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Warum Männer anders mit Krisen umgehen

Warum gehen Männer anders mit Krisen um?
© Loreanto / Shutterstock
Männer verstecken ungute Gefühle meistens hinter Abwehrmechanismen. Wieso ist das so? Ein Psychotherapeut erklärt, was Männer und Frauen in der Krisenbewältigung unterscheidet.

BRIGITTE: Was machen Männer in Krisen anders als Frauen?


WERNER DOPFER: Prinzipiell verfallen alle Menschen nach einem kritischen Ereignis erst mal in einen sogenannten Schockzustand. Dann kommt die Phase der Verneinung. Man will es nicht wahrhaben. In dieser Verneinung verharren Männer tendenziell länger als Frauen, weil die männlichen Wege, mit solchen Ereignissen umzugehen, oftmals andere sind. Man nennt das auch Gefühlsabwehr. Wenn ich verneine, dann versuche ich das abzuwehren, was mir Schmerz zufügt.

Mein Lieblingssatz von Männern ist: "Meine Frau hat mich nach 17 Jahren plötzlich verlassen, ich war total ahnungslos." Jede Frau würde sagen, dass da schon lange was im Busch war ...

Männer spüren das durchaus auch, nur meist nicht so schnell wie Frauen. Aber dieses Nicht-wahrnehmen-Wollen ist eine Form von Rationalisierung. Wenn ich in meinen Beratungen Männer frage, ob es sein könnte, dass ihre Frau unter Umständen einen anderen hat, dann ist der typische Satz: Nein, das kann ich mir bei meiner Frau überhaupt nicht vorstellen.

Und dann schmunzeln Sie unbemerkt ...?

Dann sage ich, dass die Außenbeziehungsquote in etwa bei 50 Prozent liegt. Aber das ist genau das, was ich versucht habe, zu beschreiben: Männer spüren zwar, aber sie lassen es nicht zu. Das ist eine Form von Gefühlsabwehr, wovon es mehrere Arten gibt. Erstens: Schweigen und Alleinsein, das ist die sogenannte männliche Distanzierung. Zweitens: Die Selbstdarstellung – ich bin der Beste, also mir passiert so was nicht! Drittens: Rationalität. Da werden Gründe angeführt, die zwar logisch klingen, aber nichts erklären. Die Beziehung war sowieso schön müde, der Job war ja eh nicht erfüllend. Und viertens: Handlungsorientierung als ein typisch männlicher Abwehrmechanismus. Oft gehören Konkurrenz- und Leistungsdruck dazu.

Sagen Sie dafür mal Beispiele?

Oft stürzen sich Männer in die Arbeit, sprich in die Handlung: machen, machen, machen, leisten und konkurrieren. Ich erinnere mich an einen Klienten – einen Manager – , der im Alter von 26 Jahren von seiner großen Liebe verlassen wurde. Seine Enttäuschung und Kränkung, seinen Schmerz hat er nicht zugelassen, sondern in Arbeit erstickt. Als er 20 Jahre später dann seinen Job verloren hat, saß er bei mir, und plötzlich kam der ganze Trennungsschmerz hoch. Er hatte seine Gefühle jahrelang unterdrückt.

Passt dazu auch, dass Männer oft sehr schnell nach einer Trennung wieder eine neue Partnerin haben?


Ja genau, das ist ein weiteres männliches Charakteristikum, mit Krisen umzugehen: Ergebnis- statt Prozessorientierung. Statt sich auf den Prozess des Trauerns wirklich einzulassen, suchen sie sich schnell eine neue Frau oder eine besondere Herausforderung bzw. exzessive Beschäftigung. Das erlebe ich wirklich sehr häufig. Einen Verlust zu verarbeiten, braucht nun mal Zeit. Nicht selten kommen die Klienten jedoch innerhalb kürzester Zeit wieder und berichten, sie hätten jemanden Neuen kennengelernt. Auch eine Kündigung kann am eigenen Selbstwert nagen oder gar Versagensängste mit sich bringen. Sich schnell einen neuen Job zu suchen, vermittelt zwar vordergründig Sicherheit, ist aber keine emotionale Verarbeitung.

Gibt es eigentlich einen Richtwert, wie lange man braucht, um eine Trennung oder einen anderen Verlust zu verarbeiten?


Bei starken Verlusten wie Tod oder Trennung sollte man sich mindestens ein Jahr geben und einmal alles – Geburtstage, Weihnachten, Silvester, Urlaube – ohne den Partner erleben.

Und das scheint mir nicht mal lange ...

Das ist eine Faustregel. Aber Männer können es oftmals nur schwer aushalten, sich dieses Jahr zu geben. Sie haben jedoch mein Mitgefühl, weil es in der Tat nicht leicht ist. Sie sind leider Meister im Verdrängen.

Warum tun sie das?

