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Wenn der heimliche Lover stirbt Wenn der heimliche Geliebte stirbt

Wenn der heimliche Geliebte stirbt: Pärchen hält sich im Arm
© Maksym Fesenko / Shutterstock
Sie ist Anfang 50 und schon lange mit jemand anderem verheiratet. Dennoch ist ihr Ex-Freund die heimliche große Liebe ihres Lebens. Und als er stirbt, muss sie auch ihre Trauer verheimlichen
Carola Meißner

"Das kann er doch nicht machen", war das Erste, was ich dachte, als ich erfahren habe, dass Caspar gestorben ist. Ich stand am Fenster meiner Wohnung, als die SMS kam. Von seiner Lebensgefährtin, die sie unpersönlich und vorformuliert wohl an alle seine Kontakte geschickt hat. Letzte Nacht sei er eingeschlafen.

Ich habe ihn immernoch geliebt

Ich wusste, dass er über drei Jahre gegen den Krebs angekämpft hatte. Caspar hat gegen viel und für viel gekämpft, hat für seine Überzeugungen eingestanden, und er war ein Baum von Mann, der die Krankheit nicht akzeptieren wollte. Der neun Leben hatte, wie er mal sagte. Ein sturer Westfale, ein besonderer Mensch. Ich hätte vor Wut alles kurz und klein schlagen können, zornig darüber, dass er für diesen Kampf kein weiteres Leben übrig gehabt hatte. Ein Mann wie er, der verschwindet doch nicht.

Caspar, 19 Jahre älter als ich, den ich in den letzten 20 Jahren eine Zeit lang meinen Liebhaber und Partner, aber immer meinen Freund nennen durfte. Einer wie er, der ist doch eine Konstante in meinem Leben. Jetzt soll er fort sein. Wer soll jetzt in meine Seele schauen und wissen, wann ich traurig bin, bevor ich selbst es weiß? Ich wählte seine Nummer. Hörte seine Stimme, die mir sagte, er rufe zurück. Das hatte er auch immer getan. Er war für mich da. Auch nachdem wir uns getrennt hatten. Ich wollte damals zusammenziehen, Sicherheit und ein geregeltes Leben. Das konnte er mir nicht geben. Er war geprägt von Freiheitsdrang, lebte extrem und ohne Grenzen. Er ließ sich nichts sagen und hasste Regeln. Er eckte deswegen auch oft an, aber auch das machte ihn aus. Wir beendeten unsere Beziehung nicht im Bösen; es war uns beiden klar, dass es nie ganz vorbei sein würde. Geliebt hab ich ihn immer noch.

Ich fühle mich wie eine Witwe, ohne es sagen zu können

Caspar blieb ein fester Punkt, eine Anlaufstelle in meinem Leben. Wenn ich Streit mit meinem Mann oder Ärger im Job hatte, wenn etwas Wichtiges passierte, habe ich ihn zuerst angerufen. Und wenn ich bei Caspar war, war es ganz was Besonderes. Alltagslos war es. Seine Wohnung unser Kokon, von der Außenwelt abgeschirmt. Hier waren nur wir. Kleine Fluchten, Auszeiten, Pink Floyd mit "Comfortably Numb" und "Shine On You Crazy Diamond". Intensiv und extrem, wundervoll und verrucht, auch der Sex, den wir immer noch und immer wieder hatten. Aber vor allem die Gespräche, Diskussionen bis spätnachts bei Weißwein und Joints. Seinen messerscharfen Verstand, seinen intelligenten Witz und seine punktgenauen Formulierungen habe ich geliebt. Eine Beziehung kann man beenden. Diese besondere Art der Liebe nicht. Ich jedenfalls konnte es nicht. Für meinen Mann war Caspar nur mein Ex aus früheren Zeiten, sonst nichts. Er ahnte nicht, dass ich vor allem bei ihm war, wenn ich wieder mal in meine alte Heimatstadt Frankfurt fuhr, für ihn traf ich mich nur mit alten Freunden aus meiner Clique. Ich habe ihm die Affäre dann doch irgendwann gebeichtet, weil ich klare Strukturen in meiner Ehe wollte. Ich habe meinem Mann versprochen, dass ich sie beende und den Kontakt zu Caspar abbreche. Ich habe das auch wirklich versucht. Ich habe es nicht geschafft. Wie sich herausstellte, konnte ich wohl nicht mit, aber auch nicht ohne ihn. Dabei war und bin ich, so merkwürdig das klingt, sehr glücklich mit meinem Mann. Aber meine Ehe hatte mit dieser einen Liebe nichts zu tun.

