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Toxischer Ehrgeiz Warum ich lieber glücklich als erfolgreich bin

Psychologie: Eine Frau ruht sich auf einer Wiese aus
© Olga Danylenko / Shutterstock
Ehrgeizig zu sein, ist nicht unbedingt schlecht. Unsere Autorin empfindet ihren Ehrgeiz jedoch als eine ihrer größten Schwächen. Warum, versucht sie hier zu erklären.

Manche Menschen wünschen sich eine:n ehrgeizige:n Partner:in an ihrer Seite. Andere preisen sich und ihren Ehrgeiz mit Stolz (und wahrscheinlich auch mit Recht) in Vorstellungsgesprächen an. In meinem persönlichen Verhältnis zu Ehrgeiz muss irgendwann einmal etwas gehörig falsch gelaufen sein. Für mich ist Ehrgeiz nämlich eine der unsympathischsten, gefährlichsten, unangenehmsten Eigenschaften überhaupt. Und damit meine ich besonders meinen eigenen.

Sobald sich mein Ehrgeiz in eine Sache einmischt, höre ich auf, Spaß an dieser Sache zu haben. Mein Ehrgeiz bewirkt, dass ich bei einem Erfolg keine Freude empfinde, sondern in erster Linie Druck. Weil ich das Gefühl habe, diesen Erfolg nun mindestens halten oder wiederholen, eigentlich aber übertreffen zu müssen. Und damit meine ich müssen. Nicht wollen. Müssen.

Mein Ehrgeiz verdarb mir meinen liebsten Sport

Eines der ersten Dinge, das mir mein Ehrgeiz in dieser Weise vermiest und genommen hat, war Karate. Als ich im Alter von sechs oder sieben Jahren damit begann, hat mich dieser Sport sofort verzaubert. Zuvor hatte ich schon alles Mögliche ausprobiert, von Tennis über Ballett bis hin zu Leichtathletik, nichts davon hat mir so gut gefallen wie Karate. Also blieb ich dabei, legte eine Gürtelprüfung nach der anderen ab und war glücklich. Nach einiger Zeit nahm ich an einem Wettkampf teil, er nannte sich Adventsturnier und war eine kleine, regionale Veranstaltung nur für Kinder. Ich schnitt nicht besonders gut ab, doch am Ende bekamen alle Teilnehmer:innen einen Adventskalender. Darüber freute ich mich wahnsinnig. Dass ich keinen richtigen Preis gewonnen hatte, störte mich nicht im Geringsten, Karate war damals nichts, in dem ich besser sein könnte als andere oder in dem es besser oder die Beste sein überhaupt gab.

Das änderte sich schlagartig im nächsten Jahr, als ich bei dem Adventsturnier plötzlich Zweite wurde. Zusätzlich zum Adventskalender bekam ich nun eine Medaille und Applaus, während ich bei der Siegerehrung auf dem Treppchen stand. Der nächste Wettkampf ließ kein ganzes Jahr auf sich warten und ich wurde Erste. Ungefähr von da an machte ich Karate nicht mehr für mich, sondern für den Erfolg. Es ging mir in erster Linie darum, Pokale zu sammeln, und schon bald hatte ich unter den Kindern und Jugendlichen in meinem Verein die meisten.

Ein paar Jahre lang trainierte ich wie eine Verrückte, fuhr fast jedes Wochenende zu Lehrgängen oder Turnieren, war sogar im Bundeskader und nahm an internationalen Wettkämpfen teil. Mit 14 oder 15 wurde es mir schließlich zu viel und ich hörte auf mit Karate. Eigentlich hätte ich es gerne weitergemacht, ohne zu konkurrieren, doch mein Ehrgeiz, der mir zuflüsterte, ich müsste die Beste sein, ließ das nicht zu. Wahrscheinlich wäre es in meinem gewohnten Umfeld auch schwer gewesen, mich aus dem Wettkampfgeschehen zurückzuziehen, aber das Hauptproblem war, denke ich, mein Ehrgeiz.

Sobald ich Erfolg habe, meldet sich mein Ehrgeiz und macht alles kaputt

Nur ließ der mich leider nicht in Ruhe, nachdem ich mit dem Karate aufgehört hatte. Im Gegenteil. Wie ich im Laufe meines Lebens feststellen musste, kann nahezu alles meinen Ehrgeiz wecken, was sich irgendwie messen oder vermeintlich objektiv bewerten lässt: von Ernährung und Gewicht über Zensuren und Joggingstrecken bis hin zu Arbeitstempo und Output. Besonders wenn es irgendwo gut läuft und ich erfolgreich bin, überwältigt mich mein Ehrgeiz wie ein Tsunami und macht alles kaputt. Er nimmt mir meine Freude an dem, was ich tue, und spendiert dafür eine Extraportion Druck. Wäre ich ein Reifen, wäre das vielleicht ganz praktisch. Doch als Mensch macht mich das manchmal (bis oft) ziemlich (bis total) fertig.

