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Trans Frau Nora Eckert "Wenn ich immer eine Frau hätte sein sollen, wäre ich weiblich geboren worden"

Trans Frau Nora Eckert: "Wenn ich immer eine Frau hätte sein sollen, wäre ich weiblich geboren worden"
© Meike Kenn / Privat
Nora Eckert ist trans* zur Welt gekommen und lebt als Frau, seit sie Anfang 20 ist. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie sie ihre Identität entdeckt hat – und dabei auch etwas über unsere eigene gelernt. Nora ist unsere starke Frau im Februar.

Nora Eckert ist gebürtige Fränkin. Seit den Siebzigern wohnt sie in Berlin, ihr Sternzeichen ist Fische. Nora trinkt Tee, keinen Kaffee. Sie hat jede Menge Bücher veröffentlicht, über Wagner, Büchner, Shakespeare. Sie nutzt keine sozialen Medien und interessiert sich für Einstein und Neurologie. Noras Lächeln ist ansteckend und warm und dabei irgendwie verschmitzt – ihr Lächeln macht neugierig und weckt Lust, ihr zuzuhören. Und Nora ist eine trans* Frau. 

Für mich ist Noras Transsein zunächst nur eine ihrer Eigenschaften. Eine, die ich vielleicht schwerer begreifen und nachvollziehen kann als ihr Interesse an Neurologie. Eine, über die ich gerne mehr wissen möchte, aber es in der kleinen, beschaulichen Welt in meinem Kopf nicht unbedingt muss, um mich mit Nora zu verstehen, mich mit ihr verbunden zu fühlen, sie sympathisch zu finden und mich auf sie als Mensch einzulassen. Die Einschätzung mag nicht von A bis Z falsch sein, doch richtig ist sie genauso wenig: In meinem Gespräch mit Nora erfahre ich, was ihr ihr Transsein bedeutet. Ihr Transsein und ihr Frausein. Beides spielt, so nun mein Eindruck, für ihr Leben und für sie als Mensch eine größere Rolle, als ich mir anfangs vorgestellt hatte. Und wie könnte es das nicht? "Als trans* Menschen nehmen wir alle möglichen Schwierigkeiten auf uns, um das, was wir in uns entdecken, zu leben. Unabhängig davon, ob unsere Umwelt es unterstützt oder nicht", sagt Nora. Würde es ihr nichts bedeuten, wäre Nora nicht trans* – wäre es vielleicht niemand.

Trans* geboren – doch Transsein war lange keine Option

Nora kommt 1954 in Nürnberg zur Welt, aufgrund ihrer physischen Voraussetzungen wird ihr das Geschlecht "männlich" zugewiesen. Ihre Eltern führen, was man damals eine "Mischehe" nennt: Ein Elternteil ist katholisch, einer evangelisch. Obwohl Religion für ihre Eltern keinen hohen Stellenwert hat, wird Nora deshalb katholisch getauft: Das war die Bedingung, unter der die katholische Kirche die Ehe akzeptiert. Als Nora im Alter von 14 Jahren selbst entscheiden darf, tritt sie aus der Kirche aus. "Ich habe mir schon immer lieber meinen eigenen Kopf gemacht, mit Religion konnte ich nie etwas anfangen", sagt sie. Zu diesem Zeitpunkt lebt Nora mit einer männlichen Geschlechtsidentität, erst mit Anfang 20 verwirklicht sie ihre Transition zur Frau. Mittlerweile kann sie zwar sagen, dass sie trans* geboren ist. Doch bis sie diese Seite von sich verstehen und leben konnte, brauchte sie ihre Zeit.

"Ich kann bis heute nicht erklären, wie ich zu der Gewissheit gekommen bin, dass ich trans* bin und dass ich eine Weiblichkeit in mir habe", sagt sie. "Es war wie eine Entdeckung: Da war etwas, das ich lange nicht benennen konnte und über das ich kein Wissen hatte." In den Sechzigern und Siebzigern, zu der Zeit, als Nora sich entdeckte, sprach kaum jemand über das Transsein. Viele Menschen kannten den Begriff "Transvestit", den später die Bezeichnung "Transsexuelle" ablöste. Es gab natürlich längst das Konzept, die Idee des Transseins – die nach Meinung einiger Expert:innen übrigens genauso alt ist wie der Mensch. Es war allerdings nicht selbstverständlich, darüber aufgeklärt zu sein. Und vielleicht ist es das genau genommen bis heute nicht. 

