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Therapie im Netz

Immer mehr Menschen suchen therapeutische Hilfe in der Anonymität des weltweiten Datennetzes. Es fällt ihnen leichter, ihre Gefühle einem Bildschirm anzuvertrauen als einem unmittelbaren Gesprächspartner.

Für Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychiater und Herausgeber von Kompetenznetz Depression, liegen die Vorteile des Internets auf der Hand: "In diesem anonymen Medium können Patienten leichter Kontakte zu anderen Betroffenen aufbauen und Informationen über ihre Krankheit einholen. Im realen Leben werden psychische Erkrankungen immer noch weitgehend tabuisiert." Austausch und Infos ja - aber wie sieht es mit virtuellen Psychotherapien aus? Können sie die persönliche Interaktion zwischen Therapeut und Patient wirklich ersetzen?

Pilotprojekt in den Niederlanden

Während virtuelle Beratungen sich in Deutschland auf allgemeine Erläuterungen und den Verweis auf einen Arztbesuch beschränken, sammeln Wissenschaftler in den Niederlanden bereits Erfahrungen mit Online-Therapien. Die Uni Amsterdam betreibt das Internet-Programm Interapy, bei dem Patienten mit posttraumatischen Stresssymptomen behandelt werden (auch in deutscher Sprache möglich). Die Patienten sollen ihre Erlebnisse durch Schreibübungen verarbeiten, Instruktionen und Feedback erhalten sie von den Psychologen per E-Mail. Bevor jemand zur Therapie zugelassen wird, wird er ausführlich getestet - mithilfe von Online-Fragebögen. Risikogruppen wie suizidgefährdete oder sehr junge Menschen werden von der Behandlung ausgeschlossen.

Die Vorteile der Internet-Therapie: Die Patienten müssen nicht mehr zu ihren Sitzungen anreisen, was besonders Menschen mit Phobien oder Behinderungen entlastet. Außerdem können sie ihre Therapieeinheiten zeitlich flexibel gestalten - die Schreibübungen können zu jeder Tages- und Nachtzeit erledigt werden. Das Projekt scheint zu funktionieren: Die Erfolge bei den Testpersonen sind nach Angaben des verantwortlichen Professors Dr. Alfred Lange enorm.

"Beratung ja - Therapie nein"

"Beratung ja - Therapie nein" lautet indes das Credo des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP). Nach Ansicht von Hans-Werner Drewe kann eine Beratung im Internet eine Face-to-Face-Therapie keinesfalls ersetzen. Wer therapeutische Hilfe benötige, solle das Web lediglich nutzen, um einen geeigneten Therapeuten zu suchen und sich über Krankheitsbilder zu informieren. "Eine persönliche Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist aber unerlässlich", meint der Psychologe. Viele Patienten fühlten sich mit der Verschriftlichung ihrer Probleme überfordert. Außerdem seien die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten sehr eingeschränkt.

Die Hamburger Kunsttherapeutin Heike Geldner bringt die Problematik auf den Punkt: "Ein Therapeut muss unbedingt einen Gesamteindruck von dem Patienten bekommen, um ihn oder sie beurteilen zu können. Nonverbale Signale, wie Tonfall oder Mimik (zitternde Stimme, Tränen, Unsicherheit), gehen im Internet aber völlig verloren." Doch auch sie weiß die Vorzüge des WWW zu schätzen: "Der Austausch mit anderen Betroffenen im Netz kann eine sehr sinnvolle Ergänzung zur Therapie sein."

Checkliste für die Online-Beratung

Wer im Internet psychologische Beratung sucht, sollte Qualität und Kosten sorgfältig prüfen. Folgende Richtlinien für die Beurteilung der Online-Angebote hat der BDP herausgegeben:

  • Achten Sie darauf, dass die erste Kontaktaufnahme kostenlos ist.
  • Seriöse Therapeuten machen überprüfbare Angaben über ihre Person (z.B. postalische Adresse).
  • Die Anbieter sollten darauf verweisen, dass ihre Beratung keine Therapie ersetzt.
  • Fragen Sie den Therapeuten bei der ersten Kontaktaufnahme, ob er Diplom-Psychologe ist und sich auf die berufsethischen Grundsätze seines Berufsstandes verpflichtet hat.
  • Verschaffen Sie sich Klarheit, welche Leistungen wie berechnet werden.
  • Vorsicht bei Angeboten wie 10er-Beratungspaketen - hier kauft man die Katze im Sack.
  • Vorsicht auch bei Billigangeboten (15 Euro pro Stunde), "Heilsversprechen" und "Patentrezepten".

Welche Gütesiegel gibt es?

Die Qualität von Psycho-Websites lässt sich auch mit Hilfe von Qualitätssiegeln einschätzen. Das Logo der "Health on the Net Foundation" (HON) steht für die Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der angebotenen medizinischen oder psychologischen Informationen. Ein Webbetreiber kann das Gütesiegel beantragen, Gutachter examinieren daraufhin die Site hinsichtlich der geforderten ethischen Standards. Die Prinzipien der Organisation können Sie hier einsehen.

Die Europäische Union verleiht seit Anfang 2002 das Gütesiegel "MedCERTAIN". Wenn ein Website-Betreiber dieses Siegel beantragt, verpflichtet er sich, qualifizierte Informationen anzubieten. Auch hier wird die Website von einer unabhängigen Kommission begutachtet. Wofür das Gütezeichen im Einzelnen steht, erfahren Sie hier.

Susanne Arndt

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