Rollenübernahme stellen sich dabei aber oft selbst ein Bein. Wenn sie den Mann beim Sex stets bedienen, wird es schwieriger, ihm zu vermitteln, dass es auch um ihre Bedürfnisse geht.

Zur Studie: Im Rahmen der nicht repräsentativen Untersuchung wurden 575 Frauen im Alter von 17 bis 71 Jahren befragt. Diplom-Psychologin Anja Lehmann wertet sie für eine Doktorarbeit am Institut für Medizinische Psychologie (Projektleitung Dr. Sabine Grüsser-Sinopoli) der Charité aus.

Interview: Wiebke Peters

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