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Richard David Precht: Bin ich schön?

Der Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht sieht extrem gut aus, aber irgendwie ist ihm das unangenehm. Wir sprachen mit ihm über männliche Eitelkeit, Charme und schöne Hände.

BRIGITTE: Herr Precht, wie würden Sie einem Blinden Ihr Aussehen beschreiben?

Richard David Precht: Ich würde sagen – etwas zu große Zutaten auf etwas zu geringem Raum. Große Augen, große Nase, großer Mund.

BRIGITTE: Sind Sie schön?

Richard David Precht: Ich nehme mich selber nicht so wahr, was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich in der Pubertät klein und dürr war. Ich habe mich damals schon für Philosophie interessiert, für Schach und exotische Fische. Kennen Sie den afrikanischen Elefanten-Rüsselfisch? Der hat unter den Fischen das größte Gehirn im Verhältnis zur Körpergröße und...

BRIGITTE: ... so etwas hat Sie als Teenager interessiert?

Richard David Precht: Ja. All dies interessiert mich noch immer. Elefanten- Rüsselfische halte ich im Aquarium.

BRIGITTE: Au Backe. Es klingt, als seien Sie als Teenager ein "Nerd" gewesen!

Richard David Precht: Ein was?

BRIGITTE: Ein "Nerd", die Sorte Teenager, die Computerspiele spielt, uncoole Klamotten trägt, schlechte Haut hat und sich für alles interessiert außer für Mädchen.

Richard David Precht: Also, wenn das ein „Nerd“ ist, dann gibt es ein paar Anzeichen dafür. Hautprobleme hatte ich allerdings nicht, und Computer haben mich nie interessiert. Ich hätte eher gesagt "Typ Professor". Für Mädchen habe ich mich schon interessiert, aber die Mädchen nicht für mich. Mein Idol in der Pubertät war Woody Allen – der war klein, hatte eine Brille, redete viel und hektisch und kam trotzdem bei den Frauen an. Flirten habe ich von ihm allerdings nicht gelernt. Der Woody-Allen-Stil kam bei den Mädchen in meiner Heimatstadt Solingen nicht so gut an wie in den 70er Jahren in New York. Flirten musste ich dann gewissermaßen über den zweiten Bildungsweg lernen. Ich brauchte dafür etwas länger als die meisten anderen und hatte erst mit 20 meine erste Freundin. Das hatte aber auch Vorteile.

BRIGITTE: Welche?

Richard David Precht: Weil ich erst so spät bei Mädchen Erfolg hatte, habe ich eine Reise nach innen angetreten. Ich war völlig uncool: Ich habe nicht geraucht, kaum Musik gehört und bin auch kein Mofa gefahren. Aber der Mangel an „bei den Mädchen ankommen“ hat mich sehr trainiert, mich selbst zu analysieren und über das Leben nachzudenken.

BRIGITTE: Und das ist ja letztlich besonders cool.

Richard David Precht: Wenn Sie es sagen. Außerdem kommt es ja bei Mädchen und Frauen nicht nur darauf an, ganz passabel auszusehen...

BRIGITTE: ... pardon, Sie sehen nicht "ganz passabel aus" – Sie sind schön, Menschenskinder.

Richard David Precht: Na ja.

BRIGITTE: Ganz bestimmt.

Richard David Precht: Ich sehe das nicht so.

BRIGITTE: Es stimmt aber. Geht es schwer über die Lippen, "Ich bin schön" zu sagen?

Richard David Precht: Ja, das geht schwer über die Lippen. Wollen wir mit dem Interview weitermachen? (lacht) Also: Was ich sagen wollte, ist, dass es ja nicht nur darauf ankommt, gut auszusehen, sondern auch auf anderes, zum Beispiel auf Charme. Und den hatte ich natürlich nicht, ich war ungeübt, untrainiert. Ich hatte zwar immer ein großes Selbstbewusstsein, aber eben nicht im Umgang mit Frauen, sondern vor allem in Bezug auf meine Bildung. Wir hatten zu Hause eine Bibliothek von 2000 bis 3000 Bänden, ich war ziemlich belesen und mir dessen bewusst, aber an Charme hat es mir gefehlt.

