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Tiefe Dankbarkeit Was es mit mir machte, das Schwangerschaftstagebuch meiner Mutter zu lesen

Schwangere schreibt Tagebuch
© Prostock-studio / Adobe Stock
Als unsere Autorin das Schwangerschaftstagebuch ihrer Mutter las, hatte sie gemischte Gefühle. Schnell stand fest: Die Mutter-Tochter-Beziehung wird sich fortan verändern.

Zum 18. Geburtstag bekam ich ein ganz besonderes Geschenk: das Schwangerschaftstagebuch meiner Mama. Genau genommen waren es sogar zwei Bücher, so viel gab es wohl zu berichten. Mit Freude, aber auch etwas Ehrfurcht begann ich zu lesen … 

Sofort sah ich meine Mama in der Frauenarzt-Praxis stehen, in die auch ich heute gehe

Schon nach den ersten Seiten war ich zutiefst gerührt. Es beginnt mit der Beschreibung der ersten zwei Frauenarzttermine – sofort sah ich meine Mama in der Praxis stehen, in die auch ich heute gehe. Es war, als würde sie sich mit ihrer (und meiner) Frauenärztin unterhalten, und ich bin mit in diesem Raum, stehe ganz am Rand. Als hätte ich eine Zeitreise gemacht. Eine wunderschöne, aufregende, gefühlvolle Reise, aber auch eine voller Fragen.

Zum Beispiel: Wer war meine Mama vor mir? Wie sehr hat die Schwangerschaft – mit mir – sie verändert? Wie habe ich mich im Bauch gemacht? War ich ein einfaches oder schwieriges Baby? Gibt es Eigenschaften und Interessen, die ich heute habe, die vielleicht schon damals durchkamen? Manches wollte ich schon immer wissen, einiges fragte ich mich zum ersten Mal. 

Immer wieder kamen alte Bilder meiner Mutter von früher in mir auf. Fotos waren auch etwas, was ich mir in den Tagebüchern noch gewünscht hätte. Zum Beispiel von der Hochzeit, die ich im Bauch miterlebte, wie ich las und nie zuvor davon wusste. Ich möchte, schon seit ich denken kann, ständig auf Hochzeiten gehen – das könnte die Erklärung sein. 

Ich fühlte mich, als würde ich die Gefühlsflut meiner Mama noch einmal durchmachen

Meine Mama und ich haben jeden einzelnen Tag neun Monate und noch darüber hinaus zusammen verbracht – das ist total logisch, doch irgendwie habe ich es erst so richtig realisiert, als ich diese Tagebücher las. Wir erlebten schöne und schwere Momente zusammen. Ich erfuhr im Detail, was ich alles in der Schwangerschaft anstellte, wie stark die Übelkeit war, wie es zum Notkaiserschnitt kam. Viele Seiten handelten von Verzweiflung, Trauer und Sorgen, aber mindestens genauso viele von (Vor-)Freude – alle freuten sich wie verrückt auf mich, die die Familie komplett machen sollte – und vor allem von ganz viel Liebe. Ich fühlte mich, als würde ich die Gefühlsflut meiner Mama noch einmal durchmachen, empfand unterschiedlichste Emotionen: Dankbarkeit, Verständnis, Mitgefühl, Freude und so viel mehr.

Hätten mich die Tagebücher nicht so gefesselt, wäre ich am liebsten nach jeder Seite aufgestanden und hätte meine Mama umarmt. Mich bei ihr bedankt. Wir hatten immer eine enge Verbindung, aber hiernach fühlte sie sich nochmal tiefer und bedeutsamer an. Und das blieb sie auch seitdem. Es war ein Geschenk diese Bücher lesen zu dürfen, das ich nie vergessen werde – und das wohl auch nie übertroffen werden kann.

Brigitte

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