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"Immer in der Nähe bleiben" Die Angst vor der Begegnung mit dem Trauernden ist unbegründet

Trauerbegleitung: in den Arm nehmen
© chaylek / Adobe Stock
Die beste Freundin hat ihren Mann verloren, die Tochter des Kollegen ist verunglückt: Wie begegnet man jemandem, der um einen geliebten Menschen trauert?

Als Marens Lebensgefährte mit 36 Jahren an Krebs stirbt, ist ihre Freundin Karla erfüllt von Trauer und Mitleid. Aber auch von Angst. Wie soll sie Maren begegnen? Wie vermeidet sie es, etwas Falsches zu sagen? Geht sie Maren auf die Nerven, wenn sie vorbeischaut? Lässt sie sie allein, wenn sie nicht vorbeischaut? Klingen Beileidsbekundungen nicht immer wie Floskeln? Wie kann sie ihr helfen in der schweren Zeit?

Wenn der Tod nicht zum Leben gehört

Viele fühlen sich angesichts der Trauer eines anderen Menschen überfordert und hilflos. Vor allem dann, wenn sie selbst noch wenig Erfahrung mit dem Tod gemacht haben. Doch das ist hierzulande Normalität: Aufgrund des medizinischen Fortschritts werden viele glücklicherweise erst spät mit dem Tod konfrontiert. "Bei uns gibt es keinen allgemeinen Erfahrungsschatz mehr, was Trauer angeht", sagte Doris Dörrie einmal in der BRIGITTE, "nur wenige Menschen bei uns wissen, wie sich Trauer anfühlt." Die Regisseurin hat 1996 ihren Mann Helge Weindler verloren.

Es gibt keinen Trost, es gibt nur Beistand

Wer mit Trauer konfrontiert wird, sollte wissen: Es gibt keinen Trost, es gibt nur Beistand. "Nähe zeigen, ab und zu anklopfen, immer wieder kleine Einladungen platzieren", empfiehlt der freie Theologe Jochen Jülicher, der in der Trauerbegleitung aktiv ist. Das Angebot, "Du kannst mich jederzeit anrufen" helfe nicht. Dieser Satz mache den Trauernden zum Bittsteller – in einer Situation, in dem es ihm nicht möglich ist, auf andere zuzugehen. Viel besser sei die konkrete Ankündigung: "Ich ruf dich morgen wieder an", oder "Ich komme Mittwoch wieder vorbei". Doris Dörrie bestätigt diese Erfahrung: "Der Trauernde kann nicht anrufen, wenn er etwas braucht. Nein, man muss immer wieder selbst anrufen und auch hinnehmen, dass der Trauernde sagt: 'Ich kann jetzt nicht telefonieren', und dann trotzdem wieder anrufen."

Natürlich kann es auch helfen, konkrete Unterstützung anzubieten: Kann ich dir die Kinder abnehmen? Oder den Einkauf? Wollen wir gemeinsam den Grabstein aussuchen? Wen laden wir zur Beerdigung ein?

Das Wichtigste in der Trauerbegleitung: Da sein, nah sein

Präsent zu sein, ist die wichtigste Aufgabe in der Trauerbegleitung. Dabei spielt es keine Rolle, wenn einem die Worte fehlen. Dörrie betont: "Jedes verrenkte Wort ist besser als gar keins. Und jede einfache Anwesenheit ist besser als keine Anwesenheit".

Eigentlich ist es nicht viel, was man tun muss: Dem anderen offen gegenübertreten, aufmerksam und ehrlich sein, zuhören. In der Regel sind spontane Reaktionen richtig, denn sie kommen von innen. Je nachdem, wie das Verhältnis zum Trauernden ist, können auch nonverbale Reaktionen helfen – den anderen in den Arm zu nehmen und zu drücken beispielsweise. Und keine Angst vor Tränen haben! All das hilft viel mehr, als zu hören: "Es war doch eine Erlösung", oder wenn ein Kind gestorben ist: "Du hast doch noch die anderen", oder "Das Leben geht weiter".

