Anzeige

Was ist Resilienz? Eine Expertin klärt auf

Was ist Resilienz?: Frau sitzt am Wasser
© macondo / Shutterstock
Gerade in Zeiten wie diesen wird unsere Widerstandskraft gefordert. Was wir daraus lernen? Wir können erkennen, wer wir sind, sagt die Resilienzexpertin Dr. Jutta Heller.

BRIGITTE: Sie unterrichten Einzelpersonen, aber auch Unternehmen darin, wie sie krisenfest werden. Steht bei Ihnen momentan das Telefon nicht mehr still?

Prof. Dr. Jutta Heller: Jein. Es gab zunächst vor allem Absagen von bereits vereinbarten Terminen, weil ja nichts mehr in Gruppen gemacht werden soll und Trainings oder Vorträge damit ausfallen müssen. Erst allmählich werde ich für Online-Coachings und Webinare angefragt. Für viele stehen ja jetzt erst mal finanzielle Probleme im Vordergrund, Ausgaben für die Psyche werden demgegenüber erst mal zurückgestellt.

Dann trifft die Corona-Krise auch Sie direkt und verringert Ihre Einnahmen. Haut Sie das als Fachfrau für Resilienz, wie Fachleute die psychische Widerstandskraft nennen, noch um?

Ich betreibe mit meinem Mann ja noch ein Hotel und unsere neun Mitarbeiter sind alle in Kurzarbeit. Es gab Momente, wenn ich über meinen Finanzen saß, da war ich überrascht, wie stark alte Ängste plötzlich wieder hochkamen. Ich fühlte mich wie in einem Engpass.

Und dann?

Zwei Tage habe ich schon ein bisschen am Rad gedreht, aber mich dann gefragt: Was machst du da eigentlich gerade? Ich bin ein wenig auf Abstand gegangen und anschließend mit relativ kühlem Kopf das angegangen, was jetzt zu tun und zu beantragen ist – auch wenn ich, wie ich dann festgestellt habe, in diesen Dingen deutlich langsamer war als sonst. Und ich habe begonnen zu überlegen, wie ich meine Arbeit als Coach durch neue Ideen oder Partner jetzt zumindest konzeptionell voranbringen kann. Dieses Umschalten kann ich mittlerweile gut. Aber mir ist wichtig zu betonen: Erst mal in ein Loch zu fallen, ist völlig normal. Etwas passiert, man kann nicht weitermachen wie bisher und kommt dadurch in Schieflage. Das gehört dazu.

Dann bedeutet Resilienz nicht, dass alles an einem abperlt?

Gegen dieses Bild einer Rüstung mit Teflonbeschichtung wehre ich mich. Das bedeutet ja: Man lässt nichts an sich heran, schottet sich ab, macht dicht. Man muss zulassen und wahrnehmen, dass man sich in der Krise verändert und welche inneren Reaktionen und Gefühle entstehen. Nur so können wir passende Wege für uns finden.

Wodurch zeichnen sich resiliente Menschen dann aus?

Sie fallen nicht so tief, erholen sich schneller und können hinterher durch Reflexion sogar in eine Lernkurve kommen. Der Begriff Resilienz stammt ursprünglich aus der Physik und bedeutet, etwas reagiert situationselastisch.

Klingt gut. Aber wie genau gelingt das?

Zu diesem Prozess tragen viele kleine Mechanismen bei. Insgesamt unterscheide ich sieben Resilienzschlüssel, die Menschen stark machen. Welcher am wichtigsten ist, ist individuell verschieden, und natürlich ergänzen sie sich gegenseitig. In der Regel fängt es aber mit Akzeptanz an.

Es ist, wie es ist.

Genau. Nicht ins Hadern rutschen, ins Jammern und darin, sich als Opfer zu sehen. Das hilft nichts, verschwendet Energie und stabilisiert schlechte Gefühle, die einen noch weiter runterziehen. Was wir stattdessen brauchen ist Optimismus.

Die rosarote Brille ...

Nein, es geht um die Haltung: Selbst wenn es gerade schrecklich ist und schlecht läuft, vertraue ich darauf, dass es wieder besser wird. Ich bin ein großer Fan von Viktor Frankl, dem österreichischen Psychiater, der die Konzentrationslager der Nazis überlebt hat. In seinem Buch "Trotzdem Ja zum Leben sagen" beschreibt er, wie wichtig Humor, Singen, Musizieren selbst in Auschwitz für ihn waren. Denn wer singt, kann nicht gleichzeitig über seine Sorgen und Probleme nachdenken. Das heißt: Trotz aller Schwierigkeiten dürfen wir die Dinge leicht nehmen. Und ja, uns auch ein klein bisschen besser reden, als sie sind. Den Blick auf das zu lenken, was trotz allem möglich ist, was heil geblieben ist – selbst wenn es nur kleine Dinge sind –, dafür brauchen wir allerdings gerade in Extremsituationen oft die Unterstützung aus dem Freundeskreis oder von einer Therapeutin.

Dann ist man nie allein stark?

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen Kontakte, und wir sollten uns trauen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten und diese anzunehmen. Das ist ein Ausdruck von Stärke. Es gibt leider viel zu viele Menschen, die sagen: Ich krieg das allein hin. Dabei hilft der Blick von außen auch dabei, uns auf neue Lösungen und neue Wege zu bringen, wie es weitergehen kann.

Das Gute sehen, neue Perspektiven entwickeln, loslassen – ist das nicht ganz schön viel verlangt, wenn man gerade den Boden unter den Füßen verliert ...?