BRIGITTE: An welchem Punkt kam denn das Bewusstsein, dass Sie gut aussehen?

Richard David Precht: Also, ich fand mich ja nie hässlich, ich kannte mich zum Beispiel ohne Brille, aber es ging erst am Ende der Teenagerzeit los, dass meine Umwelt mich als gut aussehend wahrnahm. Manche Mädchen mochten meine Hände.

BRIGITTE: Was zeichnet Ihre Hände denn aus?

Richard David Precht: Die sind feinnervig, aber kräftig.

BRIGITTE: Gab es einen Punkt, an dem Sie anders aussehen wollten?

Richard David Precht: Nein, den gab es nie. Ich bin nicht so abhängig von dem Bild, das andere von mir haben.

BRIGITTE: Wow, wer kann das schon von sich sagen? Der „Spiegel“ hat Sie einmal mit dem französischen Schauspieler Jean-Pierre Léaud verglichen, der in den sechziger Jahren oft den schönen Intellektuellen mit Scheitel, Zigarette und Rollkragenpullover spielte. Gefallen Ihnen solche Vergleiche?

Richard David Precht: Natürlich schmeichelt mir das, wobei ich nicht sagen will, dass der Vergleich so stimmt. Ich habe die Truffaut-Filme, in denen Jean- Pierre Léaud mitspielt, übrigens mit 17 gesehen. Aber wie Sie vermutlich schon gemerkt haben, ist mir das ganze Thema Schönheit eher unangenehm. Weil ich weiß, dass viele Menschen ein gutes Aussehen mit Oberflächlichkeit verbinden. Und das wird besonders problematisch, wenn man Erfolg hat. Die Leute denken automatisch, dass das mit dem Aussehen zusammenhängt, dass einem das Gesicht geholfen hat. In Frankreich zum Beispiel ist das nicht so ein Problem, da gibt es auch gut aussehende Intellektuelle, deren Aussehen nicht gegen sie ausgelegt wird.

BRIGITTE: Ihre Schönheit war nicht gerade hinderlich für Ihren Erfolg. Sie waren in vielen Talkshows zu Gast, Ihr Gesicht wurde Teil der Werbekampagne für Ihr Buch.

Richard David Precht: Ich bin mir bewusst, dass ich in das Konzept von Fernsehredakteuren passe. Aber ich bin kein Kunstprodukt der Medien. Es war immer wichtig, was ich sage, nicht nur, wie ich dabei aussehe. Wobei mir klar ist, dass es nicht hinderlich für das Buch war, dass ich eben...

BRIGITTE: ... schön bin?

Richard David Precht: ... ordentlich aussehe.

BRIGITTE: Sie sagten eben, dass die Deutschen Intellekt und gutes Aussehen schwer zusammenbekommen. Warum ist das so?

Richard David Precht: Wir haben an den Universitäten eine Elfenbeinturm- Kultur. Ich kann mich erinnern, dass ich während des Literaturstudiums zu den wenigen gehörte, die das „Literarische Quartett“ gesehen haben. Die Sendung galt an der Uni als verpönt, als oberflächlich, unakademisch. Es gibt Berührungsängste, wenn etwas aktuell ist oder in den Massenmedien präsentiert wird. In der Philosophie ist das auch so: Zu hübsch? Das gerät unter Verdacht. Die Intellektuellen in meinem Uni-Jahrgang waren ziemlich streng uniformiert: schwarzes Hemd, schwarze Jeans, Brille. Ich rannte damals mit Sakkos und Krawatte herum, eher wie ein BWLer. Vielleicht als Reaktion darauf, dass meine Eltern meine Kleidung aus Flohmarktkisten herausgesucht hatten. Ich hatte immer die Mode an, die gerade vorbei war. Und das habe ich dann an der Uni geändert.

BRIGITTE: Was haben Sie denn als Philosoph zum Thema Schönheit zu sagen?

Richard David Precht: Schönheit ist etwas Unselbstverständliches, ich würde sie weder mit göttlichen Attributen überhöhen noch trivialisieren.

