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Rucksack, mein Freund oder Feind? "In der Tram verkommt das Ding zur Nahkampfwaffe"

Mann trägt Rucksack am Bahnhof
© Denis Mamin / Adobe Stock
Als Liebhaberin des Rucksacks fragt sich Judka Strittmatter, warum dieser im öffentlichen Nahverkehr zur Waffe verkommt.

Hier sagen BRIGITTE-Autorinnen ihre Meinung. Diesmal: Judka Strittmatter, die rät, Rucksäcke vorsichtshalber auf der Brust zu tragen.

Eigentlich halte ich den Rucksack für eine geniale Erfindung. Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende hielt er seine Träger:innen davon ab, sich die Arme an schwerem Gepäck auszukugeln, sich die Wirbelsäule durch falsche Tragetechnik zu ruinieren oder den Hals durch abschnürende Taschenriemen. Wenn man also sehr, sehr wohlwollend sein will, verlängert er Leben. Selbst der olle Ötzi – vor Jahren im Gletscher aufgefundener Steinzeitmensch – war zu seiner Zeit mit einer Art Rückentrage aus Holzstreben und einem Fellsack in den Alpen unterwegs. Trägt man den Rucksack zudem über beiden Schultern und proper verschlossen, beugt man Handtaschenraub vor.

Heutzutage ist der "Backpack" außerdem ein It-Peace, wenn man in die Großstädte schaut. Ich kann es bestätigen: Rucksack, Beanie, Sneaker – das ist die gegenwärtige Uniform des hochindividuellen Metropolen-Menschen, und zwar nicht nur um die zwanzig. Und so widmen sich inzwischen auch die Fashion-Labels der Urbanisierung und Ästhetisierung des rückwärts getragenen Wandersacks, man kriegt ihn aus Nylon oder Polyester, aus Canvas und Baumwolle, und das Modell "Roll-Top" ist momentan besonders beliebt als Tasche für Laptop, Trinkflasche & Co. Aber dann hört es auch schon auf mit den Vorteilen, jedenfalls für mich, die natürlich selbst gern einen Rucksack trägt.

Wer schon mal eine morgenvolle Tram betreten hat (wahlweise eine U-Bahn oder den Bus), voll mit Rucksackträger:innen, die in Hektik zu ihren Projekten und Erwerbstätigkeiten streben, dem wird meine Hommage auf das universelle Packwunder wohl übel aufstoßen. Denn dort verkommt das Ding zur Nahkampfwaffe. Ganz unter dem Motto: Was ich hinten trage, sehe ich nicht. Ergo: Das geht mich nichts an. Selbst wenn es mir gehört. Vielleicht auch deshalb "Ruck"-sack? Mit einem Ruck, schwungvoll verstärkt durch eine Drehung, kriegen Neben- und Beistehende das vollbepackte Ding an diverse Körperteile gehauen.

ÖPNV und die unausgeglichene Rucksackdichte

Ich kann gar nicht beschreiben, wie oft ich täglich wegzucke wie eine Boxerin im Ring oder einen Schlangentanz vollführe, um ja nicht in den Radius sich blitzschnell drehender Fahrgäste mit Backpack zu geraten. Wie sagt der Bestsellerautor und Herren-Stilratgeber Bernhard Roetzel ("Der Gentleman") so treffend? "Dieses Accessoire braucht Weite, keine Enge." Wohl wahr!

Aber sag das mal morgendlich vermuffelten oder sowieso von der Weltlage gebeutelten und – was weiß ich warum – gereizten Menschen. Jüngst, nach einer erneuten Kopfnuss, bat ich einen Zwei-Meter-Mann – selbst auch schon leicht unwirsch – sich doch bitte vorzusehen, ich bräuchte meinen Kopf gerade heute unversehrt. Woraufhin der über seine Schulter auf mich herabblickte und sagte, er hätte hinten keine Augen. "Aber Sie haben die Verantwortung, niemanden zu erschlagen mit Ihrem Gepäck", ranzte ich zurück – da entfleuchte er auch schon aus der Bahn ins Freie. Meiner Busenfreundin Susi, die inzwischen in Stockholm lebt, geht es übrigens nicht anders. "Und was sagen die Leute, wenn du sie darauf hinweist?", frage ich. Ihre Antwort: "Nichts!"

Tja, ich weiß auch nicht, wie man der Schieflage "ÖPNV und Rucksackdichte" entkommen kann, denn sowohl Rucksäcke als auch die autolose Fortbewegung werden natürlich in den Städten und in umweltbewussten Milieus immer beliebter. Vielleicht würde es schon helfen, zumindest in meiner tendenziell als ruppig wahrgenommenen Stadt Berlin, sich einer altbewährten, aber neuerdings scheinbar in Verruf geratenen Tugend zu entsinnen: der Rücksichtnahme.

Brigitte

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