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Psychologie "Seit ich eines verstanden habe, mache ich mir weniger Sorgen"

Psychologie: Eine Frau am Meer
© simona / Adobe Stock
Sorgen sind anstrengend und können mehr Raum in Anspruch nehmen, als uns lieb ist. Unserer Autorin hilft vor allem ein Gedanke dabei, die Grübelei in Grenzen zu halten.

Es gibt viele Vorstellungen, die mir Angst machen. Einsam zu sein, zum Beispiel. Oder krank. Komplett pleite zu sein, steht auch nicht auf meiner To-Do-Liste. Oder die schlimmste von allen: noch einen geliebten Menschen zu verlieren. Das sind die wirklich furchteinflößenden Vorstellungen. Doch es gibt mehr. Beispielsweise könnte es sein, dass ich meinen Job verliere. Oder dass mir mein Portemonnaie abhanden kommt und ich alles, was darin war, sperren und neu beantragen muss. Es könnte sein, dass ich aus irgendwelchen Gründen nie wieder Käse essen dürfte. Oder plötzlich mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten müsste. Es könnte so viel passieren, was sich negativ auf mein Leben auswirkt – von großen, globalen Krisen wie Pandemien, Kriegen und Naturkatastrophen bis hin zu persönlichen Schicksalsschlägen oder Ereignissen, die ich meiner eigenen Dummheit zuschreiben darf –, dass ich mir problemlos ständig Sorgen machen könnte.

Mache ich aber nicht. Nicht so sehr, weil ich denke, dass es nichts bringt – das allein würde mich wahrscheinlich kaum davon abhalten. Was mir ein großes Stück Freiheit und Erleichterung von Sorgen geschenkt hat, war die Erkenntnis, dass nicht nur etwas Schlimmes geschehen könnte, sondern dass etwas geschehen wird. Mein Leben kann und wird nicht durchgehend schön und bequem sein, und es kann nicht immer nur bergauf gehen. Irgendwann wird es wieder ungemütlich und anstrengend, irgendwann werde ich mich anpassen und damit abfinden müssen, mit sehr viel weniger auskommen und zufrieden sein zu müssen, als ich in meinen schönsten, glücklichsten und reichsten Monaten hatte. Das ist vielleicht kein Grund zu feiern, aber eine Tragödie ist es eben auch nicht. Das ist das Leben. Manchmal läuft es super, und manchmal fühlt es sich an wie eine einzige Strafe. 

Gewissheit statt Ungewissheit

Das mag jetzt erst einmal deprimierend und pessimistisch klingen, doch für mich haben sich aus dieser Sichtweise mehr Vorteile ergeben als Nachteile. Indem ich, anstatt zu fürchten, dass sich mein Leben negativ entwickeln könnte, davon ausgehe, dass es das früher oder später tun wird, schenke ich mir selbst ein Stück Klarheit und Gewissheit. Das allein bewirkt bereits, dass ich mich weniger mit all den schlimmen Dingen beschäftige, die passieren könnten, und dafür mehr mit dem, was gerade ist. Darauf wiederum blicke ich kurioserweise anders – mit mehr Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Dankbarkeit. Das Schöne und Gute erlebe ich intensiver, weil ich weiß, dass es weder selbstverständlich ist noch ewig währt.

Außerdem gehe ich anders mit den unbequemen Seiten des Lebens um, seit ich sie nicht mehr als Eventualität betrachte, sondern als unausweichlichen Bestandteil. Ich blicke ihnen eher mit der Haltung entgegen "wenn es so weit ist, komme ich damit klar" als mit der Fragestellung "würde ich damit klarkommen, wenn das einträte?". Schließlich habe ich in der Vergangenheit bereits die eine oder andere dunkle Zeit erlebt und mich davon erholt. Ich habe schon einiges von dem durchgemacht, was ich heute zu meinen schlimmsten Ängsten zählen würde. Wenn es darauf ankommt, bin ich resistenter, als ich mir vorstellen kann. 

Weder tatenlos abwarten noch vorgreifen

Dass ich fest damit rechne, dass mein Leben nicht immer so schön und leicht sein wird, wie in seinen besten Zeiten, heißt nicht, dass ich jeden Moment darauf warte, dass etwas Schlimmes passiert. Es heißt auch nicht, dass ich nicht alles in meiner Macht Stehende dafür tun würde, um zu verhindern, dass mir etwas Schlimmes passiert. Wo ich Risiken und Gefahren sehe, die ich ruhigen Gewissens umgehen kann, tue ich es. Wo ich sinnvolle Vorkehrungen für eine gemütliche Zukunft treffen kann, tue ich auch das. Ich kann mich aber nicht gegen eine Pandemie wappnen. Oder einen Krieg. Oder eine Sturmflut. Auf viele anstrengende Dinge kann ich erst reagieren und eingehen, wenn sie bereits eingetreten sind. Und früher versuche ich es gar nicht erst – "don't cross the bridge until you come to it".

Ich weiß, dass mir meine Einstellung nicht durch schwere Zeiten hindurch helfen wird. Sie werden immer schwer bleiben. Sie werden mir viel abverlangen, mich an den Rand der Verzweiflung und die Grenze meiner Kräfte bringen. Ich werde weinen. Doch sie werden vorübergehen. Alles im Leben ist vergänglich. Und das ist, finde ich, ein guter Grund, sich weniger Sorgen zu machen. 

Brigitte

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