Was Transsein bedeutet – und was nicht

"Transsein ist keine Frage der Medizin", sagt Nora. "Es ist sicher für viele Menschen ein großer Gewinn und wichtig und gut für ihr Wohlbefinden, dass wir heute die Möglichkeiten haben, das Geschlecht durch Hormone und chirurgische Eingriffe physisch anzupassen. Doch das, was das Transsein aus meiner Sicht ausmacht, ist, wenn ein Mensch entdeckt, dass er eine andere Geschlechtsidentität hat als die, die in der Geburtsurkunde steht. Das ist der springende Punkt." Wie sich diese Entdeckung wiederum abspielt, ist sicherlich individuell unterschiedlich und fällt zumindest Nora schwer zu beschreiben: "Voraussetzung ist, es überhaupt benennen zu können, aber ich kann es trotzdem nicht erklären. Und ich glaube, das kann niemand so richtig. Wie würden Menschen, die nicht trans* sind, erklären, woran sie merken, dass sie sich mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren?" Gute Frage. Ich glaube, die Antwort lautet: Sie würden es nicht erklären. Weil sie es nicht müssen. Sie identifizieren sich und werden sein gelassen, wer sie sind. Wieso sollten wir von trans* Menschen mehr verlangen?

Im Rückblick kann Nora heute Anzeichen erkennen, die vor ihrer bewussten Entdeckung bereits auf ihr Transsein hingedeutet hätten: dass sie lieber mit den anderen Mädchen Gummi-Twist gespielt hat als Fußball mit den Jungs. Dass sie bei "Vater-Mutter-Kind" stets die Mutter war. In solchen Beispielen zeigt sich, dass Noras weibliche Geschlechtsidentität stets existierte und sie sie ansatzweise bereits sogar gelebt hat, Jahre vor ihrer Transition. Das Einzige, das nicht stimmte, war, wie andere Menschen sie sahen: als Jungen. Okay, als Jungen, der mit Mädchen spielt vielleicht. Aber trotzdem als Jungen. Doch Nora war eben kein Junge. Und vielleicht ist es unter anderem diese Erfahrung, die das Transsein für Nora heute zu etwas Besonderem macht. Die sie gerne davon erzählen, darüber aufklären lässt. 

Denn ob wir wollen oder nicht: Wie andere Menschen uns sehen und behandeln, macht etwas mit uns. Es beeinflusst unseren Selbstwert, unser Selbstbewusstsein. Weicht ihr Bild stark davon ab, wer wir selbst für uns sind, muss das irritierend sein. Oder sogar quälend. Wie unerträglich wäre es, würden uns alle um uns herum wie ein Kind behandeln, obwohl wir erwachsen sind? Na ja. Oder wie einen Mann, obwohl wir eine Frau sind. Wenn wir eine Rolle spielen müssten, die unserem Wesen, unserer Natur widerspricht. Aus einer solchen Lage herauszufinden, bedeutet etwas. Es bedeutet Befreiung. Ankommen. Wirklich akzeptiert werden können – und werden. Trans* zu sein mag es einem Menschen schwerer machen, in seiner Identität und unserer Gesellschaft anzukommen. Doch es ist gleichzeitig die Lösung. Und somit gewiss kein Grund, zu hadern oder davor Angst zu haben. Zumindest nicht für Nora.

"Ich musste erst herausfinden, was meine Rolle ist"

Manchmal fällt im Zusammenhang mit trans* Personen die Aussage, sie seien "in einem falschen Körper" geboren. Einige Menschen möchten sich nach ihrer Transition lediglich als Mann oder Frau sehen und nicht als trans* Mann oder trans* Frau. Nora empfindet das anders. "Ich bin trans* geboren und ich werde trans* sterben", sagt sie. "Ich bin ich und ich bin nicht im falschen Körper geboren. Wenn ich immer eine Frau hätte sein sollen, wäre ich weiblich geboren worden. Das Leben gibt uns eben keine Bedienungsanleitung mit und ich musste erst herausfinden, was meine Rolle und was mein Ding ist. Das liebe ich."

In dem Gespräch mit Nora habe ich einiges gelernt und an Verständnis gewonnen. Zum Beispiel über Mischehen. Und über das Transsein. Doch vor allem, so mein Eindruck, über das Menschsein. Liebe Nora, herzlichen Dank für das Gespräch!

Am 19. März ist Nora zusammen mit zwei weiteren trans* Menschen in der Reportage 37° im ZDF zu sehen, die ab diesem Datum in der Mediathek zur Verfügung stehen wird: 

"37°: Trans - Drei Generationen, eine Reise"
Dienstag, 19. März 2024, 22.15 Uhr, ZDF
Am Sendetag ab 8.00 Uhr, fünf Jahre lang in der ZDFmediathek abrufbar. 

Nora Eckert: Wie alle, nur anders cover
© PR
Brigitte

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