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Wann war ich schön?

Als kleines Mädchen, als junge Mutter, als erwachsene Frau - nie fand sie sich richtig hübsch. Eigentlich schade, dass man erst gegen Ende seines Lebens sieht, wie überkritisch der Blick auf sich selber war, meint BRIGITTE-Autorin Ursula Lebert.
Wann war ich schön?
© Ulrike Frömel

Man will ja schön sein auf dem Hochzeitsfoto. Wenigstens an diesem Tag. Ein weißer Schleier, ein Brautkleid Größe 36, schicke Schuhe und ein Maiglöckchenstrauß im Arm. Und ein Ehemann an der Seite. Es muss jedenfalls so sein, dass später die Enkel sagen: Oma - warst du das? Und jeder Betrachter begreift, warum der etwas verlegen blickende Bräutigam dieses entzückende Mädchen geheiratet hat.

Mein Hochzeitsbild hält da nicht mit. Es gab keinen Schleier und keinen taillierten weißen Traum aus Seide, weil ich im sechsten Monat schwanger war. Ich hatte einen weißen unauffälligen Hut auf und Ringe unter den Augen. Mein Mann trug einen schwarzen Anzug, auf drei Knöpfe geknöpft, was damals unmodern war, aber er stammte aus dem Kostümverleih, in dem wir uns auch die Faschingskleidung liehen. Er hatte auch Ringe unter den Augen, weil er am Abend zuvor gefeiert hatte. Wir grinsen beide ziemlich blöd in die Linse.

Das war 1955, immerhin hat unsere Ehe gehalten, bis der Tod uns schied.

War ich schöner als junge Mutter? Irgendwie auch nicht, wie auf den Familienfotos festgehalten ist. Damals hat mir ein befreundeter Bildhauer die Haare geschnitten, es war sein Hobby. Man sieht es. Heute würde ich sagen, ich war schlank. Zum Zeitpunkt der Polaroid-Abzüge fand ich mich zu fett. Kleidergröße 42, unmöglich. Auf einem Bild stehe ich am Rand einer Sandkiste und sehe genauso aus, wie eine Frau eben aussieht, wenn sie am Rand einer Sandkiste ihren kleinen Sohn beobachtet. Seit zwei Stunden.

Wann war ich überhaupt je schön? Als ich zur Welt kam, hatten meine Eltern keine andere Wahl: Sie fanden mich süß, obwohl ich keine Haare auf dem Kopf hatte. Ich war ihr erstes Kind. Später, mit der Kommunionskerze, weißem Kleid und einem Blumenkränzlein über meinen dünnen Zöpfen - vergessen wir's. Meine Großmutter hatte einen Spruch drauf: "Schöne Wickelkinder, wüste Gassenkinder, schöne Leut'." Stimmt auch nicht immer.

Ich erinnere mich genau an das Gefühl, beim Betreten eines Ballsaals (in meiner Jugend gab es noch Bälle, auch Hausbälle) sofort das erstbeste Mädchen zu treffen, das zweifelsfrei hübscher war. Ich hatte mir solche Mühe gegeben, mich herauszuputzen. Und jetzt hätte ich dringend jemanden gebraucht, der mir verliebt in die Augen blickte. Aber den gab es nicht immer. Manchmal. Gerade dann hatte ich einen Pickel auf der Nase.

Heute werden Mädchen wie ich magersüchtig vor Kummer. Ich kann das gut verstehen. Es lag damals nur noch nicht im Trend. Man hatte aber ebenfalls gewisse Idealerscheinungen im Kopf. So möchte ich aussehen. Das Wort Cellulite gab es noch nicht, die kleinen Dellen im Oberschenkel schon. Nie, nie zog ich einen Bikini an. Im Badeanzug hielt ich die Hände nach hinten über den Po. Mein Gott, wie schön war die Bardot.

Jetzt, als alte Frau, sehe ich die Fotos im Album mit Milde. Hässlich war ich doch eigentlich nicht. Auf einigen sogar ganz hübsch. Wieso hat mir das niemand gesagt? Das Äußere herauszustreichen galt in meiner Generation als geltungssüchtig, eitel, eingebildet. Insbesondere meine Mutter sah es so. Als mal eine Nachbarin bemerkte, ich, ihre Tochter, habe schöne Augen, sagte meine Mutter nur: "Aber zu kurze Wimpern." Das vergesse ich nie.

Kann ja sein, dass heute zu viel Kult mit dem Aussehen getrieben wird. Die Feministinnen der sechziger Jahre trugen deshalb wohl hauptsächlich Lila und Strickkleider, und die Sackmode war erfunden. Die jungen Mädchen heute sind vielleicht von Natur aus selbstbewusster und somit auch stilsicherer. Sie ziehen an, was sie wollen, tragen buntschillernden Lidschatten und Minis und fetzige Frisuren - nicht alle, aber viele. Ich bewundere ein Girlie mit dicken Schenkeln, das mit eng anliegenden Bermudas in der Eisdiele steht. Na bitte, es gibt Männer, die dicke Schenkel mögen. Der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten Bill Clinton mochte und mag ganz offenbar dicke Beine bei Frauen.

Es ist nicht mehr guter Ton, hässlich oder unscheinbar zu sein - wie im traditionellen Japan, wo man auf das Lob "Sie haben eine wunderschöne Nase" antworten musste: "O nein, ich habe die hässlichste Nase der Welt." Oder auf "Was für ein hübsches Baby" abwehrte: "Der Himmel hat ihm leider keine Schönheit gegeben."

Ich bin mittlerweile eine alte Frau und sehe mein altes Gesicht voller Nachsicht an. Ein bisschen wütend bin ich schon, dass ich heute zufriedener mit mir bin als früher. Meine Mutter würde sagen: "Aber Falten hast du viele." Meine Mutter ist vor vierzig Jahren gestorben. Hat sie insgeheim manchmal gedacht, dass ihre Tochter ganz nett aussieht?

Text: Ursula Lebert Fotos:Ulrike Frömel/Clipart BRIGITTE Heft 12/2007

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