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Meinen Freundinnen erzählte ich nichts

Caspar war die letzten Jahre ebenfalls in einer festen Beziehung gewesen. Seine Partnerin wusste, dass es mich mal gegeben hatte und dass wir ab und zu noch telefonieren, mehr wusste sie nicht. Auch meinen Freundinnen hatte ich nichts erzählt. Mir war klar, dass sie es nicht gut finden würden, dass ich meinen Mann betrüge, und ich hätte Angst gehabt, dass eine von ihnen sich mal verplappert. Außerdem sollte Caspar mein Geheimnis bleiben. Und so war es dann auch. Keiner wusste, dass wir noch so eng verbunden waren. Und der Preis dafür war, dass ich nun allein war mit meiner tiefen Trauer, die ich mit niemanden teilen konnte. Ich hatte mich immer so wohl und geborgen bei ihm gefühlt, und oft wie von innen mit Glück angemalt. Bis zuletzt. Auch wenn es irgendwann keinen Sex mehr geben konnte, weil er so krank war. Da hab ich ihn trotzdem besucht, und wir haben geredet. Und nun würden wir nie wieder miteinander reden können. Ich war eine Art Witwe, ohne es öffentlich erklären zu können. Ich fühlte mich entsetzlich einsam.

Als ich einkaufen ging, sah ich nur Dinge, die ihm gefielen

Ich überlegte, ob ich meinem Mann doch noch die ganze Wahrheit erzählen sollte, dass der Kontakt zu Caspar nie abgerissen ist – auf einen Toten durfte man ja nicht mehr eifersüchtig sein. Aber ich habe es dann nicht getan, weil es mir einfach zu egoistisch vorgekommen wäre, und weil ich ihn nicht verletzen wollte. Die folgenden Wochen waren entsetzlich. Ich bekam vor Traurigkeit Kopf- und Rückenschmerzen. Wenn ich einkaufen ging, sah ich plötzlich nur Dinge, die Caspar gern gekauft hatte, wenn er für uns kochte. Den Geruch von Sherry unserer Marke konnte ich nicht mehr ertragen. Alles schmerzte. Wenn ein Moment zwischen Caspar und mir sehr schön war, hat er meine Hand genommen und gesagt: "Wir frieren diesen Augenblick ein und halten ihn fest." Natürlich kann ich nicht wissen, wie ein normales Leben mit uns ausgesehen hätte – wenn der Alltag eingezogen wäre. Wenn man sich um profane Dinge wie Müll runterbringen oder Einkaufen streitet. Aber ich frage mich, ob wir es nicht doch hätten versuchen sollen. Unsere Beziehung mehr und im Offenen zu leben, nach unseren eigenen Regeln, ohne Heimlichkeiten. So kann ich nur zurückdenken und dankbar sein. Versuchen, Augenblicke einzufrieren und festzuhalten.

Ende März war die Seebestattung, wie ich erfahren habe. An dem Tag war ich auch am Meer und hab an ihn gedacht. Es tut immer noch weh, aber meine Trauer ist manchmal gnädig. Sie lässt mich immer öfter in Ruhe, und dann kann ich einfach so an ihn denken. Und daran, was er mir gewesen ist und immer sein wird.

* Die Autorin schreibt unter Pseudonym

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BRIGITTE16/2019

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