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Besser streiten Was Menschen anders machen, die nie ausfallend werden – und sich trotzdem meistens durchsetzen

Kommunikation: Zwei Menschen auf einer Brücke aus Puzzleteilen
© VectorMine / Adobe Stock
Emotionen schaukeln sich hoch, Stimmen werden laut – und schon fallen Worte, die wir hinterher bereuen. Lässt sich das nicht irgendwie vermeiden? Einige Menschen scheinen es zu können, ohne davon Nachteile zu haben. Was sie gemeinsam haben, liest du hier.

Es ist nichts falsch daran, zu streiten und Konflikte auszutragen. In gewisser Weise ist Streit sogar gesund – sowohl für die Beziehung zwischen zwei Menschen wie für die Individuen an sich. So können wir im Streit zum Beispiel lernen, Emotionen zu zeigen und eine Rückmeldung darauf zu bekommen. Wir erleben, welche Wirkung es auf andere haben kann, wenn wir laut werden, wütend sind, uns verteidigen oder angreifen. Und wir können die Erfahrung machen, zu verzeihen, uns wieder zu vertragen, Kompromisse zu finden und akzeptiert und geliebt zu werden, obwohl wir unbequem sind. 

Eine Gefahr des Streitens ist allerdings, dass es etwas zerstören kann. Intensive Emotionen können unsere Fähigkeit beeinträchtigen, die Folgen unserer Handlungen und Worte zu bedenken. Sie können uns in einen Rausch versetzen, in dem wir verletzen wollen, in dem wir schlagen und treffen wollen. Das verursacht manchmal Wunden, die nicht so schnell wieder heilen. Und löst häufig nicht einmal den zugrundeliegenden Konflikt.

Der Psychotherapeut Sean Grover schreibt in einem Artikel für "Psychology Today", dass Mitgefühl als fundamentales Element einer Bindung zwischen uns und einem anderen Menschen Auseinandersetzungen ermöglicht, die keine nachhaltige Zerstörung anrichten – und deren Ergebnis in den meisten Fällen ist, dass unsere Interessen Berücksichtigung finden. 

Folgende Verhaltensweisen in Auseinandersetzungen führt der Therapeut in seinem Text als Beispiele für auf Mitgefühl basierende Musterreaktionen in Streits an.

Gewohnheiten von Menschen, die nie ausfallend werden

Ehrlich und unverstellt bleiben

In Auseinandersetzungen verspüren viele Menschen den Impuls, sich möglichst cool und abgeklärt zu geben – verständlich, da sie so für ihr Gefühl weniger Angriffsfläche bieten. Laut Sean Grover sei allerdings die entgegengesetzte Strategie oft konstruktiver, zielführender und de-eskalierend: Ehrlich zu sagen und zu zeigen, wenn wir wütend, enttäuscht, verletzt oder irritiert sind. Auf diese Weise vermeiden wir einerseits, dass sich unsere Emotionen in uns stauen, wachsen und uns die Energie abziehen, die wir aufwenden, um sie zu überspielen. Andererseits hat unser Gegenüber nur so die Chance, auf unsere echten Gefühle zu reagieren – und bestenfalls darauf einzugehen. 

Aufmerksam zuhören

Im Streit neigen wir dazu, in dem, was die andere Person sagt, lediglich nach Schwachstellen zu suchen, auf die wir unsere Munition abfeuern können. Eine von Mitgefühl geprägte Auseinandersetzung zeichne sich dem Therapeuten zufolge hingegen dadurch aus, dass wir hinhören und versuchen zu verstehen, was unser Gegenüber sagt und meint. Wütend und aufgebracht zu sein, muss uns nicht daran hindern, Verständnisfragen zu stellen und darüber nachzudenken, was eine Person uns mitteilen möchte. Nur so können wir ihre Perspektive nachvollziehen und begreifen, was aus ihrer Sicht das Problem ist. Und nur so wird sich unser Gegenüber respektiert statt attackiert fühlen – und weniger heftig zurückschlagen. Oft hat aufmerksames Zuhören zudem den positiven Nebeneffekt, dass die Auseinandersetzung an Tempo verliert und wir eine Chance bekommen, uns zu beruhigen.

