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Floating Duck Syndrome Die Wahrheit über Menschen, denen alles leicht zu fallen scheint

Psychologie: Eine Frau auf einem Fahrrad
© Diego Cervo / Adobe Stock
Manche Menschen schaffen alles – und es scheint sie nicht einmal Mühe zu kosten. Wie machen diese Menschen das nur? Ganz einfach: wie gleitende Enten.

Schon einmal eine Ente auf dem Wasser gleiten sehen? Ein wahrlich wundervoller Anblick. Scheinbar wie von selbst zieht sie ihre Bahnen, treibt grazil durch schaukelnde Wellen, trotzt unbeeindruckt Wind und Strömung. So leicht und mühelos sieht es aus, dass sicher manch ein Mensch, der dieses Schauspiel vom Ufer aus beobachtet, sich wünscht, er wäre selbst eine gleitende Ente auf dem Wasser. 

Was uns auf unserem Sonntagsspaziergang um den Ententeich jedoch verborgen bleibt: Unter der Wasseroberfläche paddeln die Vögel die ganze Zeit mit ihren Füßen. Jeder Meter, den sie zurücklegen, erfordert die Arbeit ihrer Muskeln, jeder Widerstand, jede Welle kostet sie extra Kraft und Anstrengung, ihr Gleichgewicht zu halten. Darüber hinaus müssen Enten darauf achten, dass ihr Gefieder stets gut eingefettet ist, damit kein Wasser durchdringen kann – denn das könnte die Vögel zum Untergehen bringen. Mit dem Schnabel reiben Enten ihr Gefieder immer wieder mit einem öligen Sekret aus ihrer Bürzeldrüse ein, einer Drüse an der Oberseite ihres Schwanzansatzes. Mitunter bringen sie damit an einem Tag mehrere Stunden zu.

So mag uns das Gleiten einer Ente beneidenswert leicht und mühelos erscheinen, doch in Wahrheit leistet die Ente dafür permanente Strampelarbeit und Federpflege. Und das Gleiche gilt für Menschen, von denen wir glauben, sie glitten mühelos durch ihr Leben. 

Was Menschen mit gleitenden Enten gemeinsam haben

Wissenschaftler:innen der amerikanischen Universität Stanford haben den Begriff "Floating Duck Syndrome" geprägt, um den Stress zu bezeichnen, den es für viele Menschen bedeutet, in all ihren Lebensbereichen einwandfrei bis exzellent zu funktionieren und dabei stets frisch, ausgeruht und gut gelaunt zu wirken. Ob die berufstätige Mutter, die davon erzählt, wie wertvoll für sie die Abwechslung durch den Job ist und als was für ein Geschenk sie ihr Baby empfindet – aber verschweigt, dass sie sich morgens wie ein Stein fühlt, wenn der Wecker klingelt, und sich nichts sehnlicher wünscht, als einmal einen Tag für sich zu haben. Oder die erfolgreiche Selbstständige, die es natürlich liebt, ihre eigene Chefin zu sein und sich zu verwirklichen – während niemand von ihr hört, dass sie sieben Tage die Woche arbeitet und vor drei Jahren zum letzten Mal Urlaub gemacht hat. 

Ist jemand erfolgreich und jongliert mit unfassbar vielen Aufgaben, staunen die meisten Menschen, sind vielleicht neidisch oder applaudieren voller Bewunderung. Erfahren sie jedoch, dass damit ein Kampf verbunden ist, der oft sehr nahe am Rande der Verzweiflung ausgetragen wird, senken viele bedrückt den Blick und verschränken unbehaglich die Arme. Aus diesem Grund schweigen wir tendenziell über unsere Mühen, verbergen sie wie strampelnde Entenfüße unter der Wasseroberfläche. Doch was ist der Preis für dieses Schauspiel? Was kostet die Fassade der Leichtigkeit für die Illusion des vollkommenen Erfolgs? Um es vorwegzunehmen: Es könnte mehr sein, als wir bislang vermuten.

