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Eine Frau: Natacha Merritt

Natacha Merritt, 27, Fotografin, zeigt Menschen beim Sex in Hotelzimmern, am liebsten sich selbst, manchmal mit Glied im Mund, manchmal mit Klebeband gefesselt. Wenn ihr während des Aktes ein Moment gefällt, drückt sie den Auslöser. Sie sagt: „Die Wahrheit darf man nicht verstecken.“ Und alle fragen sich: Ist das Kunst?

Als sie noch Tagebuch schrieb, ließ Natacha Merritt ihre Aufzeichnungen überall offen liegen, und zwar "weil man die Wahrheit nicht verstecken darf". Ihre Wahrheiten hält sie inzwischen mit der Kamera fest, von Privatheit hält sie immer noch wenig. Merritt, 27, fotografiert Menschen beim Sex, ihr liebstes Motiv ist sie selbst. Nackt, ungeschützt, schwitzend zeigt sie sich auf ihren Bildern, dunkle Augen, rote Lippen, das Gesicht einer Wachspuppe, manchmal mit Glied im Mund, manchmal mit Klebeband gefesselt.

Ihre Bilder zeigen Stimmungen, Gesten, mal kaum entzifferbare Ausschnitte, mal das Gesicht beim Orgasmus. Sie sagt, es brauche etwas Übung, gleichzeitig vor und hinter der Kamera zu sein. Während des Aktes beobachtet sie sich auf einem Bildschirm. Wenn ihr ein Moment gefällt, drückt sie den Auslöser. Die Models bestellt sie in Hotelzimmer - keine Häuslichkeit soll das einsame Ringen der Körper stören.

Natacha Merritt wuchs in San Francisco auf - mit ihrer französischen Mutter und ihrem schwulen Kinderbetreuer. Fast wäre sie Anwältin geworden, drei Monate studierte sie an der Sorbonne in Paris, dann brach sie ab. Das Fotografieren versprach ihr mehr Befriedigung. Irgendwann hatte sie keinen Sex mehr ohne ihre Digitalkamera. Die Bilder stellte sie auf ihre Website, bald wurde der deutsche Verleger Benedikt Taschen auf sie aufmerksam, er veröffentlichte "Digital Diaries", einen A5-Band mit einer Auswahl ihrer Aufnahmen, und der verkaufte sich sofort zehntausendfach.

Ihr Vorbild ist Helmut Newton

Sind Merritts Fotografien Softporno oder Kunst? Insbesondere männliche Kritiker schwärmen gerne von dem "reizenden Mädchen" und der "Schönheit" ihrer Aufnahmen. Insbesondere Kritikerinnen beklagen dagegen, hier würde nur wieder "das alte Lieblingsklischee einer männlichen Klientel bedient: blutjunge Verführerinnen, nackt und hemmungslos". Merritt sagt, es gehe ihr darum, dass "die Menschen mein Verständnis von Sex nachvollziehen können." Sie sagt: "Meine Bilder helfen mir zu verstehen, wer ich bin und woher ich komme."

Ansonsten verspürt sie wenig Lust, ihre Bilder zu erklären. Das unterscheidet sie von der Künstlerin Cindy Sherman, die in den Siebzigern mit Stills aus pornografischen Aufnahmen berühmt wurde, und damit auf political correctness und Zensur aufmerksam machen wollte. Mit Sherman vergleichen sie jene, die ihr wohlgesonnen sind. Sie selbst nennt ein anderes Vorbild: den Sex-Ästheten Helmut Newton. Und freut sich besonders über eine Sache: "Junge Männer gratulieren mir zu meinem Buch, weil ihre Freundinnen jetzt zum ersten Mal mit ihnen masturbieren."

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