Natürlich. Es geht ja auch darum, erst einmal den Schock zu überwinden. Und da ist es gut und hilfreich, sich erst mal nur aufs Funktionieren zu konzentrieren. Man weiß aus der Arbeit mit Traumapatient*innen, dass Struktur ganz wichtig ist. Man braucht einen klaren Tagesablauf und Routinen: um acht Uhr Frühstück, um zwölf Mittag-, um 18 Uhr Abendessen und danach eine Stunde spazieren gehen. Das gibt Halt, denn gerade diese Struktur geht ja verloren, wenn Menschen zum Beispiel ihre Arbeit oder sogar einen Angehörigen verlieren. Erst nach dieser Stabilisierung kann man wieder in die Welt hinausgucken und hat die Kapazität, sich wirklich emotional mit der Veränderung auseinanderzusetzen.

Gibt es auch gezielte Strategien als Erste-Hilfe-Maßnahmen?

Ein Rettungsring ist bewusstes Atmen, denn so schafft man es, zumindest kurz Abstand zu den eigenen Gefühlen zu schaffen. Je öfter man das übt, desto eher gelingt es, aus den Reiz-Reaktions-Automatismen herauszukommen und wieder denkfähig zu werden.

Zeigt sich erst in der Krise, wer stark ist? Oder kann man die eigene Widerstandskraft auch vorbeugend trainieren?

Wir alle haben doch im Laufe unseres Lebens kleinere und größere Krisen erlebt: Prüfungen, Trennungen, Hochzeit, Jobwechsel, Umzug. Das alles sind Phasen, in denen wir stärker unter Stress stehen, und wir können uns im Rückblick fragen: Was hat mir damals geholfen? Damit haben wir die ersten Lernerfahrungen, was für aktuelle oder künftige Krisen hilfreich sein kann. Einzelne Resilienzschlüssel kann man außerdem gezielt trainieren. Optimismus zum Beispiel durch Interventionen aus der positiven Psychologie, indem man etwa jeden Abend drei Dinge notiert, die Freude gemacht haben. Natürlich reicht kein zweitägiger Workshop, um Menschen stark und widerstandsfähig zu machen. Vor allem wenn es um innere Haltungen geht, bedarf es täglicher Übung. Das dauert Monate.

Brauchen wir Krisen eigentlich als Motor der Entwicklung?

Ein Stück weit schon. Wir können ihnen ja eh nicht ausweichen. Sie klären uns und helfen zu erkennen, wer wir sind, was uns wichtig ist und worauf wir verzichten können. Auch wenn die Aussage von der Krise als Chance natürlich zynisch ist, wenn jemand gerade einen Schicksalsschlag erlitten hat. Das ist eine Perspektive, die man in dieser Situation nicht annehmen kann.

Welche Krisen haben Sie stark gemacht?

Viele kleine und ein paar einschneidende. Mein älterer Bruder ist verunglückt, als ich vier war. Das hat mich geprägt und prägt mich bis heute, denn ich bin immer noch daran, manche Themen, die damit zusammenhängen, zu integrieren. Die andere große Krise war das Ende der Beziehung zu meinem Ex-Mann. Da gab es ein halbes Jahr massiven Psychoterror. Heute sage ich, gut, dass er so massiv war. Nur so konnte ich mich trennen. Ich bin damals für eineinhalb Jahre nach Venezuela gegangen – keiner wusste, wo ich war – und habe alles später auch therapeutisch aufgearbeitet. Heute würde ich sagen, die Qualität meiner jetzigen Arbeit und auch meiner jetzigen Beziehung hat durchaus etwas mit dieser Erfahrung zu tun.

Gilt denn: einmal stark, immer stark?

Nein, es ist ein lebenslanger Prozess. Krisen werden uns immer wieder begegnen und auch immer wieder überraschen. Und damit geht es immer wieder darum, sich zu schütteln und zu überlegen, wie es weitergehen kann.

Innerlich stark werden – die sieben Schlüssel zur Resilienz

Akzeptanz: Nehmen Sie an, was passiert; es lässt sich eh nicht ändern.

Optimismus: Konzentrieren Sie sich darauf, was jetzt noch möglich ist, und bleiben Sie zuversichtlich.

Selbstwirksamkeit: Werden Sie sich Ihrer eigenen Stärken und Bedürfnisse bewusst und machen Sie sich klar, was Sie selbst verändern können.

Eigenverantwortung: Verlassen Sie die Opferrolle, sorgen Sie für sich und achten Sie auf Ihre Grenzen.

Netzwerkorientierung: Suchen Sie sich Hilfe und lassen Sie diese zu.

Lösungsorientierung: Werden Sie aktiv und öffnen Sie sich. Wer eine erste Möglichkeit sieht, wie es weitergehen kann, entdeckt meist weitere. Auch sich über seine eigenen Werte klar zu werden, ist oft ein erster Wegweiser.

Zukunftsorientierung: Überlegen Sie, wie Sie Ihr neues Leben gestalten wollen, setzen Sie Prioritäten, entwickeln Sie Ziele und verfolgen Sie diese.

Prof. Jutta Heller, 58, ist Trainerin und Coach für individuelle und organisationale Resilienz sowie Autorin (u. a. "Resilienz: 7 Schlüssel für mehr innere Stärke", Gräfe und Unzer).

Holt euch die BRIGITTE als Abo - mit vielen Vorteilen. Hier könnt ihr sie direkt bestellen.

BRIGITTE 12/2020

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel