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Selbstbild Warum du dich anders siehst, als du bist – und wie du es korrigierst

Psychologie: Eine Frau spiegelt sich in einer Pfütze
© fran_kie / Shutterstock
Unser Selbstbild hat Einfluss darauf, was wir uns zutrauen, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir uns fühlen und verhalten. Bei vielen Menschen entspricht es allerdings nicht der Realität. Warum und wie wir damit umgehen können, liest du hier.

Ein Baum ist in unserer Vorstellung eine große Pflanze mit einem dicken, braunen Stamm, vielleicht ein paar Ästen und irgendwelchem Grünzeug. Wahrscheinlich Blätter, vielleicht Nadeln. Dass er Wurzeln hat, wissen wir natürlich, aber eine große Rolle spielen sie in unserer Vorstellung in der Regel erst einmal nicht. Die feinen Gefäße, durch die Bäume Wasser vom Boden bis zu ihren Kronen und in die Blätter transportieren. Die Ameisen und anderen Insekten, die an ihren Stämmen hochkrabbeln, von und mit ihnen leben. Die Vögel, die ihre Nester in Baumkronen bauen.

Die vielen einzelnen, lebendigen, unterschiedlichen Zellen, aus denen ein Baum besteht, die ihn zu einem Lebensraum für zahlreiche Organismen machen und zu einem wichtigen Bestandteil für ein lebensfreundliches Klima auf unserem Planeten. All das gibt unser Standardbild von einem Baum üblicherweise nicht wieder. Doch all das, und noch viel, viel mehr, ist ein Baum.

In unserer Vorstellung sehen wir die Welt nicht, wie sie ist. Wir ordnen sie in Muster und Kategorien, die durch eine überschaubare Zahl von Eigenschaften definiert sind. Wir schematisieren. Wir vereinfachen. Wir urteilen. Und so gehen wir auch bei unserem Selbstbild vor.

Unser Selbstbild besteht aus Selbst-Schemata

"Im Laufe unseres Lebens bildet unser Gehirn Schemata, die uns dabei helfen, Informationen zu organisieren und mit uns und unserer Umwelt eine Bedeutung zu verknüpfen.", schreibt die Traumapsychologin Danielle Render Turmaud in Psychology Today. "Das schließt Selbst-Schemata mit ein, kognitive Generalisierungen und Glaubenssätze über uns, die beeinflussen, wie wir denken, fühlen und handeln." Beispiele solcher Selbst-Schemata seien etwa ich bin extrovertiert, ich bin sportlich, ich bin übergewichtig, ich bin intelligent, ich bin schüchtern, ich bin faul.

Genau genommen sind all diese Zuschreibungen Vereinfachungen beziehungsweise Verallgemeinerungen. So mag ein Mensch im privaten Bereich schüchtern sein, doch vielleicht geht er im Job aus sich heraus – oder würde es tun, hielte er sich nicht für schüchtern. Oder eine Person muss in einer Tätigkeit Relevanz und Sinn sehen können, um sich zu engagieren. Und weil ihr beides bei den Aufgaben in der Schule stets gefehlt hat, sieht sie sich als faul.

Wie die meisten unserer Vorstellungen wird unser Selbstbild maßgeblich während unserer Kindheit und Jugend geprägt. Es speist sich, so die Psychologin, aus unseren Erfahrungen sowie den Botschaften und dem Feedback, das wir von anderen Menschen über uns empfangen. In der Regel zeichnen wir es unbewusst mit, ohne es zu merken.

Unser Selbstbild beeinflusst unseren Selbstwert und unser Handeln

Zunächst einmal ist das einfach, was passiert. Wir müssen ordnen, generalisieren und vereinfachen, da wir nicht in der Lage sind, unsere Umwelt oder uns selbst in unserer Komplexität zu erfassen. Nachteile oder Schwierigkeiten erfahren wir allerdings, wenn wir Erlebnisse machen oder Rückmeldungen bekommen, die ein Selbstbild konstituieren, das nicht nur vereinfacht ist, sondern auch einengend oder falsch, und das uns daran hindert, uns selbst zu entwickeln und zu entfalten.

Angenommen, wir wachsen als kleine Schwester auf und immer, wenn wir traurig oder wütend sind und weinen, bekommen wir von unserem großen Bruder das Feedback, wir wären nervig. Für unser Selbstbild kann das bedeuten, dass wir glauben, eine Belästigung für unser Umfeld zu sein, wenn wir unsere Trauer oder Wut offen zeigen, und uns antrainieren, diese Gefühle zu unterdrücken. Unterscheiden wir uns von unseren Klassenkamerad:innen, weil wir zum Beispiel sensibler, klüger, kreativer oder kleiner sind als sie, und grenzen sie uns deswegen aus, kann das für unser Selbstbild zur Folge haben, dass wir uns als schräg betrachten, als anders, falsch, nicht liebenswert. Obwohl wir in Wahrheit besonders sensibel, klug, kreativ oder klein sind. 

