Anzeige

"Pride ist nicht nur eine Parade" Sänger Jack Strify spricht über seine Erfahrungen als offen queerer Künstler

Jack Strify
Jack Strify
© Isa Foltin / Getty Images
Bereits im Kindesalter hat Ex-Cinema-Bizarre-Sänger Jack Strify Mobbing erlebt, weil er nicht in das konservative Rollenbild gepasst hat. Mittlerweile hat er seinen Safe Space gefunden und setzt sich für die LGBTQIA+Community ein.

Pünktlich im Juni zum Pride Month werden weltweit Regenbogenflaggen gehisst. Eine schöne Geste, die viel bewirken kann. Um queeren Menschen ein guter Ally sein zu können, reicht ein Monat jedoch nicht aus. Diskriminierung und Hass endet nun einmal nicht innerhalb von vier Wochen. Künstler Jack Strify kann davon ein Lied singen und sagt deshalb: "Pride is everyday". Was er damit meint und was er vom Pride Month hält, erfahrt ihr in unserem BRIGITTE-Interview. 

"Pride is everyday" – Jack Strify über Liebe, Arbeit und Selbstbestimmung

BRIGITTE: Wir feiern bei BRIGITTE im Juni unsere Pride Week. Uns würde interessieren, was für dich der Pride Month bedeutet. Und wie wichtig ist es für dich, dass er gefeiert wird?

Strify: Als queere Person hat man nie den Luxus zu sagen, man beschäftigt sich nur einen Monat oder eine Woche lang mit queeren Themen und Problemen, weil man regelmäßig damit konfrontiert wird, sobald man nicht straight oder cis wirkt. Deswegen ist mein Motto: Pride is everyday. Für viele ist Pride oberflächlich die Parade, das Feiern rund um den Globus, aber das ist für mich eben nur die eine Party. Pride ist für mich jedoch eine ständige innere Haltung – sichtbar zu sein, Farbe zu bekennen. Kein falscher Stolz, sondern ein Manifest über Selbstliebe und -akzeptanz. Ich freue mich trotzdem über viele Pride-Aktionen, auch von Marken. Allerdings ist es wichtig, dass Marken das richtig machen und dass sie sich intensiver damit auseinandersetzen, was das denn eigentlich bedeutet, anstatt irgendwo einen Regenbogen drauf zu klatschen. Ich wünsche mir, dass queere Menschen genauso wie andere Menschen gesehen werden und nicht nur als Token. Marken und Werbung kann da auch viel bewirken. Außenstehende werden mit Dingen konfrontiert, die vielleicht nicht in der eigenen Bubble stattfinden. So zukunftsmäßig das klingt, wir sind von Algorithmen abhängig, wenn es um Social Media geht.

Mir ist aufgefallen, dass du bei Instagram deine Personalpronomen angibst, also dich mit he und they assoziierst. Das sieht man in der LGBTQIA+-Community öfters, Was für einen Hintergrund hat das?

Für viele Menschen ist es schon länger eine Selbstverständlichkeit. Selbst Instagram bietet die Option für jeden Menschen an. Man liest immer diesen großen, komplizierten Term LGBTQIA+, aber eigentlich sind damit viele verschiedene Menschen und Identitäten gemeint. Das heißt, man lernt in der Queer-Community schnell Rücksicht zu nehmen und respektvoll zu sein mit Mitmenschen, die vielleicht nicht so sind wie man selbst. Ich bin zum Beispiel ein queerer Mann, weiß aber, dass ich nicht die gleiche Erfahrung mache wie eine trans Frau oder eine Schwarze Person in der queeren Community. Deswegen hat man Wege gefunden, um besser zu kommunizieren, wie man sich identifiziert oder wie man angesprochen werden möchte. So wie ich eine Person im ersten Moment wahrnehme, heißt nicht zwingend, dass sich die Person auch selbst so identifiziert. Es ist ein Zeichen von Respekt. Pronomen sind ein Zeichen, um auszudrücken: "Hey, ich sehe dich, ich respektiere deine Pronomen."

Du bist auch Teil der neuen Kampagne 'Hair has no Gender' von Pantene Pro-V, die unter anderem aufzeigt, dass der Arbeitsplatz zum Beispiel für viele noch nicht ein Safe Space ist. Wie hast du das in deinem Work Place erlebt und wie bist du damit umgegangen?