Es gibt ja immer eine soziokulturelle und eine genetische Erklärung. Die soziokulturelle heißt: Männer haben Angst, dass sie nicht mehr funktionieren und ihre Rolle als Mann nicht mehr gewährleistet ist, wenn sie Schwäche zugeben oder Trauer intensiver zulassen würden. Das entspricht leider nach wie vor nicht dem klassischen Bild des starken Mannes. Dazu kommt, dass die Fähigkeit zur Empathie – auch zur Reflexion der eigenen Emotionswelt – bei Männern deutlich geringer ausgeprägt ist. Frauen sind da von Natur aus besser ausgestattet.

Tun sich Männer deshalb so schwer, über Gefühle zu sprechen?

Ja, speziell Gefühle wie Angst und Trauer werden nach wie vor zu stark mit Schwäche und Unzulänglichkeit assoziiert. Männer sprechen deshalb lieber vom Burn-out statt von einer Depression. Aber wenn es um die Arbeit geht, öffnen sich Männer leichter. Auch der Tod der Eltern oder Kinderthematiken gehen noch ganz gut, weil diese weiter von ihnen weg sind. Aber das Thema Partnerschaft fällt Männern schon sehr schwer. Das hat auch ganz viel mit ihrem eigenen Selbstwert und der männlichen Identität zu tun.

Und wenn sie überhaupt zum Therapeuten gehen, ist das auch eher – sagen wir – ergebnisorientiert, oder?

Ja, das kann ich durchaus bestätigen. Oft höre ich nach zwei, drei Sitzungen: "So, jetzt haben wir ja alles besprochen." Das ist aber weit entfernt davon, sich drauf einzulassen, dem richtig nachzuspüren.

Und wie reagieren Sie dann?

Druck bringt da gar nichts. In der Regel lasse ich es erst einmal so stehen. Aber ich bin jederzeit für meinen Klienten da und er darf mich immer anrufen. Gerade so ein Angebot im Hinterkopf ist für Männer unheimlich gut.

Melden die sich tatsächlich wieder?

Ja, häufig rufen sie nach geraumer Zeit wieder an, weil die problematischen Themen immer noch aktuell sind.

Gehen Männer eigentlich lieber zu männlichen Therapeuten?

Gemäß meiner Erfahrung würde ich sagen Ja. Ich habe viele männliche Klienten. Das liegt auch daran, dass es weniger männliche als weibliche Therapeuten gibt.

Oft kompensieren Frauen ja die Krisen-Unfähigkeit ihrer Männer, indem sie allein zur Therapie gehen ...


Das ist ein Klassiker. Ich bitte die Klientin dann meistens, ihren Mann einfach mal vorbeizuschicken, damit ich ihn unverbindlich kennenlernen kann.

Und das funktioniert?

Unglaublich aber wahr: In 25 Jahren hat das Angebot noch keiner der Männer abgelehnt. Das ist eine Mischung aus Neugier und dem Wunsch, auch mal das eigene Herz auszuschütten oder die Sache richtig stellen zu wollen. Außerdem geht es ja beim Kennenlernen erst mal um nichts. Das wirkt längst nicht so bedrohlich, wie in Therapie zu gehen und sich zu offenbaren. Noch ein interessanter Aspekt, den ich beobachtet habe: Speziell bei starken Frauen haben Männer Angst vor Bloßstellung.

Wie sagen Sie’s der Frau?

Ich versuche, die Frauen zu ermutigen, mehr Verständnis für das Seelenleben der Männer aufzubringen. Wenn Männer weinen, ist es oft wie ein Vulkanausbruch. Da hat sich viel angestaut. Das sollten Frauen wissen. Sie sollten aber auch erkennen, dass Männer ihre Gefühle teilweise unbewusst hinter körperlichen Symptomen, wie zum Beispiel Rücken- oder Kopfschmerzen, verbergen.

Ist die jüngere Generation da anders?

Ja, auf jeden Fall! Das erlebe ich zunehmend. Die jetzt 30-Jährigen sind offener gegenüber psychologischen Themen im Allgemeinen und setzen sich viel mehr mit sich selbst auseinander. Der männliche Lernprozess bei der Bewältigung von Krisen ist insofern schon im Gange.

Was können Eltern in diesem Bereich ihren Söhnen mitgeben?

Das Beste ist ja immer das eigene Vorbildverhalten: Offenheit, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Humor, eine gewisse Gelassenheit – das sind alles Kompetenzen, um Krisen gut zu durchstehen. Damit haben sie eine solide Basis gelegt. So lange sie selbst Konflikte nicht totschweigen und Kinder damit zum Verdrängen ihrer Gefühle anregen, sind sie auf einem guten Weg.

Werner Dopfer ist Psychologe und seit mehr als 20 Jahren in München als Psychotherapeut, Coach und Managementberater tätig (www.werner-dopfer.de). 

BRIGITTE 6 / 2018

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