Ein weiterer Nachteil, den unser schematisches Selbstbild haben kann, ist der, dass es uns daran hindert, Seiten an uns zu entdecken oder auszuleben, die in unserem Schema nicht vorkommen. Wenn wir beispielsweise beschlossen haben, wir seien chaotisch, wird das vielleicht dazu führen, dass wir um jegliche organisatorischen Aufgaben einen großen Bogen machen. Aber vielleicht könnten wir sie ja doch bewältigen, wenn wir es versuchten. Und vielleicht sind viele Erklärungen, die wir für unser Handeln, unsere Fehler oder für Dinge, die uns passieren, finden, gar nicht wahr, sondern lediglich Projektionen, die zu unserem Selbstbild passen. Das mindestens vereinfacht, vielleicht sogar fehlerhaft, sicher jedoch nicht der vollumfänglichen Wirklichkeit entspricht.

Wie können wir unser Selbstbild korrigieren?

Wir werden uns niemals so sehen, wie wir sind. Doch wie wir uns sehen, beeinflusst, wie wir uns fühlen, was wir uns zutrauen, wie wir uns verhalten. Deshalb ist es in unserem Interesse, uns mit unserem Selbstbild auseinanderzusetzen und eines zu entwickeln, mit dem wir möglichst gut leben können. Eines, mit dem wir uns wohlfühlen, das uns mutige Entscheidungen treffen, uns aber nicht ständig selbst überschätzen lässt. Eines, das nicht starr und fertig ist, sondern offen für Anpassungen, Korrekturen und Entwicklungen. Folgende Tipps können laut der Traumaexpertin bei diesem Prozess helfen.

1. Neugierig sein

Wer glaube ich zu sein? Warum glaube ich, so zu sein? Was könnte da sonst noch an mir sein? Wer möchte ich gerne sein? Wenn wir uns selbst mit Interesse und Neugier begegnen, anstatt mit Vorurteilen und festen Meinungen, können wir einerseits erforschen, was wir eigentlich über uns denken und wieso wir das tun, andererseits Seiten an uns entdecken, die wir noch nicht kannten.

2. Negative Selbst-Schemata attackieren

Da oftmals gerade negative Aspekte unseres Selbstbildes unserem Selbstwert schaden und uns einengen, können wir diese am besten aktiv bekämpfen. Statt uns beispielsweise zu sagen Ich bin ein Loser, ich mache alles falsch könnten wir uns zureden Alle Menschen machen Fehler, zu scheitern macht mich nicht zum Loser.

3. Selbstbild infrage stellen

Da unser Selbstbild eine aus Erfahrungen entstandene Vereinfachung ist, können wir einzelne Aspekte davon auch durchaus einer Prüfung unterziehen. Wirke ich wirklich so nervig und unreif, wenn ich wütend bin? Oder gebe ich meinen Mitmenschen damit nicht vielmehr Klarheit und zeige Reife und Authentizität?

4. Komplexität zulassen

Wir sind mehr als unsere Stärken, Schwächen, Fehler, Erfolge, Fortschritte und Beziehungen. Wir sind mehr, als wir erfassen können, und wir sind zu jedem Zeitpunkt alles Mögliche gleichzeitig. Wenn wir das akzeptieren, können wir leichter anerkennen, dass wir nicht alles verstehen müssen, was wir tun, fühlen oder denken. Manchmal übersehen wir sogar das Wichtigste, so wie wir bei unserer Vorstellung von einem Baum die Wurzeln nicht mitdenken. Wir sind mehr, als unser Selbstbild uns erahnen lässt. Wir sind wunderbar komplex.

5. Hilfe suchen

Da unser Selbstbild von zentraler Bedeutung für unser Leben ist, kann es sinnvoll sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um es umzugestalten. Insbesondere wenn wir in unserer Jugend traumatische oder ablehnende Erfahrungen gesammelt haben, mag eine Psychotherapie angebracht sein. 

Verwendete Quellen: psycologytoday.com, Kevin Dutton, Schwarz.Weiß. Denken! Warum wir ticken, wie wir ticken, und wie uns die Evolution manipulierbar macht.

sus Brigitte

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