Geduld üben

Wenn aufmerksames Zuhören nicht ausreicht, um uns Zeit zum Durchatmen zu verschaffen, sei es laut Sean Grover angebracht, uns gezielt zu bremsen und uns der Situation gegebenenfalls für einen Moment zu entziehen. Manchmal kann das die andere Person zwar besonders reizen. Doch je emotionaler wir selbst sind, umso schwerer wird es uns fallen, respektvoll und empathisch zu bleiben. Im Zweifel können wir unserem Gegenüber somit lieber sagen, dass wir kurz ein wenig Abstand brauchen, als zu explodieren.

Verantwortung für die eigenen Gefühle übernehmen

Wenn wir uns verletzt oder wütend fühlen, ist daran häufig nicht allein die Person schuld, die mit ihrem Verhalten unsere Gefühle ausgelöst haben mag. Meistens spielen dabei unsere Erfahrungen, Bewertungen, Denkgewohnheiten und -muster, Erwartungen und Ansprüche eine Rolle. Wir sind mindestens mitverantwortlich für das, was wir fühlen. Das zu erkennen und zu verstehen, sei laut dem Therapeuten wesentlich für eine Auseinandersetzung, in der wir unserem Gegenüber gerecht werden können – und umgekehrt. Haben wir das aber einmal begriffen, werden wir wie von selbst statt einem Vorwurf wie "Du hättest mir ja mal Bescheid sagen können, dass ihr euch trefft" eine Aussage wählen, die der anderen Person ermöglicht, Verständnis für uns aufzubringen: "Ich bin verletzt, weil ich mich ausgeschlossen gefühlt habe, als du mir nicht gesagt hast, dass ihr euch trefft. Ich habe Angst davor, ausgegrenzt und vergessen zu werden, weil ich das in der Vergangenheit so erlebt habe." Eine solche Ansage werden die meisten Menschen in ihrem künftigen Verhalten wahrscheinlich eher berücksichtigen als einen reinen Vorwurf.

Erst das Positive

Wie realistisch es in einer Auseinandersetzung wirklich ist und inwieweit es mit Ehrlichkeit und Unverstelltheit zusammenpasst, ist zwar fraglich, doch laut Sean Grover gehöre zu einem von Mitgefühl geprägten Streit, dass wir Kritik oder Vorwürfe mit einer positiven, bestätigenden Aussage einleiten. Als Beispiel nennt der Therapeut so etwas wie: "Ich gehe so gerne mit dir essen, aber es verdirbt mir die Laune, wenn ich eine halbe Stunde auf dich warten muss." Wenn uns das – trotz verdorbener Laune – gelingt, wird sich die andere Person direkt weniger wie unser Gegner fühlen und eher daran interessiert sein, eine Lösung zu finden und uns entgegenzukommen, weil die Bestätigung wie ein Anreiz auf sie wirkt.

Fazit

Wie bei den meisten Darstellungen vermeintlich optimaler Kommunikationsformen à la "Ich-Botschaften" und "niemals unter die Gürtellinie" erscheint es geradezu utopisch, dass irgendein Mensch stets mitfühlend, respektvoll, gefasst und ehrlich bleiben kann – gerade in einem Streit. Es gehört offenbar zum Menschsein dazu, dass wir manchmal ausrasten und Dinge tun und sagen, die wir hinterher bereuen. Allerdings können wir uns selbst zumindest ein Stück weit erziehen und uns Verhaltensmuster angewöhnen, von denen wir denken, dass sie vorteilhaft und gesund für uns sind – und uns der Person näher bringen, die wir sein möchten. Wenn wir uns vornehmen, in einer bestimmten Weise auf konkrete Situationen zu reagieren, kann uns das gelingen, und je öfter es uns gelingt und gelungen ist, umso leichter wird es mit der Zeit. Das heißt nicht, dass wir es immer schaffen oder schaffen müssten. Doch sollten wir wirklich mitfühlender und erfolgreicher streiten wollen, schadet es vermutlich nicht, uns an Idealformen wie den hier vorgestellten zu orientieren.

sus Brigitte

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