Seit ich das Problem erkannt habe, versuche ich, meinem Ehrgeiz Paroli zu bieten, wenn er sich mal wieder einmischen will. Und mir etwas aufzubauen, das sich nicht so einfach von einem Ehrgeiz-Tsunami zerstören lässt. Eine große Hilfe leistete mir dabei kürzlich ein guter Freund, als ich mit ihm über Ehrgeiz sprach.

"Was soll ich mit dieser Urkunde?"

Dieser Freund, der von sich selbst übrigens denkt, er könnte ruhig ein wenig ehrgeiziger sein, sagte in unserem Gespräch etwas, das mich ehrlich beeindruckte, und zwar Folgendes: Als wir zur Schule gingen, gab es einmal im Jahr sogenannte Bundesjugendspiele, bei denen man in leichtathletischen Disziplinen Punkte sammeln konnte, um eine Sieger- oder Ehrenurkunde zu bekommen. Mein Freund erzählte mir, dass er damals nie verstanden hat, warum er sich dafür groß anstrengen sollte, denn: "Was soll ich dann mit so einer Urkunde?" Wow. Was für eine Frage. Und wieso hatte ich sie mir nie gestellt?

Wozu musste ich Pokale sammeln, wenn ich doch einfach nur Spaß am Karate haben konnte? Wozu musste ich 20 Kilometer laufen, wenn mein Kopf schon nach zehn frei und ich gut drauf war? Wozu mehr Output, wenn der niemandem nützt? Wozu übte ich als Kind in unserem Garten werfen und rechnete mir im Vorfeld aus, wie schnell ich die 800 Meter laufen musste, wenn die Ehrenurkunde doch nur in einer Schublade landete und nach zwei Tagen in Vergessenheit geriet? Wozu sprang ich mein Leben lang wie ein Hund über jedes Stöckchen, das man mir hinhielt, und bat anschließend darum, es noch ein bisschen höher zu halten? 

Wie ich meinen Ehrgeiz heute behandle

Ich kann diese Fragen (noch) nicht mit absoluter Sicherheit beantworten, doch ich merke schon, dass es mir gut tut, sie überhaupt zu stellen. Ich habe eine ungefähre Ahnung, wo mein Ehrgeiz herkommt und was in der Vergangenheit in etwa seine Funktion in meinem Leben war. Wenn ich mir das wiederum vor Augen führe, sehe ich sehr klar, dass ich meinen Ehrgeiz in dieser Form, wie ich ihn kenne, wirklich absolut nicht mehr gebrauchen kann. Pokale bedeuten mir nämlich nichts. Andere Menschen in irgendetwas zu übertreffen, bedeutet mir nichts. Mich selbst immer wieder zu übertreffen und in irgendetwas zu steigern, macht mich kaputt. Ich kann mich an kaum einen meiner Erfolge erinnern, für die ich mich zum Teil so angestrengt habe. Was mir dafür umso mehr bedeutet, sind meine Freund:innen, meine Familie, meine Beziehungen zu meinen lieben Kolleg:innen. So viele gemeinsame Abende, Erlebnisse, Gespräche, Momente mit ihnen, die ich niemals vergessen werde. Kein Erfolg könnte für mich jemals erfüllender sein als das Gefühl, zu lieben und geliebt zu werden. Nicht für irgendeine Leistung, sondern einfach so. Weil ich bin, wie ich bin. Für mich ist das unfassbar. Überwältigend. Unbegreiflich. Wertvoller als alles, was ich mir vorstellen kann. 

Ich werde sicherlich noch eine Weile brauchen, um zu lernen, dass ich in nichts, was ich tue, die Beste sein und auch nicht stets besser in irgendetwas werden muss. Das Muster sitzt tief. Doch wann immer ich es schaffe, irgendwo abzubauen, wo ich mich in der Vergangenheit aus Prinzip gepusht habe, und vermeintliche Erfolgsmarker zu ignorieren, freue und feiere ich mich im Stillen. Ich möchte mein Leben mit möglichst vielem füllen, was mir etwas bedeutet und mich glücklich macht. Und irgendwelchen (!) Erfolgen nachzujagen macht mich persönlich, das kann ich aus Erfahrung sagen, definitiv nicht glücklich. Natürlich bin ich bereit, mich anzustrengen und etwas zu leisten, das werde ich immer sein. Doch bevor ich mich mit voller Power in etwas reinhänge, denke ich an meinen Freund und die Bundesjugendspiele und frage erst einmal in aller Ruhe: Wozu?

Brigitte

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