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"Dirty Lines" Wie es wirklich ist, Telefonsex zu machen

"Dirty Lines": Die Serie kommt Telefonsexhotlines im echten Leben nahe
"Dirty Lines": Die Serie kommt Telefonsexhotlines im echten Leben nahe.
© Stockbusters / Shutterstock
In "Dirty Lines" wird die Geschichte der ersten Telefonsexline erzählt. Im Netflix-Interview gewährt Nicole Kuhlert, die seit über 20 Jahren in der Branche arbeitet, einen Blick hinter die Kulissen eines von vielen Menschen missverstandenen Berufs.

"Dirty Lines" läuft seit April auf dem Streaming-Dienst Netflix. Erzählt wird in dieser Serie die Geschichte der ersten europäischen Telefonsexhotline, die von zwei Brüdern in Amsterdam ins Leben gerufen wird. Nur vordergründig geht es dabei um das Unternehmen, das sehr bescheiden – wie so manches Start-up – in einer Garage seine Anfänge hat. Vielmehr dreht sich alles um Sex und vor allem den gesellschaftlichen Umgang damit in den 80er- und 90er-Jahren.

Im Rahmen der Rubrik "Reality Check" erzählt Telefonsex-Arbeiterin und Autorin Nicole Kuhlert im Interview mit "Netflix Woche", wie realistisch die Darstellung in der Serie tatsächlich ist und wie es wirklich ist, bei einer Telefonsexhotline zu arbeiten. Seit über 20 Jahren ist sie in der Branche tätig und hat ein Buch über ihre Arbeit mit dem Titel "Die Nummer mit der Nummer: Mein Leben mit der Hotline" geschrieben. 

"Dirty Lines" kommt sehr nah an die Realität heran

In der ersten Folge tut sich Protagonistin Marly (gespielt von Joy Delima) sehr schwer damit, mit einer erotischen Stimme ins Mikrofon zu sprechen. Kuhlert erinnert sich noch gut an ihre eigene Anfangszeit und kann das Lampenfieber nachvollziehen. "Ganz viel, was passiert, wenn sich zwei Menschen im echten Leben begegnen, passiert auf der Line nicht. Der Anrufer fällt mit der Tür ins Haus. Ein wirkliches Kennenlernen gibt es nicht. Man duzt sich sofort. Man benutzt Kraftausdrücke. Man geht sozusagen sofort miteinander ins Bett. Das ist schwierig, gerade am Anfang", erklärt sie. Gewisse Worte, so die Telefonsex-Arbeiterin, bräuchten eine entsprechende Betonung, was besonders am Anfang hart sei. "Das Herz schlägt einem bis sonst wo hin. Man hat eiskalte Hände und ist klatschnass geschwitzt." Denn ein falsches Wort würde dafür sorgen, dass der Mann auflege. 

Zu der Zeit, als sie mit ihrem Job begann, habe es viel weniger Zugang zu pornografischen Inhalten gegeben. Und viele Fantasien und Fetische seien ihr damals noch gar nicht klar gewesen. "Als mich der erste Mann anrief und sagte, dass er gerade Frauenunterwäsche trägt, da dachte ich nur: 'Hä? Der lügt mich doch an!'" Als sie nach und nach die Wünsche und Fantasien der Männer kennengelernt habe, habe sie sich fragen müssen, ob sie "überhaupt gar nichts gelernt" hatte im Leben, so vieles sei für sie fremd und neu gewesen. 

"Hätte ich Kinder, hätte man auf dem Schulhof mit dem Finger auf sie gezeigt"

In "Dirty Lines" wird Marly von ihren Eltern aus dem Haus geworfen, als sie erfahren, dass sie eine Probeaufnahme für die Telefonsexhotline gemacht hat. Kuhlert glaubt, dass diese "gesellschaftliche Ächtung" auch Jahrzehnte später noch immer vorhanden ist. "Hätte ich Kinder, dann hätte ich mein Buch wohl nicht unter meinem echten Namen geschrieben. Denn dann hätten meine Kinder wahrscheinlich keine Freunde mehr gehabt, auf dem Schulhof hätte man mit dem Finger auf sie gezeigt." Den Grund für die Einstellung zu Telefonsexhotlines sieht sie in der Unehrlichkeit der Menschen. "Jeder Mensch hat Lust und jeder Mensch hat so seine Fantasien. Warum kann man nicht darüber reden?"

Genug Kundschaft habe sie auch heute noch, die Gespräche würden "Tag und Nacht, sieben Tage die Woche" laufen, auch wenn die Pandemie für ihre Branche zu spüren gewesen sei. "Die Familien waren alle zu Hause und die Männer konnten nicht auf die Line." Denn ja, auch Familienväter würden sich bei ihr melden. Manchmal würden Männer anrufen, wenn ihre Frau neben ihnen im Bett schläft, verrät sie. "Das ist schon krass. Dann merke ich, wie ich selbst plötzlich leiser spreche und mir denke: 'Oh Gott, hoffentlich wacht die Frau nicht auf.' So als wäre ich wirklich zusammen mit dem Mann im Schlafzimmer."

Faszination Telefonsex

Ihren Beruf findet Kuhlert auch nach Jahrzehnten immer noch spannend. Es gab sogar eine Zeit, in der konnte sie an nichts anderes mehr denken. "Ich war zwar jahrelang körperlich anwesend, aber geistig überhaupt nicht. Ich hatte keine Lust, essen zu gehen oder mich mit Bekannten zu treffen." Viel interessanter sei das gewesen, was sie am Telefon erlebte. "Ich war wie besessen davon, was in den Köpfen der Anrufer für Fantasien stecken." Für diese Faszination hat sie eine einfache Erklärung: "Das, was auf der Line passiert, macht doch das Leben aus." Die Line würde Gefühle, wie "Lust, Geilheit, Triebe" ganz offen darstellen. "Wir alle denken doch ständig an Sex. Und auf der Line geht es nur darum. Alle Alltagsprobleme, alle Schwierigkeiten verschwinden und es gibt nur noch dieses schöne Gefühl."

Mit der richtigen Einstellung – und den richtigen Kunden – könne es durchaus passieren, dass auch sie am Ende des Gesprächs befriedigt sei. "Es ist eine völlig andere Welt, wo nur Trieb und Lust ist. Und wo jeder so sein kann, wie er ist."

Verwendete Quelle: netflixwoche.de

csc Barbara

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