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Ein Experte erklärt Schuldgefühle durch Corona: Wie gehe ich damit um?

Schuldgefühle durch Corona: Wie gehe ich damit um? Silhouette einer traurigen Frau
© Alexey_M / Shutterstock
Schuldgefühle sind bedrückend, belasten uns – und sind für die meisten von uns wohl aktueller den je. Wie gehe ich damit um, wenn ich jemanden mit Corona angesteckt habe? Wir haben die Antworten.

Die globale Corona-Pandemie bringt tagtäglich neue Herausforderungen mit sich. Aber nicht alle müssen unbedingt sichtbar sein: Viele Menschen hadern mit inneren Schuldgefühlen, mit Fragen wie: "Was, wenn ich ungewollt jemanden mit COVID-19 anstecke?" Wir haben mit einem ausgebildeten Psychologen gesprochen, der auf seiner Website www.hallo-max.de unter dem Pseudonym "Max" Fragen beantwortet, Ratschläge gibt und versucht, Probleme seiner Leser*innen zu lösen. 

Wie entstehen Schuldgefühle?

Um über Schuldgefühle, die in Zusammenhang mit Corona entstehen, sprechen zu können, wollten wir zuerst wissen, woher sie überhaupt kommen, diese bedrückenden Gefühle, die uns so sehr zusetzen können. Max verweist auf den Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud: Er definierte das sogenannte "Über-Ich", das "unter anderem Normen, Gebote oder Verbote, nach denen wir und die Menschen um uns herum unser Leben ausrichten" umfasst, so Max. Verstoßen die eigenen Handlungen gegen das Über-Ich, werden Schuldgefühle ausgelöst. Wichtig dabei sei, dass diese nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst sein können. 

Niemand möchte absichtlich eine Ansteckung riskieren

Wie aber können wir mit Schuldgefühlen umgehen, die vielleicht bei uns entstehen, wenn wir einen Mitmenschen infiziert haben? Viele von uns machen sich dann einen Kopf – besonders, wenn es sich bei der angesteckten Person um jemanden aus einer Risikogruppe handelt. Denn besonders dann kann eine Corona-Erkrankung weitreichende Folgen haben, die oft nicht absehbar sind.

Ich finde es falsch, hier von Schuld zu sprechen. Es handelt sich eher um unglückliche Umstände

Allein der Gedanke daran belastet viele von uns, schließlich wollen wir doch oft nichts Böses. Auch Max geht davon aus, dass niemand eine andere Person absichtlich mit COVID-19 anstecken möchte: "Aufgrund des unklaren Risikos der einzelnen Übertragungswege und der Tatsache, dass das Virus noch größtenteils unerforscht ist, finde ich es falsch, hier von Schuld zu sprechen. So handelt es sich eher um unglückliche Umstände, die zu einer Übertragung führen, die von niemandem beabsichtigt waren – vergleichbar mit einem Unfall."

Schuld ist ein subjektives Empfinden

Max weist darauf hin, dass man von außen schwer beurteilen kann, ob Schuldgefühle gerechtfertigt sind oder nicht – und besonders im konkreten Fall einer Krankheits-Übertragung spielen viele Faktoren in die Situation mit ein: "Habe ich mich an die Hygiene-Regeln gehalten? Haben sich enge Kontaktpersonen von mir vielleicht nicht so genau an die Hygiene-Regeln gehalten, ohne mir das zu sagen?"

Das Schuldempfinden einer einzelnen Person sei sehr subjektiv, so Max. Und besonders Außenstehende würden oft dazu neigen, die Schuldfrage zu stellen – und das, obwohl sie die genauen Umstände der jeweiligen Situation überhaupt nicht kennen würden. 

Sich vor Augen führen, was man unternommen hat, um sich und andere zu schützen

Aber was können wir gegen Schuldgefühle tun, wenn sie einmal da sind? Schließlich lassen die sich nicht so einfach abschalten. Max empfiehlt vor allem eines: "Rational handeln." Denn Schuldempfinden – ausgelöst etwa, weil man Angst davor hat, ein Überträger zu sein, obwohl man noch nicht einmal krank war – hat "häufig einen irrationalen Ursprung", erklärt er.

Man könne etwa eine Liste anlegen, auf der man aufschreibt, was man unternommen hat, um sich selbst und andere zu schützen: "Es hilft und beruhigt, wenn man sich vor Augen führt, dass man selbst viel unternommen hat, um eine Ansteckung oder Weitergabe des Virus zu vermeiden."

Wir sind nicht allein

Max weist auch darauf hin, dass die Schwere der Schuldgefühle bei jedem anders ausgeprägt sein kann. Wir sollten also auf uns selbst achten: Wie schnell fühlen wir uns schuldig? Sind wir eher "abgebrüht" oder reicht schon ein kleiner Regelverstoß aus, damit wir uns Gedanken machen? Geben wir uns häufig schnell die Schuld an etwas, wäre dies ein Zeichen dafür, dass wir vielleicht manchmal zu streng mit uns selbst sind – so auch im Falle einer Krankheitsübertragung. Generell sollten wir uns stets vor Augen halten, dass eine Ansteckung keine beabsichtigte Handlung von uns war.

Und: "Erinnern Sie sich daran, dass Sie nicht alleine sind." Es gibt unzählige Erfahrungsberichte von Menschen, die das Virus weitergegeben haben, obwohl sie alle Vorsichtsmaßnahmen eingehalten haben. Die Situation, in der wir uns befinden, ist für uns alle neu. Risiken der Übertragungswege sind noch nicht vollständig erforscht, Langzeitfolgen einer Erkrankung oder Auswirkungen der Pandemie auf uns Menschen sind unsicher. Wir lernen alle tagtäglich dazu – und das funktioniert nun mal nicht ohne Fehler.

Was, wenn andere Menschen uns die Schuld zuweisen?

Und wenn uns jemand die Schuld an der Erkrankung einer dritten Person "anhängen" will? Auch hier weiß Max zu helfen: Oft kann die "übertragende Person" gar nicht eindeutig ausgemacht werden. Dafür gäbe es zu hohe Dunkelziffern. Sind wir aber mit hoher Wahrscheinlichkeit der Überträger gewesen, "hängt es davon ab, wie 'dick' das eigene Fell ist", so Max.

Machen Sie klar, dass die Übertragung durch einen unglücklichen Zufall stattgefunden hat, den keiner beabsichtigt hat.

Haben wir von selbst schon starke Schuldgefühle entwickelt, sollten wir es nicht auf eine Diskussion anlegen. "Wenn Sie jedoch innerlich ihren Frieden mit der Situation geschlossen habe, dann kann das auch in einer Konfrontation zum Ausdruck gebracht werden." Immer wichtig: Klarmachen, dass eine Übertragung nicht absichtlich geschehen ist. 

Für Max ist es wichtig, zum Schluss zu betonen, dass – je nachdem, wie stark uns Schuldgefühle belasten und wie lange sie anhalten – eine psychotherapeutische Behandlung helfen kann. Hilfe können wir auch in einer psychologischen Beratungsstelle finden. 

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