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Sinnkrise: Was will ich vom Leben?

Sie haben scheinbar alles erreicht: Erfolg im Job und eine glückliche Familie. Trotzdem stellen viele Frauen mit einem Mal ihr Leben in Frage. Warum? Ein Gespräch mit dem Psychologen Tom Diesbrock.

Margret ist 38, hat Mann, Haus, Tochter, Beruf. Sie ist erfolgreich, kann sich was leisten und wird von vielen beneidet. Die einzige, die sich in letzter Zeit immer häufiger denkt: "Was soll das hier eigentlich alles?" ist Margret selbst. Dabei ist sie kein Einzelfall, wie Margret geht es immer mehr Frauen: Sie haben scheinbar alles erreicht und kommen vielleicht zum ersten Mal zum Luftholen in ihrem Leben. Ziehen Bilanz - und die fällt oft sehr unbefriedigend aus. Wir haben uns mit dem Psychologen Tom Diesbrock über dieses Phänomen unterhalten.

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Brigitte.de: Herr Diesbrock, was ist mit den Frauen rund um die 40 los?

Tom Diesbrock: Ich beobachte in meiner Praxis folgendes: Frauen kommen zu mir auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, weil sie auf einmal nicht mehr zufrieden sind. Sie haben viele Möglichkeiten, zu viele, und das erzeugt Stress. Andererseits wissen sie nicht, was sie konkret tun können.

Brigitte.de: Woran liegt denn das?

Tom Diesbrock: Viele sind ihr Leben lang den Weg des geringsten Widerstands gegangen. Haben BWL studiert, weil für Medizin der Mut fehlte, aus einem Praktikum wurde ein Job, eine Beförderung in eine neue Abteilung. Im Hinterkopf blinkt dabei immer: Das ist jetzt der Aufbau meiner Karriere, da muss man die ersten Jahre auch mal was machen, was nicht ganz so viel Spaß macht und so. Hinzu kommt, dass unter Stress die Wahrnehmung geringer wird, wir bekommen einen Tunnelblick und unser Fokus wird eng. Das war früher wichtig, wenn ein Säbelzahntiger vor uns stand, heute ist es eher hinderlich. Und irgendwann kommen meine Klientinnen an einen Punkt, an dem sie sich fragen: Will ich das eigentlich? Habe ich mich jemals aktiv für diese Karriere entschieden? Und: Will ich das den Rest meines Lebens machen? Die Antwort ist oft nein.

Brigitte.de: Eine schwierige Situation.

Tom Diesbrock: Ja. Dabei haben die Frauen, die zu mir kommen, den ersten großen Schritt ja schon gemacht. Sie haben sich die Fragen schon gestellt, meist schon viel Ratgeber-Literatur gelesen. Viele wissen: Ich will hier weg. Aber viel schwieriger ist es, zu erkennen: Wo will ich hin?

Brigitte.de: Ich würde gerne in einem großen Haus auf dem Land alt werden.

Tom Diesbrock: Sehr interessant, das sagen sehr viele. Sie sehnen sich danach, mit Menschen zu arbeiten, etwas Wertvolles und Sinnvolles zu tun - vielleicht im sozialen Bereich. Wenn ich sie dann frage, wie es derzeit aussieht, dann wohnen sie in der Großstadt und vertreiben Küchenmaschinen oder sind im Management einer Bank.

Brigitte.de: Und sind von ihrem Job nicht so begeistert?

Tom Diesbrock: In Deutschland sind 70 Prozent der Leute ohne emotionale Bindung an den Job - 70 Prozent!! Das ist niederschmetternd, da haben wir als Gesellschaft total versagt. Aber viele haben Angst, etwas zu verändern: Heute muss man ja froh sein, wenn man überhaupt einen Job hat, auch wenn er keinen Spaß macht - so denken viele.

Brigitte.de: Was raten Sie den Frauen dann?

Tom Diesbrock: Ich gebe wenig inhaltlichen Input, denn davon bekommen die meisten schon mehr als genug aus Büchern und von Freunden. Lieber begleite ich den inneren Prozess, versuche, die Leute dahin zu bringen, dass sie sich selbst erlauben, was Neues zu wagen. Sich die Fragen stellen: Was will ich? Was kann ich? Wir machen eine Potentialanalyse, produzieren Ideen, strukturieren die Fähigkeiten der Person. Gute Fragen sind auch: Wie habe ich mich für meinen Job entschieden? Unter welchen Bedingungen will ich ihn in fünf Jahren noch machen? Wo möchte ich mit 60 sein? Was ist meine Vision? Oder wer es ganz generell mag. Warum bin ich auf der Welt?

Brigitte.de: Was heißt das konkret? Können Sie ein Beispiel nennen?

Tom Diesbrock: Sie sind vielleicht unzufrieden, weil Sie Küchenmaschinen vertreiben. Sie machen diesen Job, denn Sie können gut Kontakte pflegen und verkaufen, strukturiert denken. Aber Sie erkennen: Für die Ewigkeit ist das nichts. Dann versuchen wir gemeinsam zu überlegen: Wo kann ich diese Fähigkeiten noch nutzen, in einem Rahmen, der mir mehr Spaß macht. Welche Fähigkeiten habe ich noch, die bisher brachliegen? Vielleicht kommt dann raus, dass Sie viel glücklicher sind, wenn Sie in einer sozialen oder karitativen Einrichtung eine ähnliche Position übernehmen. Oder dass Sie etwas ganz anderes machen und vielleicht einen Waldorfkindergarten leiten wollen und eigentlich auch könnten. Wir überlegen dann, wie das klappen könnte. Sicher brauchen Sie dafür auch Mut - aber es lohnt sich!

Sie können Diplom-Psychologen Tom Diesbrock auch auf seiner Website besuchen.

Interview: Helene Endres

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