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Schwierige Freundschaften So können wir aus komplizierten Freundschaften etwas lernen

Freundinnen sitzen auf dem Sofa und lachen
© idaline! / Adobe Stock
Sie ist wahnsinnig anstrengend mit ihren Launen, ihrer Egozentrik, ihren schrägen Ansichten. Und dennoch halten wir an ihr fest. Warum komplizierte Freundschaften auf den zweiten Blick ein Geschenk sind.

Solange ich denken kann, war sie Teil meines Lebens. Ganz früher, in der WG-Phase, rief sie mich oft mehrmals täglich an, zu 98,8 Prozent ging es dabei um ihren jeweiligen Schwarm, was der so tat und sagte. Ich kam selten unter einer Stunde weg, schwieg der Schwarm, konnten es auch zwei werden ("Warum meldet er sich nicht?"). Dass mir das keine Sympathiepunkte bei Mitbewohnerinnen und anderen Freund:innen einbrachte ("Immer ist bei euch besetzt!"), focht sie nicht an. Dafür klopfte sie die trockensten Sprüche, kannte die coolsten Clubs, war Mittelpunkt jeder Party. Sie inspirierte. Und nervte. Unser Beziehungsstatus: It’s complicated.

Später, als Abende nicht mehr in WG-Küchen, sondern eher in Restaurants begannen, war sie diejenige, die missmutig die Karte sinken ließ, wenn ich gerade meine Bestellung aufgegeben hatte: "Macht mich nicht an, lass uns woanders hingehen." Als sie ein Baby bekam, erklärte sie mein damals noch kinderloses Leben für quasi sinnlos, und als ich nachzog mit dem Mutterwerden (nicht ihretwegen), hörte der Stress nicht auf. Schließlich lieferten die letzten Jahre genügend Reizthemen: Migration, Corona, Ukraine-Krieg. Was sie mir auf Social Media schickte ("Es wird dir die Augen öffnen!") schrammte mal hart an Querdenkerei vorbei, mal führte es mittenrein.

Warum ich mir das antue? Nun: Ich rede nicht von einer einzelnen Person. Mehr von einem bestimmten Typus Freundin, den ich mein ganzes Erwachsenenleben über hatte. Überdramatisch, kapriziös, selbstfokussiert. Auch wenn ich es meistens nicht gleich merkte. Neben all den wunderbaren Frauen, die mich durch mein Leben begleiten, mit denen ich Berufspläne, Lieblingsromane und Stiefelfarben erörtern und mal nur einen vielsagenden Blick austauschen kann, gibt es mit schöner Zuverlässigkeit immer genau die eine, die deutlich mehr Energie verbraucht, als sie gibt.

Gute Freundschaften verlängern unser Leben

Irgendwann ist mein Tank leer, manchmal verpuffen diese Beziehungen leise in gegenseitigem Ghosting, manchmal mit einem Knall. Und jedes Mal frage ich mich: Habe ich ein Schild um den Hals, auf dem etwas steht wie: "Hier seelischen Müll abladen"? Oder bin ich einfach eine kalte, oberflächliche Person? Andererseits: Dann hätte ich wohl kaum Wegbegleiterinnen, mit denen ich seit vielen Jahren verbunden bin, gemeinsam durch Krisen gegangen von Liebeskummer bis Kinderpubertät. Mich interessiert: Gehört die "schwierige Freundin" zur Grundeinstellung eines Frauenlebens – und was hat sie neben Stress noch im Gepäck? Vielleicht auch was Gutes?

Freundschaft ist ein seltsames Konstrukt, gleichzeitig überhöht und missachtet. Die Forscherin Erika Alleweldt, Professorin für Sozialpädagogik, bezeichnet sie als einen "zentralen Typ der sozialen Beziehung". Freundschaften halten uns erwiesenermaßen gesund, lassen uns sogar länger leben, weil sie – im allgemeinen – Stress vermindern. Familie können wir uns nicht aussuchen, Liebe geht über kurz oder lang mit äußeren Abhängigkeiten einher, Freundschaften sind absolut freiwillig. Ihre Intensität lässt sich hoch- und runterregeln, man kann sie beenden, ohne vorher Geld und Zeit für Coaching und/oder Anwalt auszugeben. Auf der anderen Seite ist Frauenfreundschaft auch mythisch aufgeladen: Die Vorstellung von unzerstörbarer Seelenverwandtschaft gehört zum kulturellen Erbe, von "Hanni und Nanni" über "Thelma und Louise" bis zum Quartett aus "Sex and the City", von denen immerhin drei auch mit Ü50 noch Serien-BFF sind ("And just like that").

Diese Fallhöhe zwischen romantischen Nähefantasien und gleichzeitiger Unverbindlichkeit führt oft zur Schieflage. Vor allem, wenn unterschiedliche Erwartungen an gemeinsame Zeit, an Nähe, an Gleichklang im Raum stehen – so war es jedenfalls bei meinen "schwierigen Freundschaften". Dazu die Fallstricke, die das Leben so einbaut: wie umgehen damit, wenn die eine einen besseren Lauf hat, im Job, in der Liebe, finanziell, gesundheitlich? Wenn dann noch politische Zerrissenheit dazukommt, ist das oft nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. "Freundschaft ist ein Geborgenheitsraum, in dem man in Krisenzeiten Zuflucht sucht. Dort plötzlich überrascht zu werden von Seiten und Positionen, die wir bei unseren Nächsten nicht erwartet hätten, ist verstörend", sagt Erika Alleweldt.