Konsequenzen des "Floating Duck Syndromes"

In einem Artikel zweier Forschenden der University of Pennsylvania ("The floating duck syndrome: biased social learning leads to effort-reward imbalances") legen die beiden dar, inwiefern das "Floating Duck Syndrome" dazu verleiten könne, unverhältnismäßig viel Lebenszeit und -energie in Bereiche und Tätigkeiten zu investieren, aus denen wir wenig von dem beziehen, was wir für ein glückliches und gesundes Leben brauchen – zum Beispiel Liebe, Sinngefühl, menschliche Nähe. Dadurch, dass sich Menschen in unserer Gesellschaft gegenseitig vorspielen, es wäre leicht, im Job erfolgreich zu sein und nebenbei Angehörige und Kinder zu versorgen, erwarten alle von sich, dass sie stets liefern und leisten, und geben dafür mehr, als sie eigentlich könnten und wollten. Dafür verzichten sie wiederum auf Hobbys, Freundschaften, Entspannung. In einem Satz: Das "Floating Duck Syndrome" erhöht Erfolgs- und Leistungsdruck und vermittelt eine Fehleinschätzung und -wahrnehmung des Einsatzes, der dafür zu erbringen ist.

Außerdem kann das "Floating Duck Syndrome" Angst vor dem Scheitern und Versagensgefühle steigern: Wenn mir nicht einmal mit Mühe gelingt, was anderen – in meiner Wahrnehmung – leicht fällt, was für eine absolute Niete muss ich dann sein? Was für eine bedauernswerte, schwimmunfähige Ente?

Wie wiederum der Psychologe Mark Travers in einem "Forbes"-Artikel ausführt, fördere das "Floating Duck Syndrome" eine Gesellschaftskultur der Isolation, des sich allein Durchschlagens und ja nicht um Hilfe Bittens: Weil wir nicht wie unfähige Verlierer dastehen möchten, tragen wir unsere Kämpfe heimlich und nur mit uns selbst aus, anstatt uns anderen anzuvertrauen und Unterstützung zu suchen. Dabei basiert bekanntlich der Erfolg der Menschheit genau auf der entgegengesetzten Strategie: Kooperation und Zusammenhalt.

Fazit

Das "Floating Duck Syndrome" hat für unsere Gesellschaft und ihre Individuen gewiss nicht nur Nachteile. Wie Enten sind wir als Menschen an viele Herausforderungen unserer Umgebung angepasst und so ausgestattet, dass es leicht und elegant aussehen kann, wie wir darin leben. Doch im Unterschied zu Enten passen wir als Menschen unsere Umgebung in hohem Maße an unsere Fähigkeiten, Grenzen und Bedürfnisse an. Wir erlassen Gesetze, einigen uns auf Mindestlöhne, zahlen Steuern für Kindergeld und Sozialleistungen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ehrlich miteinander sind und uns darüber austauschen, welche Anforderungen unsere Fähigkeiten und Grenzen übersteigen.

Dabei gilt es, besonders einem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zu schenken: Der Tatsache, dass einige Enten in unserem Teich aufgrund lange gewachsener Strukturen beträchtlich viel mehr oder weniger paddeln müssen als andere. Weiße Männer belagern ruhigere, gemütlichere Gewässer als weiße Frauen. Schwarze Menschen müssen ständig gegen heftige Strudel und Verwirbelungen anschwimmen. Sprechen wir über unsere Strampeleien, gestehen wir uns und anderen zu, damit offener umzugehen, können wir gemeinsam Wege finden, den Teich für alle einladender und friedlicher zu gestalten. Wir müssen unsere paddelnden Entenfüße ja nicht gleich jedem spazierengehenden Wesen am Ufer vor die Nase halten. Aber vor den anderen Enten in unserem Teich brauchen wir sie nicht zu verstecken. 

sus Brigitte

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