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Fastenzeit Warum ich lieber auf Selbstoptimierung als auf Zucker verzichte

Frau trinkt genussvoll Kaffee und isst Kuchen: Selbstoptimierung zur Fastenzeit
© Mariia Korneeva / Adobe Stock
Die Fastenzeit ist prädestiniert dafür, ungesunde und schädliche Gewohnheiten abzulegen. Warum ich trotzdem dafür plädiere, dass wir in dieser Zeit weniger hart mit uns sind.

Unser Zeitalter ist geprägt von Selbstoptimierung. Die Ernährung geht bestimmt noch etwas gesünder, oder wie man gerne sagt: cleaner, die Workout-Routine können wir noch effizienter gestalten, und eigentlich sollten wir auch die Bildschirmzeit noch stärker begrenzen. Im Grunde ist es ja auch nicht verkehrt, gesund leben zu wollen und darauf zu achten, dass wir unserem Körper und unserem Geist etwas Gutes tun. Das Problem ist nur, dass sich diese Wirkung schnell ins Gegenteil umkehren kann, wenn wir zu verbissen an die Sache herangehen.

Fastenzeit: Auf Alkohol, Zucker oder Social Media verzichten

Und genau hier kommt die Fastenzeit ins Spiel. Fasten als spirituelle Praxis finden wir in vielen Traditionen. Die Variante der Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern kommt aus dem Christentum. Religiös gesehen ging beziehungsweise geht es darum, durch 40-tägiges (die Sonntage werden nicht mitgezählt) Fasten Gott näher zu kommen. Gläubige schränken sich dabei vor allem in den Nahrungs- und Genussmitteln ein, auf Fleisch, Alkohol und Süßes etwa soll verzichtet werden. Früher wurde sogar nur eine Mahlzeit pro Tag gegessen – quasi eine Art Vorläufer des heute so angesagten Intervallfastens.

Diese Tradition hat ihren Weg auch in unsere heutige Zeit des Überflusses geschafft. Viele Menschen, auch Nicht-Christ:innen, nehmen die Fastenzeit als Anlass, ihren Konsum und ihren Lebensstil zu überdenken. Das kann Verschiedenstes beinhalten: Manche verzichten auf bestimmte Lebensmittel, von denen sie (ihrer Meinung nach) zu viel essen – Zucker, Fleisch, Fisch, Junkfood –, andere trinken keinen Kaffee oder Alkohol oder probieren sich an einer Zigarettenpause. Einige übertragen den Fastengedanken aber auch auf andere Gewohnheiten, sie möchten etwa nicht so viel jammern oder weniger auf Social Media aktiv sein. Auch weniger oder gar nicht zu shoppen, ist für viele eine Form des Fastens.

Sind die "gesunden Routinen" gerade wirklich das Gesündeste für uns?

Und ja: Im ersten Moment hören sich alle diese Vorsätze erst mal gut an. Was soll auch falsch daran sein, ungesunde oder schädliche Angewohnheiten abzulegen? Das kann es aber tatsächlich werden – gerade wenn wir ohnehin schon sehr diszipliniert und hart mit uns sind, kann diese zusätzliche Verzichtsphase nur weiteren psychologischen Druck ausüben. Denn ja: Zu viel Zucker oder stundenlanges Scrollen durch Instagram ist ganz sicher nicht gesund. Und wir müssen auch bestimmt nicht jeden Monat acht neue Fast-Fashion-Teile kaufen.

Aber häufig sind solche Gewohnheiten Schutzmechanismen, wir lenken uns damit ab, weil wir beispielsweise bestimmte Emotionen nicht fühlen wollen oder nicht verarbeiten können – Stichwort emotionales Essen. Und mit harter Disziplin lösen wir das Problem ganz sicher nicht an der Wurzel.