BRIGITTE-Redakteurin Beatrix Gerstberger war im sechsten Monat schwanger, als ihr Mann ums Leben kam. "'Die Zeit heilt alle Wunden', 'Es wird schon wieder eine große Liebe geben' – solche Sätze habe ich als furchtbar empfunden", sagt sie. Einem Menschen, der trauert, sollte man auch nicht die eigenen Erfahrungen überstülpen, etwa die mit dem Tod der eigenen Mutter. Das wertet das Leid des anderen ab und bedeutet für viele Trauernde: "Ich erkenne nicht an, wie du trauerst".

Man kann nicht viel falsch machen

Die Angst vor der Begegnung mit dem Trauernden ist unbegründet: Wer sich nicht grob unsensibel verhält und dem Trauernden nicht aus dem Weg geht, kann eigentlich nichts falsch machen. Und: Auch etwas "falsch" zu machen, kann helfen, betont der Sozial- und Familienpsychologie Prof. Dr. Hans Goldbrunner. Wer einen Trauernden beispielsweise über einen längeren Zeitraum bemuttert, kann dessen Unmut provozieren und erreichen, dass er sich wehrt. Für den Trauerprozess kann konfrontatives Verhalten wichtig sein, da Wut aus der Apathie befreien kann.

Das Schlimmste sei es, Betroffenen aus dem Weg zu gehen und sich im Supermarkt hinter dem Regal zu verstecken, um eine Begegnung zu vermeiden. "Das spüren die Leute, Trauernde nehmen die Dinge intensiver wahr," erklärt Jülicher. Viele Menschen sprechen tatsächlich von einer Überschärfung der Sinne im Leid. Besser, als den Trauernden zu meiden, ist es, die eigene Hilflosigkeit einzugestehen: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll".

Beistand am Todestag

Was kann man an besonderen Tagen tun, am Todestag, am Geburtstag des Verstorbenen, am Hochzeitstag, oder auch am Wochenende, das Hinterbliebene oft als besondere Belastung empfinden? An solchen Tagen ist es schön, sich zu melden, um zu zeigen: "Ich denke an dich". Noch besser ist es, schon vorher anzurufen und sich zu erkundigen, was der Trauernde an dem Tag vorhat, rät Jülicher. Am Todestag kann man anbieten, mit ans Grab zu gehen. Besonders an kritischen Tagen ist das die größte Hilfe: Nahe sein, präsent sein.

Wenn Zeit vergangen ist

Sind mehrere Monate seit dem Tod eines Menschen verstrichen, ist die Umwelt häufig erleichtert, wenn sie wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Manche fürchten auch, den Trauernden an den Verlust zu erinnern, wenn er gerade nicht daran denkt oder sogar darüber hinweg ist. Doch Psychotherapeutin Dr. Doris Wolf beruhigt: Man kann keine Trauer auslösen, indem man über sie spricht. Im Gegenteil: Man sollte den Verlust immer wieder dezent und einladend ansprechen und genau hinhören, wie der andere reagiert. Man kann auch direkt fragen: "Wie geht es dir eigentlich damit?" Viele Trauernde haben sonst das schreckliche Gefühl, dass der oder die Verstorbene totgeschwiegen wird.

Bei den meisten dauert die akute Trauerphase etwa zwei Jahre. Doch jeder Mensch trauert anders. Deshalb gilt: Der Trauernde gibt das Tempo an. Verkneifen sollte man sich Behauptungen wie 'Du hast jetzt aber genug getrauert' oder 'Du hast noch nicht genug getrauert'.

Man muss auch an sich selbst denken

Jeder Begleitende sollte darauf achten, was er selbst verkraften kann. Niemand kann immer mitfühlend sein, so Goldbrunner. Man sollte sich fragen: Bin ich die einzige Bezugsperson? Oder gibt es auch andere, mit denen der Trauernde reden kann? Und bitte nicht eifersüchtig sein, wenn der Neffe lieber mit der Lehrerin über den Verlust der Eltern spricht als mit seiner Tante.

In schwierigen Zeiten gerät fast jeder Mensch an seine Grenzen. Sich und anderen das einzugestehen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Ehrlichkeit. "Als verletzend habe ich nur empfunden, dass sich einige Leute nach dem Tod meines Mannes nicht mehr gemeldet haben", sagt Beatrix Gerstberger. Niemand erwartet, dass man ihn von seiner Trauer befreit – sondern nur, dass er in seinem Leid nicht ignoriert wird.

Brigitte

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