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Zu müde zum streiten: Ist das gut oder schlecht?

Zu müde zum streiten: Ist das gut oder schlecht?
© N.Melanjina/shutterstock
Brigitte-Redakteurin Daniela Stohn hat früher gut und gern gestritten. Doch inzwischen sind ihr Konflikte oft zu anstrengend und zeitaufwendig. Ist das gut oder schlecht?

Streitlust ade - denen gehe ich lieber aus dem Weg

Neulich saß ich mit zwei Freundinnen bei einem Glas Wein, als die eine plötzlich diesen Satz raushaute: "Manchmal wäre ich gern so egoistisch und dominant wie du, nicht so ein Opfertyp, auf dem immer alle herumtrampeln." Ich war sprachlos. Überhaupt sagte ich nicht mehr viel an diesem Abend. Leider auch nicht zu diesem Satz, den ich ziemlich unverschämt fand. Bis heute habe ich es nicht geschafft, mit ihr über meinen Ärger zu sprechen. 

Wo ist bloß meine Streitlust geblieben? Mein Mut anzuecken? Früher bin ich keiner Konfrontation ausgewichen, aber jetzt, mit Mitte 40, gehe ich Streitereien lieber aus dem Weg - im Job wie in Beziehungen. Rege mich nur innerlich kurz auf, wenn eine Kollegin nicht fair behandelt wird, spreche nicht mit einer alten Freundin über die (guten) Gründe, warum ich mich nicht mehr mit ihr treffen möchte, und lasse meinen Sohn doch noch zehn Minuten daddeln, um einen Wutanfall zu vermeiden. Ich bin manchmal einfach so müde. Und besorgt.

Warum Streiten wichtig für uns ist

Der Friede ist nicht echt, in Wahrheit brodelt es in mir

Denn Gelassenheit ist zwar schön und gut, aber Streiten ist auch wichtig, das weiß ich natürlich: Wir grenzen uns darüber ab und stärken unsere Bedürfnisse. Rückzug und Nachgeben sind passive Konfliktlösungsstrategien, die langfristig nicht guttun. Im harmlosen Fall bedeuten sie, dass ich den Rest meines Lebens die Waschmaschine allein ausräume. Im schlimmsten Fall riskiere ich eine Beziehung. Denn der Friede ist ja nicht echt, in Wahrheit brodelt es in mir. 

"Wir haben, gerade wenn wir älter sind, eine realistische Einschätzung davon, ob es sich lohnt, etwas zu sagen, und ob sich der Konflikt gut klären lässt", erklärt mir die Psychologin Berit Brockhausen, Autorin des Buches "Schöner streiten". "Paare, die bereits länger zusammen sind, haben feststellen müssen, dass es eine ganze Menge unlösbarer Probleme gibt. Die Auseinandersetzung darum führt nur dazu, dass es beiden schlecht geht. Warum also wieder damit anfangen? Ebenso im Job. Nach einiger Zeit haben Sie raus, welche Konflikte sich durch Ansprechen lösen lassen und welche nicht. Warum angespannte Stimmung im Büro ertragen, wenn es eh nichts bringt?" Genauso ist es: Ich arrangiere mich. Aber wirklich befriedigend ist das oft nicht. Manchmal denke ich danach: Hättest du mal was dazu gesagt, einfach nur für dein gutes Gewissen, selbst wenn es nichts ändert. Denn nichts zu sagen, signalisiert immer Einverständnis. Dabei bin ich ja gar nicht einverstanden. Ich bin zu bequem geworden, um mich zu streiten.

Auch schwierige Konflikte müssen geklärt werden - auch wenn es bequemer ist sich zu drücken

Berit Brockhausen rät, sorgfältig zu prüfen, womit man seinen Frieden machen kann, um seine Werte nicht zu verraten - und womit nicht. Meine No-­go­-Area ist eigentlich klar: Wenn ein naher Verwandter, so wie neulich beim Familienfrühstück, in eine seiner AfD-­Lobreden einfällt, halte ich dagegen. Auch den Abends­-liegen-die-­Handys-­im-­Flur-­Kampf nehme ich mit den Kindern jeden Tag von Neuem auf. Aber was ist mit der Grauzone: kleine herabsetzende Bemerkungen mir oder anderen gegenüber? Ansagen von Vorgesetzten, mit denen ich nicht einverstanden bin? Oder der Entscheidung eines Freundes, den gemeinsam geplanten Sommerurlaub für ein paar Tage zu unterbrechen, weil er sich in der Firma unabkömmlich fühlt? Hier muss ich wieder streitlustiger werden, meine Grenze neu justieren, damit es sich für mich richtig anfühlt. "Das ist schwieriger als früher. Denn die einfachen Konflikte haben Sie bereits ausgefochten, die lösbaren Probleme gelöst", sagt Berit Brockhausen. "Jetzt ist es Zeit, sich den schwierigen Aufgaben zu stellen." Nächste Woche bin ich mit meiner Freundin verabredet. Wir müssen reden. 

Brigitte 14/2018

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