Ich bin mittlerweile in einer sehr vorteilhaften Situation, weil ich meinen Platz bestimmen kann und mein eigener Chef bin. Ich habe das aber auch schon mitgemacht in verschiedenen Jobs, der Schule oder Uni. Von Anfang an ist es wichtig, wie man sich definiert und ob man reinpasst. Ich spreche da mit vielen Freunden drüber, die vielleicht nicht den Luxus haben und der eigene Boss sein können und weiß, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich ungerne outen möchten am Arbeitsplatz oder damit warten wollen, weil man sich erst sicher fühlen möchte. Gerade der Arbeitsplatz ist ein Ort, an dem man so viel Zeit verbringt und die eigene Identität sollte nicht der größte Stolperstein sein. Daher finde ich die Kampagne von Pantene Pro-V so wichtig, da sich nur etwas ändern kann, wenn Menschen sich dem Problem bewusst werden und queeren Menschen die Angst genommen wird, sie seien allein und müssten sich verstecken.

Mir ist in dem Video aufgefallen, dass du ein Tattoo hast. Da steht 'Boys do Cry? Das spiegelt eine leichte Kritik an Gender-Klischees wider. Wie stehst du zu traditionellen Gender-Rollen?

Das ist das Thema meines Lebens, diese Frage, wer bin ich, was erwarten die Leute von mir. Mir war immer wichtig, mich ausdrücken zu können. Ich habe bemerkt, dass das nicht für alle so selbstverständlich und cool ist, wie für mich. Ich wurde erst vor Kurzem gefragt, was die erste Frage war, die ich mir auf meiner Selbstfindungsreise gestellt habe. Mir ist dann bewusst geworden, dass die erste Frage wahrscheinlich war: Was ist falsch mit mir? Und das ist echt traurig. Das Tattoo habe ich mir stechen lassen, weil ich finde, dass Weinen kein Zeichen von Schwäche ist. Das Tattoo ist direkt an meinem Hinterarm, im Sommer sieht das jeder.

Wie hast du für dich gemerkt, dass du queer bist? Und was hat dich bestärkt darin? Oder geholfen, das frei ausleben zu können?

Das Wort queer gab es noch nicht in meinem Sprachgebrauch, als ich zur Schule ging. Das Wort Mädchen und schwul wurden mir gerne an den Kopf geworfen, bevor ich selbst herausfinden konnte, wer ich bin und wie ich mich fühle. Die Entscheidung wurde mir genommen, sowohl auf dem Schulhof als auch in der Familie. In den letzten Jahren habe ich das Wort queer für mich entdeckt. Es beschreibt mich am besten, weil es nicht nur Sexualität, sondern auch Gender-Identität beschreibt und, dass man mit gewissen Normen brechen möchte.

Und was hilft dir, deine Queerness auszuleben? Was hat dir geholfen, den schwereren Weg zu gehen?

Freunde und meine Therapeutin sagen, dass es bewundernswert ist, dass ich so früh eine so starke Resilienz und Durchsetzungsfähigkeit in mir hatte. Ich hatte das Glück, dass sich diese Stärke in mir gefunden habe, bevor ich diese Community gefunden habe, die mir den Rücken stärkt. Ein wichtiger Anlauf für mich war tatsächlich das Internet in der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin. Das hat mein gesamtes Leben verändert – angefangen bei MySpace und Foren hin zu Instagram. Als ich die ersten queeren Clubs besucht habe oder Drag-Queen-Begegnungen hatte, war ich extrem nervös und hatte Angst davor und heute ist es eben mein Safe Space, mein Zuhause.

Das Internet bietet viel, ist aber auch ein Ort der Hetze und des Mobbings. Wie gehst du mit Anfeindungen im Netz um?

Am liebsten würde ich gar nicht damit umgehen müssen. Dadurch, dass ich als Kind und Jugendlicher schon viel Mobbing erlebt habe, habe ich eine dicke Haut aufgebaut. Die meiste Kritik, die ich bekomme, bekomme ich leider nur aufgrund meiner Existenz, meines Daseins, dass ich für mich beanspruche, glücklich und sichtbar zu sein. Das provoziert viele Leute und das wird zum Politikum gemacht, was für mich sehr unverständlich ist. Ich habe nicht die harte Schule von Mobbing durchgemacht, um mir jetzt von Leuten im Internet, die ich gar nicht kenne, sagen lassen zu müssen, wer ich zu sein habe oder dass ich mich verstecken sollte. Deswegen ist es ein Luxus, das Handy dann zur Seite legen zu können. Den hatte ich in der Schule nicht. Das heißt nicht, dass es mich nicht trotzdem beschäftigt. Dadurch, dass die Leute einen so politisieren, vergessen sie oft, dass ich ein Mensch bin und dass ich eigentlich nur das Gleiche will wie jeder andere Mensch. Ich will einfach nur glücklich sein, ich will respektvoll behandelt werden. Die Absprache meiner Existenz sollte keine Meinung sein.

2015 hast du im Interview mit "Bild" über deine Zeit bei Cinema Bizarre gesprochen. Unter andere darüber, dass ihr nicht offen kommunizieren durftet, dass ein paar der Bandmitglieder schwul seien. Wie schlimm war der Druck, oder ist er bis heute noch?

