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Selbstakzeptanz: Das Ziel ist im Weg

Selbstakzeptanz: Füße in Plüschpantoffeln, die auf einem Tische liegen
© Lolostock / Shutterstock
Warum wir vor lauter Entschlossenheit und Optimierungswillen oft das Gute – und uns selbst – aus dem Blick verlieren, erklärt die Philosophin Dr. Ina Schmidt.

Das müsste doch möglich sein: drei Kilo runter, zweimal die Woche ins Fitnessstudio sowie täglich frisch und gesund zu kochen. Außerdem muss ich noch den Kleiderschrank ausmisten und mich endlich mal wieder bei Tante Hilda melden. Und wenn ich diese kleinen Ziele in Angriff genommen habe, dann kann ich mich auch endlich an die großen wagen. Vielleicht gar der Gründung meiner eigenen Agentur. Und dann wird mein Leben besser. Auf jeden Fall besser, als es jetzt ist. Oder?

Warum muss es immer noch besser sein?

Im Prinzip ist an dem menschlichen Streben wenig auszusetzen, die Dinge noch ein wenig besser zu machen, ja, vielleicht sogar mal alles auf eine Karte zu setzen und sich richtig große Ziele zu stecken. Es spornt uns an, an das Bessere zu glauben und uns nicht immer nur mit dem zufriedenzugeben, was schon da ist. Wissenschaft und Fortschritt leben schließlich von dieser Neugier nach dem "Noch nicht". Und manches von dem, was wir da als Menschheit auf die Beine gestellt haben, kann sich ja auch durchaus sehen lassen. Allerdings hat dieses Streben auch seine Schattenseiten.

Gegenwärtig scheint der Wunsch nach stetiger Verbesserung zu einem Selbstzweck in allen Lebenslagen geworden zu sein, dem Credo der persönlichen Glückssuche. Und wer sich keine hehren Ziele setzt, der scheint es irgendwie nicht verstanden zu haben, der wird hoffnungslos im Sumpf der Mittelmäßigkeit und ungelebten Potenziale stecken bleiben. Also wird alles nicht daraufhin befragt, was daran gut ist, sondern was daran noch besser sein könnte: angefangen beim kritischen Blick vor dem Spiegel über die Frage nach dem besten Wohnort und Job bis hin zur Partnersuche.

Der französische Denker Voltaire hat das "Bessere" den Feind des Guten genannt. Das menschliche Streben nach einem "guten Leben" hat auch er nicht infrage gestellt. Aber Voltaires Überlegung geht einen wichtigen Schritt darüber hinaus: Was geschieht, wenn wir dieses bereits vorhandene "Gute" in unserem Leben nicht mehr erkennen können, weil wir zu beschäftigt damit sind, von Ziel zu Ziel, von Verbesserung zu Verbesserung zu denken? Jeder Zustand, jeder Partner, jede Wohnung, jeder Job hat ganz sicher auch Makel und Unvollkommenheiten. Wenn wir das zum Anlass nehmen, sofort weiterzueilen, kann es sogar sein, dass wir etwas verändern werden. Aber eines werden wir nicht erleben: einen inneren Zustand, der nicht mit jeder Unvollkommenheit hadert, sondern sie als Teil lebendiger Prozesse anerkennt.

Mit uns selbst im Reinen sein

Wenn wir in der Lage sind, den Blick auf das zu richten, "was ist", dann lernen wir etwas, das wir auf der Überholspur nicht lernen können: das Empfinden einer inneren Stimmigkeit, die nicht die Abwesenheit von Bewegung bedeutet, sondern nur die Abwesenheit einer vorgegebenen Richtung. Das bedeutet nicht, alle Sehnsüchte aufzugeben oder jede zielgerichtete Handlung. Aber wenn wir mit uns und unserem Leben eins sind, werden wir gerade im eher ziellosen Umgang mit der Gegenwart erkennen, welches Ziel es wert ist, auf die ganz eigene Weise verfolgt zu werden - und welches eher nicht.

Was genau heißt das? Möglicherweise erwäge ich einen Jobwechsel oder überlege, aus der Stadt hinaus in ein größeres Haus aufs Land zu ziehen. Alles vermeintlich Verbesserungen meines Lebens, Ziele, in deren Verwirklichung ich viel Zeit und Energie investieren kann. Die entscheidende Frage aber ist: Was erwarte ich mir wirklich davon? Ist der neue Job wirklich das, was ich will, oder nur ein Mittel zum Zweck, um von den Widrigkeiten des jetzigen Jobs wegzukommen? Will ich aufs Land ziehen, weil mir mehr Ruhe und frische Luft ein Bedürfnis sind? Oder geht es mir eher um eine romantische Vorstellung vom Landleben, die sofort dahin ist, wenn ich in Gummistiefeln Laub harken und die Hecke schneiden muss?

Wenn ich den Mut aufbringe, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein, dann ergeben sich manchmal völlig neue Möglichkeiten: das klärende Gespräch mit dem Vorgesetzten, um neue Arbeitsbedingungen zu schaffen, sodass ich den Job, in dem ich ansonsten eigentlich ganz zufrieden bin, gar nicht wechseln muss. Eine Wohnung in der Stadt, aber mit größerem Balkon und einem eigenen Hochbeet.

Denn oft genug finden wir das, wonach wir uns sehnen, ganz überraschend

Nur wenn wir in uns selbst einen Kompass finden, können wir unsere wesentlichen Anliegen erkennen und im Austausch mit der Welt den Wandel gestalten. "Bei sich selbst anzukommen" bedeutet weder Stillstand noch narzisstische Nabelschau, sondern birgt die Kraft, im Unterwegssein zur Ruhe zu kommen - um von dort Veränderungen auf den Weg zu bringen. Denn oft genug finden wir das, wonach wir uns sehnen, ganz überraschend. Gerade weil wir uns keine klaren Ziele gesetzt haben. Das ist vielleicht nicht immer das geplante Bessere des Guten. Aber möglicherweise das Beste, was uns passieren konnte.

Dr. Ina Schmidt ist freie Philosophin und Gründerin der "denkraeume", einer Initiative für philosophische Praxis, sowie Lehrbeauftragte der Universität Rostock. Ihr Buch zum Thema: "Das Ziel ist im Weg. Eine philosophische Suche nach dem Glück." (240 S., 20 Euro, Bastei Lübbe)

Brigitte 01/2019

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