BRIGITTE: Sehr diplomatisch. In Ihrem letzten und auch im aktuellen Buch verbinden Sie Philosophie mit der Hirnforschung. Was sagt die Hirnforschung zum Thema Schönheit?

Richard David Precht: Ich misstraue aller Forschung, die glaubt, eine bestimmte Region im Gehirn ausmachen zu können, die ganz automatisiert für das Erkennen von Schönheit zuständig sein soll. Und auch die These, dass wir vor allem symmetrische Gesichter schön finden, bezweifle ich. Denn die Wissenschaftler, die diesen Ansatz vertreten, stützen sich auf Untersuchungen, die meist an Computerbildschirmen gemacht worden sind. Es fehlt der Ausdruck in den Augen, das leise Lächeln, es fehlen die Grübchen, der Geruch des Menschen, die Stimmung. All das ist wichtig für die Schönheit eines Menschen. Kurz: Symmetrie wird überschätzt. Immanuel Kant hat geschrieben, dass uns das Durchschnittlichste als das Schönste erscheint. Ich bezweifle das. Nehmen Sie den neuen Bond-Darsteller...

BRIGITTE: ... Daniel Craig.

Richard David Precht: Genau. Der hätte bei den Tests am Computerbildschirm keine Chance, als schön zu gelten, trotzdem ist er ein Sex-Symbol.

BRIGITTE: Macht die Liebe blind?

Richard David Precht: Verliebtheit macht blind. Man sieht die Schönheitsfehler nicht. Wir werden überschwemmt von Phenethylamin, Dopamin und Endorphinen. Unser kritischer Verstand wird unterspült. Dieser Zustand hält circa ein halbes Jahr, danach erleben wir den anderen bewusster, es kann aber durchaus sein, dass wir die kleinen Schönheitsfehler dann besonders schön finden. Ich kenne meine Frau seit vier Jahren und bin immer noch sehr verliebt. Und ich finde sie unglaublich schön.

BRIGITTE: Wie sieht sie denn aus?

Richard David Precht: Sehr schön, mehr möchte ich dazu nicht sagen, das ist zu privat.

BRIGITTE: Schüchtert Ihr Aussehen Frauen ein?

Richard David Precht: Keine Ahnung, ich bin ja nicht auf Brautschau. Die Frauen, die nach meinen Lesungen kommen, sind meist älter als ich und wirken nicht gerade eingeschüchtert. Die jüngeren, die sich einschüchtern lassen könnten, kommen eher selten. Wenn überhaupt, könnten vielleicht die Dinge, die ich sage, Frauen einschüchtern. Aber ich bin nicht der Typ, der auf Partys die ganze Zeit hochtrabend daherredet. Ganz im Gegenteil. Ich lebe in Köln und kann auch Karnevalsgespräche führen.

BRIGITTE: Sie klingen sehr von sich überzeugt, gleichzeitig scheint es Ihnen aber relativ egal zu sein, wie Sie aussehen. Sind Sie eitel?

Richard David Precht: Nein, ich gebe wenig Geld für Klamotten aus, ich habe mir nach dem Erfolg meines letzten Buches zwei Anzüge gekauft für die Fernsehauftritte, das war's.

BRIGITTE: Auch Ihre Schönheit wird eines Tages welken. Haben Sie davor Angst?

Richard David Precht: Nein, denn ich spüre keinen Druck, gut auszusehen. Ich würde sogar sagen, dass die Zeit für mich läuft. Meine Bedrohung – wenn man es so nennen will – war ja eher meine Jugendlichkeit. Denn wenn man im Alter von 20 Jahren etwas Kluges sagt, halten einen alle Leute für einen Streber oder für altklug oder für beides. Das hat sich bereits jetzt geändert und wird sich weiter ändern, wenn ich äußerlich verfalle.


Richard David Precht, 44, ist Philosoph und Autor. Gerade ist sein neues Sachbuch erschienen: "Liebe: Ein unordentliches Gefühl" (17,95 Euro, Goldmann-Verlag). Hier können Sie als Leseprobe die Einleitung lesen. Prechts bekanntestes Buch ist "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?"

Interview: Jörg Eggert Ein Artikel aus der BRIGITTE 06/09

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