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Selbstoptimierung Warum zu viel Selbstkontrolle dir schaden kann

Frau am Smartphone: Warum zu viel Selbstkontrolle schaden kann
© Mariia Korneeva / Adobe Stock
Du bist super diszipliniert, stehst jeden Tag früh auf, machst Sport und gibst auch die Steuererklärung immer pünktlich ab? Glückwunsch! Aber zu viel Selbstkontrolle hat auch ihre Schattenseiten.

Im Zeitalter der Selbstoptimierung ist es ganz schön in Verruf geraten, Dinge einfach mal liegenzulassen und dem inneren Schweinehund nachzugeben. Wir sollen den Tag am besten mit einer gesunden Morgenroutine inklusive Meditation, Journaling und Green Smoothie beginnen und ihn superstrukturiert mit einem perfekt getakteten Workload weiterführen. Abends beim Essen mit Freund:innen trinken wir selbstverständlich nur unsere maximal festgelegte Menge an Drinks – oder besser gar keinen Alkohol –, bevor wir rechtzeitig ins Bett gehen, um am nächsten Tag wieder früh unseren nächsten durchoptimierten Tag beginnen zu können.

Dieses Ausmaß an Selbstdisziplin erreichen die wenigsten – und fühlen sich deshalb am Ende schlecht, weil unsere Gesellschaft eben auf Produktivität und Leistung ausgerichtet ist.

Unsere Beziehungen können unter zu viel Selbstkontrolle leiden

Du gehörst eher zu den Menschen, die lieber mal liegen bleiben, als um 6 Uhr zum Sport aufzustehen, oder die auch mal prokrastinieren, anstatt eine Aufgabe gleich zu erledigen? Mach dir keine Gedanken! Erstens ist eine derartige Selbstkontrolle, die uns dauerhaft perfekt optimiert durchs Leben gehen lässt, kaum schaffbar. Und zweitens kann sie uns sogar schaden – etwa in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Denn laut des Coaches und Autors Christian Thiele können Menschen mit extrem hoher Selbstkontrolle ungeahnte Probleme in Beziehungen haben. "Permanente Selbstdisziplin bringt 'interpersonale Kosten' mit sich", erklärt der Experte bei "Deutschlandfunk Kultur". "Wenig impulsive Menschen, die sich stets im Griff haben, laufen Gefahr, von ihrer Umwelt überladen zu werden, sowohl im Job als auch in der Familie – denn auf sie kann man sich ja immer und überall verlassen." Das könne sie unzufriedener mit und einsamer in ihren sozialen Beziehungen machen.

Wie aussagekräftig ist unsere Selbsteinschätzung zum Thema Disziplin?

In der Forschung zur Selbstdisziplin deuten sich noch weitere Schwierigkeiten an. Erst einmal sind Studien zu dem Thema oft nur schwer auswertbar, denn Informationen dazu, wie gut die Impulskontrolle eines Menschen ist, beruhen häufig auf der eigenen Aussage. Aber nur weil ich selbst glaube, sehr diszipliniert zu sein, muss das noch lange nicht so sein.

Es gibt deshalb Studien, die die Selbstkontrolle mit bestimmten Tests zu messen versuchen, etwa mit dem sogenannten Stroop-Test. Dabei sind Farben in Textform aufgeschrieben – die Wörter sind allerdings in einer anderen Farbe eingefärbt, sprich: Das Wort "Blau" ist etwa rot eingefärbt, das Wort "Grün" blau und so weiter.

Die Versuchsperson soll die Farbe des Wortes korrekt benennen. Das ist allerdings alles andere als leicht, weil unser Gehirn einen Konflikt zwischen der wahrgenommenen Farbe und dem geschriebenen Wort meldet. Wem dieser Test gut gelingt, der hat wissenschaftlich betrachtet eine gute Selbstkontrolle. Und die deckt sich laut Studien häufig nicht unbedingt mit der Selbsteinschätzung, die Menschen zu ihrem Level an Disziplin abgeben.

Wie viel Selbstdisziplin ist überhaupt gesund?

Eine Studie des kanadischen Psychologen Dr. Michael Inzlicht hat außerdem untersucht, ob Studierende, die mehr Versuchungen widerstehen können, insgesamt erfolgreicher sind. Das Ergebnis: Sind sie nicht. Denn diejenigen Teilnehmenden, die besonders kontrolliert bestimmte Gewohnheiten verfolgt haben, waren am Ende des Versuchszeitraums vor allem erschöpfter und gestresster als die Studierenden, die alles etwas lockerer angegangen waren. 

Selbstkontrolle: Die eigene Mitte finden

Heißt das nun also, wir sollen überhaupt nicht mehr versuchen, uns gesunde und produktive Verhaltensweisen anzugewöhnen? Jeden Tag trinken, rauchen, so lange schlafen, wie wir wollen, essen, was wir wollen, und keinen Sport machen, ohne darüber nachzudenken, was das mit unserer Gesundheit macht? Nein, natürlich nicht. Denn ein gewisses Maß an Selbstdisziplin ist nötig, damit wir überhaupt Dinge erledigen, erfüllende und ausgeglichene Beziehungen haben und unsere Gesundheit erhalten können.

Ob uns Disziplin und das Widerstehen von Versuchungen leichtfallen, ist nicht nur, aber auch, Veranlagungssache. Es ist deshalb auch sehr individuell, wie viel Selbstgeißelung versus Hedonismus wir brauchen, um uns gut zu fühlen und unser Leben zufrieden und erfolgreich zu meistern.

Aber es ist – wie bei so vielem im Leben – eine Frage des richtigen Maßes. Keinerlei Selbstkontrolle zu haben und jeder Versuchung nachzugeben, sorgt langfristig genauso wenig für ein gesundes und zufriedenes Leben, wie mit hundertprozentiger Disziplin permanent unseren starren Plan durchzuziehen, ohne mal spontan zu sein oder uns etwas zu gönnen. Hier gilt es, die eigene Mitte zu finden. Und das kann schon Herausforderung genug sein.

Verwendete Quellen: deutschlandfunkkultur.de, vox.com, psychologytoday.com

mbl Brigitte

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