Anzeige

"Ich habe schlechten Sex"

"Ich habe schlechten Sex"
© la dina/photocase.com
Schlechten Sex haben viele - aber nur wenige reden darüber. Vier Frauen berichten im Dossier der aktuellen BRIGITTE von der Ödnis in ihrem Schlafzimmer.

Pia, 35:"Ich hatte noch nie einen Orgasmus"

Orgasmus, Orgasmus, Orgasmus - gibt es eine Frau, die so viel über dieses Wort nachgedacht hat wie ich? Ich kenne keine. Mit meinen Freundinnen spreche ich zwar über Sex, aber ich lüge sie an. Es ist mir peinlich zuzugeben: Ich hatte noch nie in meinem Leben einen Orgasmus. Vor zwei Jahren habe ich mich einer Frauenärztin anvertraut. Sie sagte, bei mir sei körperlich alles okay - und sie fragte: Klappt es bei der Selbstbefriedigung?

Ich wusste es nicht. Ich bin streng katholisch aufgewachsen, ich empfand es als unanständig, mich selbst anzufassen. Meinen ersten Mann habe ich mit 19 geheiratet. Im Bett war er nicht sehr sensibel. Sobald er in mich eingedrungen war, kam er ganz schnell. Und bei mir flaute die Lust dann ab. Ich habe das so hingenommen. Mein jetziger Mann ist sehr zärtlich, hat mich gestreichelt und gestreichelt, wir hatten manchmal bestimmt eine Stunde lang Geschlechtsverkehr. Ich war erregt, aber der erlösende Orgasmus wollte einfach nicht kommen. Mein Mann schlug mir vor, ich sollte mich selbst streicheln. Da war ich allerdings völlig verkrampft.

Inzwischen mache ich einen Bogen um Sex, auch wenn ich weiß, wie sehr ihn das frustriert. Nach meinem Besuch bei der Ärztin habe ich zum ersten Mal versucht, mich selbst zu befriedigen. Sie war sehr offen und hat mir Tipps gegeben. Ich sollte es mit der Dusche probieren, zum Beispiel. Ich habe es sicher 50-mal versucht, es funktioniert nicht. Ich bin erregt, alles in mir steht unter Spannung, aber ich kriege keinen Orgasmus. Sie empfiehlt mir jetzt, mit meinem Mann zu einer Sexualtherapeutin zu gehen. Aber ich drücke mich davor, einen Termin zu machen. Manchmal denke ich: Lieber ein Leben ohne Orgasmus, als ständig zu hoffen, dass es eines Tages doch noch klappt.

Sabine, 40: "Er lässt sich von mir bemuttern - im Alltag und im Bett"

Als ich Andreas vor neun Jahren kennen lernte, fand ich unser Sexleben toll. Rückblickend sehe ich es nicht mehr so rosig. Schon damals musste ich immer "die Arbeit" machen: Er legte sich auf den Rücken und ließ sich von mir bedienen. Klar, ich hatte auch meinen Spaß, aktiv beigetragen hat er dazu aber nichts - außer mir seinen Körper zur Verfügung zu stellen, an dem ich mich dann bedienen durfte.

Es machte mir nichts aus, ich war verliebt und stolz, dass er Spaß am Sex mit mir hatte. Erst mit der Zeit fiel mir auf, dass es ihm offensichtlich ziemlich egal war, ob ich auch zum Höhepunkt kam. Als ich nach einem guten halben Jahr schwanger wurde, zogen wir zusammen. Für ihn bin ich seitdem nur noch die Mutter, die automatisch allein für Erziehung, Haushalt und Alltagsplanung zuständig ist: Er lässt seine Klamotten irgendwo in der Wohnung fallen, kümmert sich um nichts, vergisst, zum Babysitten zu kommen, wenn ich mal einen Termin habe.

