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Unfall überlebt: So geht Rennfahrerin Sophia Flörsch damit um

Unfall überlebt: Rennfahrerin Sophia Flörsch
© Boris Streubel / Getty Images
Der Unfall: Rennfahrerin Sophia Flörsch wurde bei einem Crash mit Tempo 275 schwer verletzt.
Was sie stark machte: Zuversicht und Zielstrebigkeit.

Zeit verlieren ist nicht mein Ding. Sobald ich vom Ärzte-Team das Go bekam, habe ich alles getan, damit ich wieder in die Spur komme. Am fünften Tag nach dem Unfall: erste Schritte gehen. Am siebten Tag: Flug zurück nach München. Zwei Monate später: Neustart des Fitnesstrainings. 108 Tage nach dem Crash: wieder im Rennwagen, in Monza, Italien. Ich war mega happy und hatte die ganze Zeit Gänsehaut vor Glück.

Ich bin ehrgeizig, zielstrebig und voller Kampfgeist

Oft werde ich gefragt, warum ich nach dem Crash einfach weitergemacht habe. Man kann das schlecht vergleichen, aber eine Ärztin schmeißt doch auch nicht ihren Job hin, wenn sie einen Schlag abbekommen hat. Rennfahren ist mein Beruf und meine Berufung. Ich bin Sportlerin. Ich bin ehrgeizig, zielstrebig und voller Kampfgeist. Ein Rückschlag wirft mich nicht aus der Bahn. Außerdem bin ich ein sehr positiver Mensch. Ich vertraue darauf, dass alles ein Gutes hat, und ich male mir in schwierigen Situationen nicht das Schlimmste aus, sondern das Beste.

Dass ich in der Klinik direkt nach dem Crash sehr zuversichtlich sein konnte, lag ehrlicherweise auch an einem Mangel an Infos. Man verschonte mich tagelang vor zwei schlimmen Nachrichten. Ich wusste nicht, dass zwei weitere Menschen schwer verletzt wurden, Gott sei Dank sind sie wieder voll fit. Und ich wusste nicht, dass ich sehr knapp an einer Querschnittslähmung dran war. Zwei Wirbel waren gebrochen, ein Knochensplitter drang bis zum Nervenstrang im Rückenmark vor. Ich hatte das Glück, dass der siebte Halswirbel operiert werden konnte – elf Stunden lang – und die Ärztinnen und Ärzte einen super Job machten.

Bei dem Unfall ist mein Rennwagen mit 275 km/h abgehoben und in ein Gebäude reingeflogen. Wenn ich die Videos sehe, denke ich bis heute nicht, dass ich das bin. Im Auto ging alles so schnell, dass ich kaum etwas mitbekommen habe. Weil die Videos bei jedem Medieninterview gezeigt werden, habe ich sie sehr, sehr oft gesehen und darüber geredet. Das hat mit dazu beigetragen, dass ich Abstand gewonnen habe. Aus der Fassung bringt mich etwas ganz anderes: Ich dreh durch, wenn ich eine Spinne sehe. Sonst nicht.

Dankbarkeit in Form von Erfolg

Ich bin ein Typ, der in die Zukunft schaut. Mein Ziel ist und bleibt die Formel 1. Dafür brauche ich Sponsoren. Und die gewinne ich nur über Leistung. Ich will als Rennfahrerin wahrgenommen werden, nicht als "Die mit dem Crash". Ich habe in meinem Sport einiges bereits erreicht, und ich werde mit weiteren sportlichen Erfolgen überzeugen. Dass ich mit dem Thema wirklich abgeschlossen habe, habe ich doch bewiesen. Letztes Jahr war ich wieder beim WM-Finale der Formel 3 dabei, durfte also wieder in Macao diese geile Strecke fahren. 6,1 Kilometer durch die Stadt. Macao ist für mich wie eine zweite Heimat geworden. Mein Gedächtnis hat netterweise vor allem die guten Erinnerungen gespeichert. Dazu gehören die tollen Ärzte und Krankenschwestern. Sie habe ich als Erstes besucht, als ich wieder in Macao war. Ich bin ihnen extrem dankbar, dass ich dieses Leben leben kann.

Es klingt komisch, wenn eine 19-Jährige das sagt, aber der Unfall hat mich natürlich reifer gemacht. Ich denke mehr darüber nach, was wirklich wichtig ist, und weiß, dass Gesundheit an erster Stelle steht. Meine Eltern waren immer für mich da, sie unterstützen meinen Sport schon seit 14 Jahren, meine Sponsoren glauben an mich. Was ich ihnen zurückgeben kann, ist Dankbarkeit in Form von Erfolg. Daran arbeite ich die ganze Zeit, auch wenn die Corona-Pandemie alles durcheinander geschmissen hat.

Mich trennen nur noch zwei Rennserien von der Formel 1. Der Rennsport ist eine der wenigen Wettkampfarten, in denen Frauen und Männer gemischt gegeneinander antreten, und ich will als Rennfahrerin genauso respektiert werden wie ein Mann. Meistens stehe ich drüber, wenn jemand sagt, dass der Rennsport nichts für Frauen ist. Ich beweise ja das Gegenteil, wenn ich die Männer überhole.

Sophia Flörsch, 19, ist Rennfahrerin. Sie begann im Alter von vier Jahren mit dem Kartfahren und fährt derzeit bei der Formel-3-Meisterschaft. Im Februar wurde sie mit dem Laureus World Sports Award als Comeback des Jahres ausgezeichnet.

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BRIGITTE 12/2020

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