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Sarah Kuttner: "Eine Angststörung ist wie eine Erkältung"

Frau mit Panikattacke sitzt auf dem Boden
© Chinnapong / Shutterstock
Die Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner, 30, gilt als fröhlich, schlagfertig und unbeschwert. In ihrem Romandebüt schreibt sie über Schweißausbrüche, Herzrasen und Panikattacken. Interview mit der Autorin, inklusive Leseprobe und Hörbuch-Auszug.

BRIGITTE: Die wenigsten würden gerade Sie mit dem Thema Angst in Verbindung bringen. Nun haben Sie sogar Ihren ersten Roman darüber geschrieben.

Sarah Kuttner: Alle denken, Angstzustände bekommt nur jemand, der verrückt ist. Falsch! Eine Angststörung ist wie eine Erkältung, die jeden erwischen kann. Die Leute, an denen ich das beobachtet habe, sind schlau, lustig und tough.

BRIGITTE: Im Buch beschreiben Sie das Leben von Karo, einem quirligen Mädchen in Ihrem Alter, das unter Panikattacken leidet. Wie viel von Ihnen steckt in Karo?

Sarah Kuttner: Wir haben sicher ähnliche Charaktereigenschaften, aber ansonsten ist das Buch nicht autobiografisch. Ich erzähle die Geschichte über eine Frau, in der sich mein ganzes Umfeld vereint. Viele Freunde, auch Verwandte hatten irgendwann mal das Problem.

BRIGITTE: Die Beschreibungen der Angstattacken sind sehr realistisch. Sie schildern nicht nur typische Symptome wie Zittern oder Herzrasen. Ihre Hauptfigur Karo sagt einmal: "Ich fühle mich permanent irgendwie entzündet." Das klingt nicht wie gehört oder angelesen.

Sarah Kuttner: Dieses Zitat bezieht sich eher auf Karos permanente Traurigkeit, aber ich hatte vor ein paar Jahren tatsächlich auch mal Panikattacken, das hat das Schreiben darüber sicher vereinfacht. In einer solchen Situation hilft nichts, da besteht man nur aus Angst. Schon ein Panikanfall reicht, um einen für eine gewisse Zeit aus den Schuhen zu heben.

BRIGITTE: War es für eine so selbstbestimmte Frau wie Sie besonders hart, der Angst ausgeliefert zu sein, die Angst zu akzeptieren?

Sarah Kuttner: Depressionen und Angst sind für jeden Menschen hart. Es ist einfach kein besonders gutes Gefühl, wenn man im Kopf plötzlich nicht richtig funktioniert. Im Buch ist Karo eine Meisterin darin, das Problem zu verdrängen. Sie denkt, sie habe noch alles im Griff. Diese Reaktion ist bei psychischen Krankheiten sehr typisch.

BRIGITTE: Psychische Krankheiten sind in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu.

Sarah Kuttner: Genau. Ich habe mal eine Freundin zum Psychiater begleitet. Wir saßen zusammen im Wartezimmer, und ich erwischte mich dabei, mich zu bemühen, so auszusehen, als wäre ich nichts weiter als ihre Begleitung. Das ist natürlich total dämlich. Aber in diesem Moment habe ich erst gemerkt, wie tief dieses Tabu in einem drinsitzt.

BRIGITTE: Waren Sie denn selbst auch wegen Ihrer Angststörung in Behandlung?

Sarah Kuttner: Ich hatte zum Glück nur sehr kurze Zeit ein Problem damit, aber ja, ich habe mit Ärzten darüber gesprochen. Ich bin überzeugt: Man sollte da keine Berührungsängste haben. Wir tun immer alle so aufgeklärt. Sex? Immer gern. Frauen gucken Pornos? Klar! Homosexualität? Kein Problem damit. Der schwarze Präsident ist auch unser Präsident. Aber wenn es um die Psyche geht, werden wir altmodisch verklemmt.

BRIGITTE: Warum?

Sarah Kuttner: Der Kopf ist die Schaltzentrale, der Kopf ist Ich, näher heran kommt man nicht. Wahrscheinlich kann der Mensch deshalb sogar eher so schlimme und lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs oder Aids akzeptieren als eine Schwäche im Kopf.

BRIGITTE: Was hilft bei einer akuten Attacke?

Sarah Kuttner: Nichts so richtig. Das Wichtigste, was man sich in dem Moment sagen kann, ist: Panikanfälle gehen vorbei. Meistens dauern sie nur wenige Minuten, höchstens eine halbe Stunde. Aber sie sind immer endlich!

BRIGITTE: Glauben Sie, dass Ihr Buch, obwohl es in erster Linie ein unterhaltsamer und lustiger Roman ist, Betroffenen helfen kann?

Sarah Kuttner: Das wäre natürlich schön, aber ich bin nicht Mutter Teresa. Die einzige Botschaft, die das Buch haben könnte, ist: Hilfe zulassen! Niemand muss die Angst aushalten und durch die Hölle gehen. Depressionen und Angststörungen sind behandelbar. Es kann enorm beruhigen, wenn man einfach nur zulässt, dass sich ein Arzt um einen kümmert. Das nimmt einem das Gefühl, verrückt zu sein.

Hier können Sie das erste Kapitel aus "Mängelexemplar" lesen - oder sich von Sarah Kuttner als Hörprobe vorlesen lassen.

"Mängelexemplar" Sarah Kuttner 272 Seiten Verlag: S. Fischer 14,95 Euro Ab 11. März im Buchhandel

Mehr zum Thema "Angst" lesen Sie im Dossier der aktuellen BRIGITTE (ab 11. März am Kiosk). Darin:

Gute Angst? Warum es gute Gründe geben kann, sich mit seiner Angst anzufreunden.

Angst vor dem Partner? Eine Paarberaterin über die Ohnmacht der Frauen.

Bloß nichts Ungesundes: Warum es sich lohnt, sich um die Ernährung zu sorgen.

Exklusiv auf BRIGITTE.de beschreibt die Journalistin und Autorin Kathrin Passig, wie Sie ohne Selbstdisziplin und schlechtes Gewissen ihr Leben im Griff hat.

Interview: Andrea Hacke Ein Artikel aus der BRIGITTE 07/09

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