Dadurch ist auch unser Sexleben total aus den Fugen geraten. War ich früher die gut gelaunte, sexy Geschäftsfrau, bin ich jetzt die ständig meckernde Ehefrau. Seit er sich wie ein Kind benimmt, stecke ich auch ihm gegenüber in der Mutterrolle. Dadurch ist er für mich auch sexuell nicht mehr attraktiv. Ich habe keine Lust mehr, ihn auch noch im Bett zu "bemuttern". Wenn ich ihn darauf anspreche, nickt er nur, legt seinen Kopf schief und meint: "Hast ja recht, Schatz." Aber es ändert sich trotzdem nichts. Inzwischen spiele ich immer öfter mit dem Gedanken, mich zu trennen. Ich will schließlich einen Ehemann und kein drittes Kind.

Annegret, 57: "Seit meiner Operation fühle ich mich nicht mehr als Frau"

Als mir mein Frauenarzt vor zwei Jahren mitteilte, dass man mir die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernen müsse, war ich guter Dinge, dass in der Liebe alles so bleiben würde wie vorher. Rein äußerlich würde ich schließlich dieselbe Frau bleiben. Doch bald stellte sich heraus, dass ich die Operation längst nicht so gut verkraftet hatte wie anfangs gehofft. Auch wenn ich in meinem Alter ja ohnehin keine Kinder mehr bekommen kann, fühle ich mich ohne Eierstöcke und Gebärmutter einfach nicht mehr als vollwertige Frau.

Ich fühle mich innerlich so leer, so asexuell und so unweiblich, dass ich keine Lust mehr habe, mit meinem Mann zu schlafen oder mir schöne Wäsche anzuziehen, so wie ich es früher gern getan habe. Mein Mann ist wirklich äußerst liebevoll zu mir und beteuert, dass er mich genauso anziehend findet wie vor der Operation. Aber das ändert nichts an meinen Gefühlen. Die Ärzte sagen, rein körperlich gäbe es keinen Grund für sexuelle Probleme. Ich habe mir jetzt überlegt, dass ich vielleicht eine Therapeutin aufsuchen sollte. Ich habe mich lange gegen diesen Gedanken gewehrt, da das in meiner Generation ja nicht so üblich ist. Aber ich bin schließlich noch nicht so alt, dass ich auf erfüllten Sex total verzichten möchte.

Marlene, 42: "Seit mein Sohn Sex hat, weiss ich: Ich bin alt"

Ich weiß, dass bei mir im Bett nicht mehr viel los ist, seit in meiner Wohnung eine Sex-Maschine wohnt - mein 17-jähriger Sohn. Seit einiger Zeit verbringt Marek die Wochenenden mit seiner Freundin ausschließlich in seinem Zimmer, und die Geräusche verraten, dass die beiden fast ununterbrochen Sex haben.

Nur ab und zu stehen sie in knappen Boxershorts bei uns in der Küche und holen sich eine Stärkung - kaum in der Lage, sich 30 Sekunden lang nicht gegenseitig zu befummeln. Es ist immer ein Schock, sein Kind plötzlich als sexuelles Wesen sehen zu müssen. Viel schlimmer war für meinen Mann und mich die Erkenntnis: Wir sind alt. Was die beiden mit ihren jungen, gut durchbluteten Körpern machen, liegt schon seit Jahren außerhalb unserer Vorstellungskraft.

Neulich, als wir dachten, wir wären allein zu Hause, hatten wir mal wieder entspannten, freundlichen Nachmittagssex. Und als wir gerade ein bisschen lauter wurden, stellten wir fest: Wir sind doch nicht allein, Marek und Julia waren im Zimmer nebenan. Wahrscheinlich konnten sie uns hören. Plötzlich kam uns unsere Nummer derart erbärmlich vor, verglichen mit dem, was da gerade im Bett unseres Sohnes ablief. Wir haben uns richtig geschämt. Und danach noch von den alten Zeiten geträumt, in denen wir auch noch nichts anderes vom Leben wollten, als den ganzen Tag miteinander zu vögeln.

BRIGITTE Heft 08/08 Protokoll: Nina Poelchau, Ulla Drewitz, Alena Schröder Teaserfoto:la dina/photocase.com

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel