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Psychologie Warum authentische Menschen dieses Wort nur äußerst selten gebrauchen

Psychologie: Eine authentische Frau am Meer
© Kay A/peopleimages.com / Adobe Stock
Die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen miteinander in Einklang zu bringen, ist mitunter gar nicht einfach. Dieses Wort beziehungsweise dieser Gedanke kann es uns zusätzlich erschweren.

Wenn wir von authentischen Menschen reden, meinen wir damit in der Regel Personen, die weitestgehend im Einklang mit ihren Gefühlen und Überzeugungen leben. Die zum Beispiel bewusst entscheiden, gewissen gesellschaftlichen Trends zu folgen, anderen aber nicht. Die sich Druck von außen widersetzen, wenn er sie in eine Richtung drängt, die sich für sie falsch anfühlt. Die Traditionen und Werte nicht aus Prinzip übernehmen, sondern weil sie sie aufrichtig teilen können.

Meistens bringt eine solche Authentizität Resilienz und emotionale Stabilität mit sich, da sie mit einem gesunden und achtsamen Umgang mit den eigenen Gefühlen, der eigenen Identität und Psyche einhergehen muss. Authentisch zu leben, erfordert eine Auseinandersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und Besonderheiten sowie mit dem Verhältnis zur Gesellschaft und den Mitmenschen. Allein das lässt schon erahnen: Authentisch zu leben, ist gar nicht so einfach und selbstverständlich. Wer hat schon die Zeit und Gelegenheit, alle paar Jahre mit sich selbst in einen Austausch zu gehen und das eigene Selbstbild zu aktualisieren, zu korrigieren oder überhaupt erst einmal zu erstellen?

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der uns daran hindern oder uns erschweren kann, authentisch zu leben und den die US-amerikanische Therapeutin Andrea Mathews in einem Blog-Eintrag in "Psychology Today" diskutiert, lässt sich auf ein in vielen Köpfen häufig gedachtes Wort herunterbrechen: Sollte, und zwar in diesem Fall in der ersten Person Singular ("ich sollte").

Wer ständig denkt "ich sollte", orientiert sich vorwiegend an Schuldgefühlen

"Ich sollte dankbarer sein", "ich sollte weniger Zucker essen", "ich sollte mehr Output liefern", "ich sollte mehr von der Welt sehen", "ich sollte mich mehr um meine Mutter kümmern". Gedanken wie diese sind vielen Menschen vertraut, einige begleiten sie nahezu jede Stunde des Tages, ein Leben oder zumindest jahrelang. Geknüpft sind solche Gedanken üblicherweise an Schuldgefühle, die lästig bis schwer belastend sein können und Handlungs- und Entscheidungsfreiheit entsprechend einschränken. Und ihre Ursache sind Vorstellungen von einem idealen Selbst, die wir offenbar nicht erfüllen können – und die womöglich gar nicht unsere eigenen sind und nicht zu uns passen.

Als Mitglieder einer Gesellschaft sehen wir uns grundsätzlich mit Ideen und Inspirationen konfrontiert, wie ein Leben aussehen, wie ein Mensch sein kann. Dank der Entwicklung von Internet und Co. werden diese Ideen mehr und mehr und ebenso bunter und vielfältiger, doch das macht es nicht unbedingt leichter, sie als bloße Ideen und Varianten zu sehen, anstatt als Zielvorgaben. Dinge wie ein mehrheitlicher Konsens, was gut, erfolgreich und erstrebenswert ist, oder Reize wie finanzieller Reichtum oder Macht können einige Ideen von Lebensmodellen zudem absolut richtig erscheinen lassen und uns umso mehr auf ihre Bahn ziehen. Zu einem authentischen Leben steht es allerdings im Widerspruch, fremden Vorstellungen zu folgen – wenn sie uns in Wahrheit nicht überzeugen. Davon abgesehen, stellt sich bei permanenten "ich sollte"-Gedanken doch mindestens die Frage: Wenn ich wirklich sollte, würde ich es dann nicht tun, wenn ich könnte?

Was wir können, ist genug

Zugegeben: Das Leben kann nicht immer nur darin bestehen, dass wir auf unsere Bedürfnisse eingehen und stets das tun, wonach uns gerade ist. Dass wir Teil einer Gesellschaft sind, gibt und ermöglicht uns sehr viel, und wenn wir das in Anspruch nehmen möchten, stehen wir im Gegenzug in der Pflicht und Verantwortung zu erfüllen, was nötig ist, damit das Ganze funktioniert – uns an die Regeln und Gesetze halten, zum Beispiel, oder den kategorischen Imperativ befolgen. Was wir jedoch nicht müssen, ist, mit Schuldgefühlen zu leben, weil wir nicht mehr tun oder sind, als wir tun oder sein können. Weil wir nicht wie andere Menschen sind, nicht alle Ideale erfüllen oder glauben, dass wir "sollten", obwohl wir es in Wahrheit nicht mit Überzeugung wollen können. Um authentisch zu sein, müssen wir spüren und davon überzeugt sein können, dass wir genug sind. Und wenn es eines gibt, was wir vielleicht wirklich alle anstreben könnten, dann ist es, uns gegenseitig zu diesem Grundgefühl zu verhelfen.

Verwendete Quelle: psychologytoday.com

sus Brigitte

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