"Viele Frauen achten in ihren Freundschaften zu wenig auf Alarmzeichen, anders als etwa in Liebesbeziehungen."

Allerdings: So schockiert ich in den letzten Jahren über einige Ansichten meiner "politisch schwierigen" Freundinnen war, so waren sie es vermutlich auch über meine. Und was das Zwischenmenschliche angeht – bin am Ende auch ich für andere das Problem? Das dämmert mir, als ich mit Susann Sitzler telefoniere, Autorin und Expertin für menschliche Beziehungen aller Art. Sie hat Bücher geschrieben über das Schöne und Schreckliche, das zwischen Geschwistern passiert, zwischen Vätern und Töchtern, und eben auch zwischen Freundinnen*. Ja, sagt sie, ich bin mit meiner Erfahrung nicht allein. Aber als ich sie frage, warum gerade ich offenbar einen anstrengenden Typus Frau anziehe, lässt sie das nicht gelten: "Es ist nie nur eine Seite schwierig, im Sinne von narzisstisch, selbstbezogen, dramatisch. Sondern wie Menschen aufeinander reagieren, passiert innerhalb einer Beziehung." Das vermeintlich schwierige Verhalten sei oft entweder eine Reaktion, oder die Schattenseite einer Eigenschaft, die wir eigentlich an der anderen schätzen.

Damit hat sie mich. Denn es stimmt: Die Drama Queens in meinem Leben waren oft gleichzeitig besonders charismatische, schillernde Frauen. Und insofern herrschte durchaus ein Geben und Nehmen in diesen Beziehungen. Ein typisches Muster: Auf der einen Seite sie mit ihrer inspirierende Abenteuerlust, die immer etwas zu erzählen hatte. Auf der anderen Seite ich als die verlässliche, vernünftigere, die ihre Kingsize-Emotionen herunterkochte. Bis sie mir zu viel wurden.

Allerdings: Das passiert ja nicht von einem Moment auf den nächsten. Offenbar habe ich Warnzeichen nicht ernst genug genommen und war gleichzeitig konfliktscheu. Nicht gerade sehr reif von mir, aber auch typisch, sagt Susann Sitzler: "Viele Frauen achten in ihren Freundschaften zu wenig auf Alarmzeichen, anders als etwa in Liebesbeziehungen. Und haben gleichzeitig Angst, Freundschaften zu beenden, weil sie soziales Kapital bedeuten." Also schleppen wir Beziehungen mit, in denen wir uns eigentlich nicht (mehr) gut fühlen. Die andere aber auch nicht.

Karten auf den Tisch

Das geht besser. Sitzler hat einen radikalen Tipp: Karten auf den Tisch. Rechtzeitig und offen ansprechen, wo es hakt – und wie man sich einen Rahmen setzt, in dem beide sich wohlfühlen. Dazu braucht es ehrliche Antworten: So viel Zeit habe ich in meinem Leben für dich, so viel Energie, das schätze ich an dir. Und dieses Thema würde ich lieber ausklammern, weil es jedes Mal zu Verletzungen führt.

Kann natürlich sein, dass man sich nicht einigt. Oder Gefahrenzonen zu groß sind, um sie dauerhaft zu umschiffen. Dann muss man sich verabschieden, bestenfalls in gegenseitiger Dankbarkeit. Kann aber auch sein, dass eine Freundschaft an der Ehrlichkeit wächst. Anstelle von Enttäuschung ("Warum soll immer ich mich melden?"), Genervtheit ("Jetzt jammert sie wieder stundenlang über ihre übergriffige Mutter, will aber nichts von Lösungen hören!") oder Befremden ("Wenn sie mir noch einmal ein Sahra-Wagenknecht-Video schickt, schreie ich!") tritt Klarheit über gemeinsame Grenzen. "Eine Freundin ist wie ein Spiegel, in dem man sich selbst sieht", sagt Susann Sitzler, "im besten Fall aber auch die andere." Das ist auch das Geschenk anstrengender Freundschaften: Selbsterkenntnis, Mut, Kommunikationstraining.

Das merke ich mir. Im Moment ist die Position der "schwierigen Freundin" bei mir vakant. Aber wenn sich das ändert, sag ich Bescheid, wie’s lief.

Gehen oder bleiben? Entscheidungshilfe fürkomplizierte Freundschaften

Wie fühlt sich das an?

Wenn du an deine "schwierige Freundin" denkst, was signalisiert dein Körper? Anspannung und Druck oder Wärme und Wohlgefühl?

Wie ausgeglichen sind wir?

Oft machen Schieflagen Freundschaft schwierig. Dabei geht es nicht um Strichlisten, wer sich wie oft meldet oder Geschenke macht. Auch unterschiedlicher Input kann für beide Seiten gut sein: hier die Verlässliche, da die mit den verrückten Ideen.

Was ist mein Anteil?

Freundschaftskrisen sind nie nur einseitig. Was hast du dazu beigetragen? Könnt ihr beide Kritik äußern, aber auch annehmen?

Was kann ich nur mit ihr?

Bei allem Stress: Gibt es etwas, das deine Freundin für dich einzigartig macht? Was würde deinem Leben ohne sie fehlen?

Wie heißt der Elefant im Raum?

Neid auf den Partner, das sorglosere Leben, den Körper der anderen? Kein edles Gefühl, aber davon verschwindet es nicht. Oft entlastet es, das Thema einmal offen anzusprechen, statt es totzuschweigen.

Brigitte

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