Anzeige

Psychologie Wie unser Körper uns sagen will, dass wir unsere Gefühle unterdrücken

Psychologie: Fuß am Meer
© Zoteva / Shutterstock
Manchmal will uns unser Körper dringend etwas sagen – aber wir hören nicht hin. Wir haben mit einer Therapeutin über die Macht unterdrückter Gefühle gesprochen und an welchen Symptomen wir sie erkennen.

Wir haben kein einfaches Jahr hinter uns. Und es ist schon das zweite, bei dem wir das sagen. Der Beginn der 2020er war für die meisten Menschen, man ist geneigt aufgrund der pandemischen Lage fast alle zu sagen, eine turbulente Zeit. Manche sind besser durch die Veränderungen gekommen, andere weniger gut. Eines können wir jedoch mit ziemlicher Sicherheit sagen: sie haben uns geprägt. So wie es unterschiedliche Lebensabschnitte, Pandemie hin oder her, immer tun.

Oft bemerken wir den Einfluss äußerer Faktoren aber zeitversetzt. Wir leben, fühlen aber erst später. Gerade in Extremsituationen hört man immer wieder Menschen sagen, sie wären "okay". Denn dann ist der Körper viel zu sehr damit beschäftigt, zu funktionieren. Was viel später einsetzt, ist das Verarbeiten. Dafür brauchen wir Ruhe. Kommt diese nie, kann es passieren, dass wir Gefühle immer unterdrücken, verdrängen, weil sie uns gerade nicht passen. Dieser Vorgang passiert oftmals nur unterbewusst. Bewusst spüren können wir aber die Symptome, die auf unterdrückte Gefühle hindeuten können. Denn früher oder später, ob wir wollen oder nicht, machen sie sich bemerkbar. 

Dieses "später" bekommt Andrea vorm Walde gerade in ihrer Praxis zu spüren. Sie ist Therapeutin, Coach und psychologische Beraterin in Hamburg und bekommt aktuell viel Besuch: "In der Praxis tauchen jetzt mehr Leute auf als während der ganzen Corona-Zeit", erzählt sie mir in unserem Gespräch. Das ist für sie kaum verwunderlich, weil wir erst jetzt zur Ruhe kommen mittlerweile: "Jetzt passiert erst die Nachverarbeitung."

Die Macht unterdrückter Gefühle

Unser Interview soll sich um die Macht unterdrückter Gefühle drehen. Zu Anfang besprechen wir dazu jedoch etwas Elementares, dem wir jede Begutachtung von Symptomen zugrunde legen sollten: Ernste und dauerhafte Beschwerden gehören in eine Arztpraxis. "Ein guter Mediziner würde immer beides mit in Betracht ziehen – körperliche und psychische Ursachen", versichert Andrea vorm Walde. Denn natürlich sollten immer alle physischen Ursachen ausgeschlossen werden, bevor man sie der Psyche zuordnet. 

Ist eine organische Erkrankung aber ausgeschlossen, kann es sich lohnen, dem Körper einmal besser zuzuhören. Insbesondere Menschen, die immer auf Leistung fixiert seien, statt sich mit ihrem Seelenleben zu beschäftigen, würden dazu neigen, Gefühle zu verdrängen, erklärt mir Andrea. Es würde oft die treffen, "die auf Perfektionsmus getrimmt sind". Oder die, die sich eher um andere als sich selbst kümmern. 

Woran merke ich aber, dass ich gerade etwas aufzuarbeiten habe? Andrea unterscheidet bei ihren Patient:innen vor allem zwischen körperlichen und seelischen Beschwerden.

Körperliche Symptome

"Oft kommen tatsächlich körperliche Rückmeldungen. Und man darf nicht vergessen: der Körper meldet sich erst sehr spät. Du hast nicht gestern ein Problem und morgen sagt dir dein Körper, 'Hey, hier stimmt was nicht'. Erst einmal würde die Seele selbst versuchen, sich bemerkbar zu machen. Wenn sie überhört wird, kommt der Körper", sagt Andrea. Seine Aufmerksamkeitsrufe können sich in zahlreichen Symptomen äußern. Sie nennt die "volle Bandbreite" von:

  • Schlafstörungen
  • Rücken- und Kopfschmerzen
  • Verspannungen
  • Bauchschmerzen und
  • Müdigkeit

Manchmal kann man sich hierbei übrigens schon bei der eigenen Formulierung der Beschwerden ertappen: "Nackenschmerzen zum Beispiel – man sagt ja immer ‚mir sitzt etwas im Nacken‘, das ist tatsächlich so. Es gibt mehrere solcher Redewendungen, dir kommt die Galle hoch, dir liegt etwas im Magen. Das sind alles alte Erkenntnisse, dass der Körper auf bestimmte Dinge reagiert", klärt Andrea auf.

Seelische Symptome

Dann gibt es da aber immer noch die seelische Seite. Hier spielen vor allem Veränderungen in der Stimmung eine Rolle: "Klassische seelische Anzeichen wären, sich vermehrt traurig zu fühlen und andere leichte, typische Depressionssymptome", sagt Andrea und nennt folgende:

  • Traurigkeit
  • Antriebs- und Motivationslosigkeit
  • Fehlende Konzentration
  • Vergesslichkeit
  • Angst

Nur weil man diese Gefühle von Zeit zu Zeit verspürt, muss es noch nicht heißen, dass man in einer tiefen Depression steckt. Leichte, depressive Verstimmungen können jedoch schnell auftreten – und sind auch gut behandelbar, wenn man sich ihnen widmet, beruhigt Andrea. Dafür empfiehlt sie übrigens durchaus, sich professionelle Hilfe zu suchen. Wenn man früh genug erkennt, dass einen etwas belastet, kann man ruhig mit Freund:innen oder der:dem Partner:in darüber sprechen. "Wenn du aber irgendwann merkst, ich schlafe gar nicht mehr durch. Ich habe immer Kopfschmerzen. Dann muss dir klar sein, dass das, was dir auf der Seele lastet, ja schon seit Jahren eine Rolle spielt", erklärt sie und rät zu einer Psychotherapie. 

Man kann – und sollte – sich unabhängig davon aber auch selbst etwas Gutes tun. Elementar seien dabei Dinge wie Bewegung und frische Luft. Bei den Klassikern, wie Dankbarkeitstagebücher, Yoga oder Sport, sollte man auf sein Bauchgefühl hören, ob einem diese Dinge auch wirklich Spaß machen: "Für einen Perfektionisten zum Beispiel wird es nur zu einem weiteren Stressfaktor, das abends auch noch machen zu müssen", warnt Andrea und ermuntert, da lieber seinen eigenen Weg herauszufinden. Bewegung kann auch heißen, zu seiner Lieblingsmusik im Wohnzimmer zu tanzen: "Das sind alles kleine Dinge, für die es sich lohnt, sich aufzuraffen."

mjd Guido

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel