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Emotionsforschung Sozialpsychologin: "Eine Gesellschaft ohne Neid ist für mich kaum vorstellbar"

Katja Corcoran: eine blonde junge Frau sitzt an einem Fenster und schaut nachdenklich hinaus
© finwal89 / Shutterstock
Neid wird zu Unrecht verteufelt, sagt Neidforscherin und Sozialpsychologin Katja Corcoran: Er kann viel mehr, als uns nur klein zu machen.

Brigitte: Neid ist eine Emotion, die so gar nicht gesellschaftsfähig ist. Warum aber haben wir ihn?

Katja Corcoran: Eine Gesellschaft ohne Neid ist für mich kaum vorstellbar. Ich bin auch skeptisch, ob das eine bessere, schönere Welt wäre. Wir sind soziale Wesen und vergleichen uns automatisch mit anderen. Neid hilft uns dabei, uns zu verorten, Struktur zu finden, er lässt uns nach etwas streben. Wenn dieses Gefühlt in mir aufkommt, weil ein anderer etwas hat oder kann, was ich auch gerne hätte oder könnte, kann mich das anspornen. Der Mensch will ja was, nicht nur rumdümpeln.

Also ist Neid nichts Schlechtes?

Nein, nicht per se. Neid ist ein spannender Ratgeber. Er gibt mir Feedback: Wo möchte ich noch hin, was ist mir wichtig? Bin ich plötzlich auf etwas neidisch, kann das ein Indiz dafür sein, dass ich mich mit einer Sehnsucht noch nicht genügend auseinandergesetzt habe.

Was könnte das zum Beispiel sein?

Vielleicht habe ich eine Kollegin, die es gut schafft, viel mit ihrer Familie zu sein und ihren Job lässiger anzugehen. Beneide ich sie darum, kann mir das sagen, dass eine bessere Work-Life-Balance eigentlich mehr mein Ding wäre als die verbissene Karriere, die ich gerade verfolge.

Trotzdem fühlt sich das nicht schön an.

Neid erzeugt immer auch eine kleine Trauer. Ihr nachzuspüren lohnt sich aber. Denn vielleicht wollte ich meinem Leben in Wahrheit eine andere Ausrichtung geben.

Aber bringt mich Neid meinen Wünschen denn wirklich näher? Wenn ich denke, ich möchte auch eine Gehaltserhöhung, ein Häuschen auf einer Insel, gehe ich ja nicht, schwupps, ins Ziel.

Klar kann das auch nur ein sehr flüchtiges Gefühl sein. Oder ich spüre einen großen Schub, der letztlich zu nichts führt. Um wirklich ins Handeln zu kommen, gehört viel dazu: Ressourcen, die ich aktiviere. Pläne, die ich schmiede. Hindernisse, die ich überwinde.

Und dennoch: Manche Dinge, die ich anderen neide, werde ich einfach nie erreichen.

Stimmt! Da hilft es manchmal zu erkennen, was andere für einen Aufwand betrieben haben, um z. B. einen gewissen Lifestyle zu haben. Dann drifte ich weniger in negativen Neid ab. Oft sehen wir nur einen Aspekt, nicht das ganze Package, das damit einhergeht. Vielleicht ist da ein Vater, der sehr viel verdient, aber eigentlich nie Zeit für seine Familie hat. Oder die Kinder spielen alle wunderbar Geige und Klavier, dafür haben sie an anderen Stellen Defizite. Auf das Gesamtpaket sind wir dann doch nicht neidisch, wenn wir ganz ehrlich zu uns sind.

Sie sprechen von "negativem Neid“.

Ja, der ist eher destruktiv. Von dem könnten wir uns tatsächlich wünschen, ihn nicht zu haben. Er entsteht zum Beispiel aus Hilflosigkeit. Wenn ich merke, ich kann nicht zum anderen aufholen, habe es gar nicht in der Hand.

Woran merke ich, dass mein Neid kippt?

Wenn ich anderen etwas missgönne. Ihnen tatsächlich schaden will. Schlecht über sie rede, ihnen Steine in den Weg lege. Da muss ich hellhörig werden. Das ist ein wirklich aggressiver Akt. Wenn ich diesem negativen Neid freien Lauf lasse, kommt am Ende ja auch nichts für mich raus: Ich erreiche überhaupt nichts, außer dass ich mich und die anderen demontiere.

Wenn mich ein Neidgefühl aufzufressen scheint …

… sollte ich versuchen, aus dem negativen Affekt herauszukommen, mich zu beruhigen. Man braucht eine positivere Grundstimmung, um wieder Zugang zu den eigenen Stärken zu bekommen. Wer immer wieder dieselben Gedanken der eigenen Ungenügsamkeit durchspielt, gerät in einen Teufelskreis.

Was kann ihn durchbrechen?