#thatgirl + Co: Verzicht als Selbstoptimierungs-Strategie

Social-Media-Trends wie #thatgirl verstärken diese Tendenz. Junge, schlanke und wunderschöne Frauen posten ihre gesunden Ernährungs-, Sport- und Skincare-Routinen und suggerieren so: Wenn wir immer schön produktiv sind und noch ein Stückchen gesünder und effektiver leben, werden wir auf jeden Fall glücklicher und, noch wichtiger: erfolgreicher.

Wir laufen so allerdings ganz schnell Gefahr, uns kaputt zu optimieren. Denn erst einmal ist es für die meisten Menschen, die einen Vollzeitjob, Haushalt, vielleicht noch Kinder oder Haustiere und ein soziales Leben unter einen Hut kriegen müssen, schlicht nicht machbar, dieses Level an Healthy Eating, täglicher Sporteinheit und einstündiger Hautpflege-Routine in den Alltag zu integrieren. Und selbst wenn wir das schaffen, müssen wir meist recht schnell feststellen, dass eben doch noch andere Faktoren eine Rolle dabei spielen, ob unser Leben von einem auf den anderen Tag wie ein perfekt ausgeleuchtetes Insta-Reel aussieht. Genetik und Geld etwa – um mal nur zwei zu nennen.

Wie realistisch ist unser Idealbild?

Selbstoptimierung ist heute fast zu einer Art Religion geworden, insofern schließt sich hier der Kreis zum Fasten. Aber kann dieser perfektionierte Lebensstil das Heilversprechen einlösen, das er in der schönen pastellfarbenen Instagram-Welt gibt? Leider sorgt diese Welt meistens vor allem dafür, dass wir das ständige Gefühl haben, nicht gut genug zu sein. Dem #thatgirl-Idealbild können wir kaum entsprechen, also glauben wir, die einzige Lösung sei: genau, noch mehr zu optimieren, noch mehr "Routinen zu entwickeln", damit wir noch besser funktionieren. Wir machen uns selbst völlig fertig, wenn wir in einem stressigen Moment doch den Schokoriegel essen oder wenn wir nach einem stressigen Tag nicht genug Energie für das fünfte Workout in dieser Woche haben.

Was wir dabei häufig vergessen, ist, dass Gesundheit etwas Ganzheitliches ist. Wir können uns so "clean" ernähren, wie wir wollen, aber wenn wir unter Dauerstress stehen, werden wir uns trotzdem nicht fit wie ein Turnschuh fühlen. Also, was schadet mir in einem solchen Moment mehr? Genussvoll ein Stück Schokolade zu essen und ja, unnötigen Zucker zu konsumieren, oder mich selbst völlig fertigzumachen, weil ich das gerade tue?

Ein Plädoyer für Selbstmitgefühl statt Härte

Wie wäre es stattdessen, wenn wir die Fastenzeit dafür nutzen, auf überhöhte Ansprüche und unnötigen Druck zu verzichten? Statt uns immer weiter optimieren zu wollen, könnten wir reflektieren, warum es uns so schwerfällt, uns so zu akzeptieren, wie wir sind. Das heißt ja nicht, dass wir jegliche Selbstkontrolle aufgeben sollen und jeden Abend zwei Tüten Chips zu unserer Flasche Wein futtern, bevor wir nachts um 3 Uhr ins Bett gehen. Aber gesunde Gewohnheiten können wir nachhaltiger in unser Leben integrieren, wenn wir sie langsam und organisch angehen. Kompletter Verzicht auf jegliche "ungesunde" Lebensmittel und ein tägliches Fitnessprogramm von einem Tag auf den anderen sind für die meisten Menschen nicht der richtige Weg, gesünder zu leben.

Stattdessen würde es vielen von uns, und zu denen gehöre ich definitiv auch, guttun, mal fünfe gerade sein zu lassen. Lieber mal in uns hineinhorchen, was wir wirklich gerade brauchen, wenn es uns nicht gut geht. Denn das sind in den seltensten Fällen Härte und Druck, sondern viel öfter eine gesunde Portion Selbstliebe – und vor allem Selbstmitgefühl.

Brigitte

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