Es hat sich viel verändert, aber es verändert sich langsamer, als ich es gerne hätte. Vor vier Wochen erst habe ich jemanden von meiner alten Plattenfirma getroffen, und ich habe ihm gesagt, dass es manchmal ein bisschen schwierig war. Er meinte, er hätte das damals gar nicht mitbekommen und dass das heute nicht mehr vorstellbar wäre. Ich glaube, die Industrie will, dass das heute nicht mehr vorstellbar ist, aber ich habe bei anderen Künstlern mitbekommen, dass es die Gespräche gibt – zumindest inwiefern man Queerness zurückhalten solle. Man sei halt nicht so gut vermarktbar. Ich habe auch das Gefühl, dass Deutschland langsamer ist als andere Länder. Deutsche Plattenfirmen waren immer so gut darin, Äquivalente für amerikanische Künstler zu finden. Warum machen sie das nicht auch mit queeren Künstlern? Warum gibt es noch keinen Troye Sivan, Sam Smith oder Lil Nas in Deutschland? Es gibt queere Künstler, die erfolgreich sind, aber nicht auf dem Level, wie in UK und Amerika. Und ich muss auch sagen, es gab nie ein Verbot bei uns. Es waren eher absurde Diskussionen darüber, wie man etwas ausspricht oder was für Make-up man trägt. Wir waren noch sehr jung und selbst unsicher. Wir wollten das auch selbst zu Beginn nicht an die große Glocke hängen, bevor wir uns sicher waren, wer wir sind.

Ebenfalls meintest du, dass das biologische Geschlecht oder Genderidentitäten beim Dating für dich keine Rolle spielen würden. Stimmt das? Und wie definierst du Liebe für dich?

Ich muss es gar nicht definieren, weil Liebe und Sexualität zwei ganz andere Sachen für mich sind. Ich habe ganz viel Liebe in meinem Leben, auch durch Freundschaften, die mir viel Halt geben und superwichtig sind in meinem Leben. Ich glaube, dass ein Partner oder eine Partnerin diesen Anspruch nicht immer komplett erfüllen muss. Liebe ist unisex und Sexualität ist noch einmal etwas anderes. Bei der Sexualität gibt es schon gewisse Eigenschaften, die mich mehr anziehen als andere. Das ist vielleicht Maskulinität in vielen Dingen, aber das ist egal, ob es ein cis Mann oder ein trans Mann ist zum Beispiel. Wenn man sich auf einem Level begegnet und sich angezogen fühlt, kann man den Rest auch herausfinden.

Eine Frage, die vielleicht User:innen interessiert, die wenig Berührungspunkte mit der queeren Community haben: Wie kann man auch als heterosexuelle Cis-Person die LGBTIQA+-Community unterstützen?

Ich finde es superwichtig, dass es Leute gibt, die sich für Leute einsetzen, die nicht so aussehen und so fühlen wie man selbst. Die Queer-Community ist ein Safe Space und ist wichtig und großartig, aber die Community kann nicht so viel erreichen ohne Allys. Das fängt an mit empathisch sein, also Menschen zuhören, Verständnis haben, die Leute nicht anzweifeln, wenn die Erfahrung eine andere ist als die eigene. Mittlerweile kann man viel im Internet finden. So viele Leute erzählen ihre Geschichte, haben super Tipps. Ich als queere Person kann auch ein Ally für trans Personen sein. Für mich ist der Anfang, zuhören und dann im zweiten Schritt keine Angst haben, den Mund aufzumachen. Mir ist in den letzten paar Jahren aufgefallen, wie wenig Zivilcourage es gibt. Man sollte keine Angst vor Themen haben und ehrliche Gespräche führen, sich selbst den Spiegel vorhalten, um dann zu verstehen, wie man sich für Leute einsetzen kann. Ich werde dem nicht müde! Wenn Freunde Menschen misgendern oder Begriffe verwenden, von denen ich weiß, dass sie trans Personen als beleidigend sehen könnten, sage ich das. Und ich komme dann nicht mit dem großen Hammer, sondern ich sage das jedes Mal wieder – das bleibt irgendwann hängen.

Vielleicht kann es ohne die große Moralkeule auch besser angenommen werden?

Menschen ändern sich nicht von einem Tag auf den anderen. Das habe ich auch mit meinem Vater, der viele Berührungsängste hatte, gemerkt. Dadurch, dass ich ihm den Raum gegeben habe, sich zu entwickeln, es aber auch eingefordert habe, ist es über einen Zeitraum entstanden. Es geht mir nicht um Verbote oder Dinge nicht tun zu dürfen, sondern darum, dass man versteht, warum das nicht cool ist, das zu tun.

Brigitte

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel