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"Alles gut!" Warum uns emotionaler Perfektionismus schadet

Emotionaler Perfektionismus
© lassedesignen / Adobe Stock
Es ist ziemlich angesagt, gut drauf zu sein und an die "Kraft des positiven Denkens" zu glauben. Doch ist das auch hilfreich? Nein, sagt die Forschung, wir tun uns keinen Gefallen damit.

Good vibes only, alles gut, keep smiling, don't worry, be happy"? Wer das Positive in allem sucht und negative Gefühle ausblendet, ist ein "emotionaler Perfektionist". Während wir uns unter einem Perfektionisten normalerweise jemanden vorstellen, der einen sehr hohen Anspruch an die eigenen Leistungen hat, legen emotionale Perfektionisten eine ähnlich hohe Messlatte an, wenn es um ihre Gefühle geht. Sie erwarten von sich, grundsätzlich optimistisch und gut drauf zu sein. Neid, Hass, Wut, Traurigkeit, Ängstlichkeit, Hoffnungslosigkeit? Lieber nicht, schnell weg damit!

Der Preis des "emotionalen Perfektionismus'"

Doch was vielleicht erstmal irgendwie vernünftig klingt (warum sich auch mit unangenehmen Gefühlen herumschlagen?), kann gravierende Folgen haben. Denn ganz normale menschliche Emotionen zu unterdrücken und zu verleugnen, ist auf Dauer schädlich, für unsere Psyche und für unsere Beziehungen. Die britische Psychologin und Neurowissenschaftlerin Annie Hickox, die den Begriff "emotionaler Perfektionismus" geprägt hat, schreibt auf ihrer Website:

"Auch wenn das Unterdrücken unserer Gefühle in bestimmten Situationen hilfreich sein kann, hindert es uns daran, im Leben voranzukommen und kann sogar zu Niedergeschlagenheit führen. Wenn wir solche unrealistischen Standards nicht erfüllen, verspüren wir ein Gefühl des Versagens und der Wertlosigkeit.

Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Patient:innen ist Hickox auch der Überzeugung, dass emotionaler Perfektionismus eine Ursache für Ängste sein kann. Außerdem könne er uns daran hindern, tragfähige Beziehungen zu führen. Bei einem Paar zum Beispiel, bei dem eine Person düsterer und pessimistischer ist und die andere Person sie ständig aufmuntert, könne das zu toxischer Positivität führen, weil eine Person das Gefühl bekommt, nicht gehört zu werden. Die zugrunde liegende Botschaft lautet: "So solltest du nicht denken." Und wer das Gefühl hat, seine Emotionen nicht zeigen zu dürfen, fühlt sich auf Dauer, als würde er ersticken.

Dabei gebe es keine guten und schlechten Gefühle, genauso wie es kein gutes und schlechtes Essen gebe, betont Hickox. Es gibt nur die Bewertung oder Wahrnehmung: Das da ist schlechtes Essen, das da sind schlechte Gefühle.

Das Gegengift heißt "emotionale Toleranz"

Doch was können wir gegen emotionalen Perfektionismus tun? Die Lösung besteht laut Hickox darin, "emotionale Toleranz" einzuüben, beziehungsweise die Fähigkeit, mit allen Emotionen umzugehen, auch mit den "schlechten". Das Ziel ist, die aufkommenden Gefühle zu akzeptieren und etwa zu sagen: "Ich bin wütend. Das ist der wütende Teil von mir und das ist okay. Ich weiß, dass ich auch eine weiche und zarte Seite habe, und die kommt ein anderes Mal zum Ausdruck." Offenheit für alle Gefühle zu entwickeln, kann besonders für Frauen, die gelernt haben, dass ihre Bedürfnisse wenig zählen, ein Meilenstein auf dem Weg zur Heilung sein.

So entwickelst du mehr emotionale Toleranz

1) Achtsam sein

Laut Hickox ist Achtsamkeit der Weg, um emotionale Toleranz zu entwickeln. Wenn man ein ungeliebtes Gefühl wie Neid oder Wut in sich spürt, sollte man es nicht wegschieben, sondern innehalten, es zulassen und darüber nachdenken: „Was sagt mir das Gefühl - und wie ist die Geschichte dahinter?

2) Kontrolle abgeben

Perfektionist:innen sind Control Freaks, sie wollen alles unter Kontrolle haben. Sich klarzumachen, dass das ohnehin nicht geht und nichts garantiert ist, kann perfektionistische Tendenzen reduzieren.

3) Negative Emotionen begrüßen

Negative Emotionen haben eine wichtige Funktion. Sie sind Signale des Gehirns und des Körpers, dass etwas nicht stimmt. Es ist gut, diese ernst zu nehmen und zu verstehen, was sie uns sagen wollen.

Verwendete Quellen: Washington Post, dranniehickox.co.uk

sar Brigitte

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