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Vera Ufoma Ukuwrere Trotz Rückschlägen, sie wurde zur Kämpferin

Illustration Blume
© Clara Super Duper
Von der Mutter abgelehnt und in Nigeria zurückgelassen, mit 13 dann der schwierige Neuanfang in Deutschland. Vera kapitulierte nicht, sondern wurde eine Kämpferin.
Vera Ufoma Ukuwrere
Vera Ufoma Ukuwrere ist dankbar, dass sie in ihrem Leben trotz allem immer wieder auch Menschen begegnet ist, die sie gestärkt haben. Auch deshalb bezeichnet sie ihren Glauben an das Gute als unerschütterlich.
© PR

Kein Kind kann etwas dafür, dass es geboren wird. Kinder kommen unschuldig auf die Welt, also war auch ich unschuldig gewesen. Verstanden habe ich das allerdings erst an dem Tag, als ich selbst Mutter wurde. Bis dahin hatte ich immer nur Schuld gespürt. Dafür, dass ich überhaupt existierte. Meine Mutter hat mir immer vorgeworfen, ich hätte ihre sportliche Karriere zerstört. Sie behauptete auch, dass ich gar nicht ihr Kind, sondern vertauscht worden sei. Obendrein liege ein Fluch auf mir. Es klingt komisch, aber Letzteres half mir. Für einen Fluch konnte ich wenigstens nichts.

Sie ließ mich im Busch in Nigeria bei meiner Oma zurück. Wir nennen es wirklich Busch. In einem Village ohne Strom und Kanalisation, das ich heute nicht verorten kann. Mit einer Sprache, deren Name mir unbekannt ist und die ich nicht mehr beherrsche. Von meiner Oma nahm ich acht Jahre lang an, sie sei meine Mutter. Sie hielt mich an der Hand und ich habe zu ihr hochgeschaut. Ich denke, damals ging es mir gut.

Dann wurde ich in die Stadt zu meiner richtigen Mutter und meinem Stiefvater Wolfgang gebracht. Sie lebten in einem schönen Haus, das ich aber nur zum Duschen betreten durfte. Stattdessen wohnte ich in einem simplen Nebengebäude mit der Familie des House-Sitters Sakari. Er war nett zu mir, seinen Namen werde ich nie vergessen. Meine Mutter kochte zwar für mich, doch ich musste draußen essen. "Niemand versteht dich", schimpfte sie und brachte mich in ein Internat, um Englisch zu lernen. Sie selbst zog mit meinem Stiefvater nach Deutschland. Drei Jahre später, mit 13, wurde ich nachgeholt. Nach Ockholm in Nordfriesland.

Das hat alles verändert

Ich wollte ausreißen. Loslaufen, mich in einen Graben legen, einschlafen, das war meine ziemlich konkrete Selbstmordfantasie. Eine ältere Nachbarin, die im gleichen Haus lebte, bekam die Situation mit meiner Mutter mit: das Schreien, die Schläge, die Kämpfe. Anna-Elisabeth sagte immer, dass ich nicht aufgeben darf: "Kind, die Welt wurde dir nicht gegeben, damit du leidest, sondern Freude erlebst." Später habe ich meine Tochter nach ihr benannt.

Ich wurde schwanger von einem deutschen Mann. Mit Baby im Bauch änderte sich alles. Bis dahin kämpfte ich sieben Jahre lang mit Bulimie, wog 47 Kilo. Doch ich wollte das alles nicht auch meiner Tochter zufügen. Für sie wollte ich stark sein, und ich begriff, dass ich Kraft und Energie dafür hatte – ich musste nur anfangen, sie nicht gegen mich, sondern für uns beide zu nutzen. Schon während der Schwangerschaft meldete sich der Impuls: Ich muss mein Kind vor meiner Mutter schützen. Sie lebt inzwischen in London und hat ihre Enkelin nie gesehen. Ich habe ihr verziehen, doch eine Versöhnung wird es nicht geben.

Kurz nach der Geburt meiner Tochter trennte ich mich von ihrem Vater. Inzwischen war ich so weit gereift, dass ich mir nichts mehr gefallen ließ. "Eine Weiße wäre mir lieber", hatte seine Großmutter gesagt. Auch ihm passierten immer wieder rassistische Aussetzer.

"Aus mir ist eine Kämpfernatur geworden"

Als Kind spürte ich ein Gefühl der Schande, so zu sein, wie ich bin. Nach dem Motto: Du hast es verdient zu leiden. Heute spreche ich aus, wenn ich mich verletzt fühle. Ich habe gelernt, mutig zu sein. Präsent und laut. Aus mir ist eine Kämpfernatur geworden, denn ich weiß, dass ich überlebe. Auch ohne Wurzeln und trotz der Ausgrenzung, die ich immer erlebt habe. Erst bei meiner Mutter, später in der Schule, dann im Job, weswegen ich mich als Erzieherin irgendwann selbstständig gemacht habe.

Heute bin ich 42, meine Tochter ist 17. Sie wurde in den Siebenkampf-Bundeskader aufgenommen. Ich bin wahnsinnig stolz, auf sie, auf mich, auf unsere innige Bindung. Wenn ich heute noch inneren Schmerz spüre, sage ich mir immer: Leid ist nicht gewollt. Es wird vorübergehen.

Brigitte

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