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Hirnforschung Wie sich eine schlaflose Nacht auf unser Fühlen auswirkt

Psychologie: Eine müde Frau im Bett
© Tatyana Gladskih / Adobe Stock
Regelmäßiger und ausreichender Schlaf ist essenziell für unsere Gesundheit. Was Schlafentzug insbesondere für unsere Gefühle und unseren Umgang mit ihnen bedeuten, offenbaren neuere Untersuchungen aus der Hirnforschung.

Vor einiger Zeit bin ich in den Urlaub geflogen. Relativ weit. Ich war gute zehn Stunden im Flieger, mit Transfer etwa zwölf Stunden unterwegs. Am Nachmittag gegen 15 Uhr bin ich gestartet, am nächsten Tag um kurz nach 7 Uhr Ortszeit an meinem Ziel gelandet. Da ich im Flugzeug nicht schlafen kann, und damit meine ich nicht, nicht, nicht eine Sekunde, war ich bei der Landung bereits rund 24 Stunden wach. Als ich um 17 Uhr zu Abend gegessen habe, waren es 34 Stunden. Mittlerweile vermute ich, dass es vorwiegend diese 34 schlaflosen Stunden waren, die dazu führten, dass ich nach dem Essen nicht mehr aufhören konnte zu weinen – angesichts der wunderschönen Landschaft, die mich umgab. Ja, sie war wunderschön. Meer, Traumstrand, grüner Urwald, wirklich atemberaubend. Aber ich habe geheult wie ein Kind, dem man seinen Teddy weggenommen hat. Das war nicht ich. Sondern eine äußerst unausgeschlafene Version von mir. Unheimlich.

Fast alle Menschen erleben hin und wieder eine nahezu schlaflose Nacht, auch ohne dafür weit zu reisen. Ob wegen einer guten Party oder zu vieler Sorgen. Wegen schweren, späten Essens oder eines schreienden Babys. Das Leben lässt uns nicht jede Nacht neun Stunden schlafen und so wissen die meisten aus eigener Erfahrung, wie es ist, müde und unausgeschlafen zu sein: Wir sind weniger leistungsfähig. Wir neigen zu schlechter Laune. Wir denken anders als sonst. Und was passiert mit unserem Fühlen? Diese Frage behandelt unter anderem die Neurowissenschaftlerin Eti Ben-Simon vom Center for Human Sleep Science der University of California Berkeley.

Schlafentzug (zer)stört die Emotionskontrolle

Da Experimente mit mehreren Tagen Schlafentzug mittlerweile offiziell in den USA und vielen anderen Ländern mit ähnlichen Werten und Normen verboten sind – aufgrund der drastischen Auswirkungen auf die Testpersonen, die man in früheren Versuchen beobachtet hat und um die man heute weiß –, bezieht die Forscherin ihre Daten aus Studien, in denen die Proband:innen eine Nacht lang wach blieben. Doch die sind bereits aufschlussreich genug. Mithilfe von fMRI-Aufnahmen (functional magnetic resonance imaging) betrachteten Forschende dabei die Gehirnaktivität der Versuchsteilnehmenden in bestimmten, mehr oder weniger emotional triggernden Situationen – einmal nach Schlafentzug, einmal ausgeschlafen. So zeigten sie ihnen beispielsweise rührende Bilder von weinenden Kindern ebenso wie neutrale Bilder, etwa von Bahnpassagieren. 

Im ausgeschlafenen Zustand verzeichneten die Wissenschaftler:innen erwartungsgemäß bei rührenden Bildern eine hohe Aktivität der Amygdala, vereinfacht gesagt dem Gefühlszentrum unseres Gehirns, bei neutralen Bildern hingegen nur eine geringe Aktivität. Hatten die Proband:innen allerdings die Nacht zuvor durchgemacht, zeigten die Hirnscans bei jeglicher Art von Bild eine hohe Aktivität der Amygdala. Das heißt: Sind wir unausgeschlafen, sind wir emotional offenbar leichter zu triggern. Eine harmlose Nachricht kann uns panisch machen. Ein unbedachter Kommentar wütend. Ein Film traurig. Und das Meer kann unsere Tränendämme brechen. 

Nun ist es aber nicht einfach nur so, dass die Amygdala nach Schlafentzug hyperaktiv ist: Die Aktivität des Präfrontalen Cortex, unseres Stirnlappens, der maßgeblich an unserem bewussten Denken beteiligt ist und normalerweise unsere Gefühle reguliert und kontrolliert, ist deutlich herabgesetzt. Deshalb die geringere geistige Leistungsfähigkeit. Und nicht nur der Stirnlappen selbst ist träger: Wie Hirnscans zeigen, ist zudem die Aktivität zwischen Präfrontalem Cortex und Amygdala sehr viel schwächer als üblich. Die Gefühlskontrolle, die unser Gehirn in gesundem, ausgeschlafenem Zustand jederzeit ganz von selbst unternimmt, ist somit bei Schlafmangel erheblich und in mehrfacher Weise gestört. 

Fazit

In einem Blogeintrag für "Psychology Today" gibt Eti Ben-Simon aufgrund ihrer sowie anderer neuerer Erkenntnisse zu bedenken, dass die früher gängige Annahme, psychische Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen lösten Schlafstörungen aus, durchaus in Frage zu stellen sei: Sie könnten genauso gut die Folge von einer schlechten Schlafroutine sein. Zwar wird eine durchfeierte oder durchflogene Nacht uns nicht dauerhaft schaden – um sie wieder auszugleichen, brauchen wir gerade einmal eine gute Nachtruhe direkt im Anschluss. Chronische Schlafstörungen hingegen, das heißt längere Perioden, in denen wir weniger als sechs Stunden Schlaf pro Nacht bekommen, können uns durchaus zusetzen. Sie beeinträchtigen unseren Hormonhaushalt, unsere Muskelregeneration, unseren Kreislauf, unser Denken und Fühlen. Es wäre somit wünschenswert, dass Betroffene von Ärzt:innen, Versicherungen, Arbeitgebenden, Familie und Co. hilfreichere Unterstützung bekämen als Ratschläge wie "schalte eine Stunde vor dem Zubettgehen den Fernseher aus" oder "versuche es mit Meditation". 

Verwendete Quellen: psychologytoday.com

Brigitte

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