Zum Beispiel Tagebuch führen, über Situationen, in denen Sie Glück empfunden haben: Waren Sie für etwas dankbar? Haben Sie jemandem geholfen? Dann verschiebt sich etwas zu unseren Gunsten. Oft reden wir klein, was wir Tag für Tag leisten. Jede:r verfügt aber über etwas, auf was sie oder er stolz sein kann.

Trotzdem treibt uns doch alle der Wahn um, das Leben sei nur dann glücklich und erfolgreich, wenn wir genau dieses oder jenes ergattert haben.

Die Idee, nur diese Liebe oder Karriere sei die einzig wahre, ist sehr gefährlich. Wir schränken uns damit selber so stark ein und versperren uns viele Möglichkeiten, glücklich zu sein. Es ist heilsamer, die Dinge im Leben wertzuschätzen, die gut gelaufen sind.

Großes Neidthema ist ja, wie groß scheinbar das Familienglück der anderen ist.

Hier müssen wir klarstellen: Wir nehmen nichts objektiv wahr, schließlich sind wir keine Fotoapparate. Außerdem sehen wir vom Leben der anderen oft nur das, was diese uns zeigen wollen. Und obwohl vielleicht zwei Familien in gleichem Maße ihr Leben gelingt, wenn auch auf andere Weise, entsteht das verzerrte Gefühl: Man selbst versagt, die anderen brillieren. Deshalb sollte man sich fragen: Was beneide ich da wirklich: Ist das die Realität oder nur eine Fantasie von mir?

Wie schaffen wir es, diesen Trugschluss aufzugeben, dass das Gras auf der anderen Seite immer grüner ist?

Wir dürfen hinter die Kulissen schauen: Was tun die anderen dafür, was ist ihr Einsatz? Und wo sind die Ecken mit dem Unkraut?

Es gibt aber doch auch sicher Situationen, bei denen mir konstruktiver Neid nicht weiterhilft. Zum Beispiel bei unerfülltem Kinderwunsch, was ja einfach nur schrecklich traurig sein kann.

Ja, das stimmt. Das Neidobjekt ist unerreichbar. Dem muss ich mich stellen, denn ich werde es nicht erzwingen können. Das gilt aber für nicht zu verwirklichende Ziele generell – loslassen können. Hier hilft die Erkenntnis: Wieso hat die eine Sache für mich so eine große Bedeutung? In diesem Fall die biologische Fähigkeit, Mutter zu werden. Ich reduziere dann ja alles auf die Idee, ein Kind muss in meinem Bauch heranwachsen. Wenn man das zu Ende denkt, wird einem womöglich klar, wie problematisch und das Selbst beschädigend diese Vorstellung ist. Aber eine Mutterrolle oder auch eine Fürsorglichkeit für jemand anderen enthält mir doch niemand vor. Ich will das Thema auf keinen Fall klein reden. Das kann sehr dramatisch sein und es muss echte Trauerarbeit geleistet werden. Aber man kämpft da gegen große gesellschaftliche Erwartungen und Mythen an, bei sich selbst, bei den anderen.

Darf ich eigentlich aussprechen, dass ich neidisch bin? Wenn die Freundin Mutter wird, jetzt auf Weltreise geht oder im Job den Erfolg hat, der mir vielleicht missgönnt war.

Ja. Es wäre in einer Freundschaft sogar wichtig, den Mut zu haben, ein nagendes Gefühl wie Neid preiszugeben. Diesen Schmerz benennen zu dürfen. Warum soll es verwerflich sein, zu sagen, ach, das hätte ich auch gerne? Wären wir da ehrlicher, würde das unsere Beziehungen bereichern. Meine Freundin könnte überlegen, wie sie mir aus dem Gefühl des Mangels heraushilft oder mir sogar tatkräftige Unterstützung anbieten.

Wie spricht man es an, ohne dass es das Gegenüber stresst?

Sprechen Sie über Ihre Gefühle und stellen Sie nicht den Verdienst Ihrer Freundin infrage. Solange Sie der Freundin das Schöne, das ihr widerfährt, gönnen, ist alles o. k. Langfristig profitiert eine gute Beziehung aber von einer gewissen Balance: Wir möchten gleichauf sein – vielleicht sagt die Freundin dann auch: Schau doch mal, wo du toll dastehst.

Steigern Social Media unsere Neidgefühle? Wenn auf Instagram alle ihren Superkuchen, ihren definierten Body, ihren Costa- Rica-Trip posten?

Social Media schaffen unheimlich viel Gelegenheit für den sozialen Vergleich. Und es findet dort verstärkt hochgetunte Selbstdarstellung statt – eine völlig verklärte Welt. Aber wir sind ja nicht vollkommen naiv. Es liegt auch in unserer Macht, sich diesen Bildern nicht auszusetzen.

Katja Corcoran ist Professorin an der Uni Graz und leitet dort den Arbeitsbereich Sozialpsychologie. Zu ihren Schwerpunkten gehören die Neid-Forschung, soziale Vergleiche und Interventionen zur Verhaltensänderung.

Brigitte

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