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Irgendwo falsch abgebogen? 4 Fragen, die bei einer Sinnkrise helfen können

Psychologie: Eine Frau am Meer
© ESB Professional / Shutterstock
Dein Leben entspricht nicht deinem Wunsch oder deiner Vorstellung? Du hast das Gefühl, dass irgendetwas fehlt oder falsch ist? Vielleicht helfen dir diese Fragen dabei, deinen Lebenssinn zu überdenken.

Hätte ich doch Medizin studieren sollen wie mein Vater? Ich hätte womöglich seine Praxis übernehmen, in der Kleinstadt leben und genug Geld verdienen können, um frühzeitig in den Ruhestand zu gehen und diesen in einem Häuschen am Meer zu verbringen. Oder hätte ich eine akademische Karriere anstreben sollen? Schließlich habe ich mein Studium unendlich geliebt und genossen. Als Sprachwissenschaftlerin hätte ich vielleicht durch die Welt reisen und bedrohte Minderheitensprachen dokumentieren können. Das wäre mal sinnvoll gewesen. 

Aus irgendwelchen Gründen habe ich mich aber gegen alle anderen Optionen entschieden und das Leben gewählt, das ich nun führe. Ein Durchschnittsleben, in dem ich jeden Tag am Schreibtisch sitze und mich mit banalen Kleinigkeiten wie lauten Renovierungsarbeiten im Treppenhaus und unpassend gelegenen Warmwasserableseterminen beschäftige. Toll. Und um hierher zu kommen, bin ich nicht einmal den einfachsten Weg gegangen. Im Gegenteil, streckenweise war er richtig schwer und steinig. 

Die meiste Zeit beschäftigt mich das gar nicht und alles ist okay. Nur manchmal holen mich meine nicht gelebten Möglichkeiten ein, bringen mich ins Wanken und lassen meine Wirklichkeit falsch, langweilig und leer erscheinen. Das ist alles andere als schön. Doch offenbar bin ich damit gar nicht ganz allein.

"In der westlichen Welt sind viele von uns mit einem Goldstandard für das Leben aufgewachsen", schreibt die Therapeutin Amanda Dodson in "Psychology Today". "Streng dich an, und du bekommst alles, was du willst. Wenn wir unser echtes Leben dann an diesem Ziel messen, weckt das in den meisten von uns das Gefühl, wir hätten versagt – oder schlimmer, das Leben hätte uns betrogen. Irgendwie ist dieses goldene Leben, das du hättest führen sollen, durchzogen von Störungen und Durchschnittlichkeit und lässt dich mit einem Gefühl der Leere zurück." Befinde ich mich in einer meiner Wankelphasen, fühle ich mich von diesen Worten geradezu persönlich angesprochen. Und ich weiß von einigen meiner Freund:innen, dass es ihnen manchmal ähnlich geht. 

Was aber können wir in solchen Phasen tun? Sind es vielleicht Signale, die uns sagen wollen, wir sollten unser Leben über den Haufen werfen und neu starten? Oder ruft dieses Gefühl der Leere dazu auf, unseren "Goldstandard an das Leben" zu überdenken? Amanda Dodson schlägt in ihrem Beitrag vier Fragen vor, die uns in einer derartigen Sinnkrise helfen können.

4 Fragen, die helfen können, wenn das Leben sich falsch und sinnlos anfühlt

1. Hast du alles, was du zum Leben brauchst?

Wenn wir das Gefühl haben, dass uns im Leben etwas fehlt, kann es uns laut der Therapeutin helfen und uns entlasten, den Blick auf die Bereiche zu lenken, in denen wir genug oder sogar viel haben.

Habe ich zu essen und zu trinken? Ein Dach über dem Kopf und ausreichend Kleidung? Bin ich gesund und fühle ich mich sicher?

Dass unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind, mögen wir manchmal als selbstverständlich empfinden, doch das ist es nicht. Und es ist nicht nur reines Glück. Sicher haben wir in einem Land wie Deutschland viel, viel bessere Voraussetzungen als Menschen in anderen Teilen der Welt. Aber auch uns könnte unser Leben derart entgleiten, dass wir nicht einmal unsere Grundbedürfnisse versorgen könnten. Wenn das bisher noch nicht geschehen ist, können wir nicht alles falsch gemacht haben.

"Du hast es geschafft, deine kleine Lebensflamme jeden Tag am Brennen zu halten, indem du isst, schläfst und auf deine Gesundheit acht gibst", schreibt Amanda Dodson. "Das heißt nicht, dein persönliches aktuelles Leid wäre bedeutungslos. Es heißt lediglich, dass zu all deinen Schwierigkeiten und Problemen, in der Lage zu sein zu leben, nicht auch noch dazu kommt." Und das ist schon einmal etwas.

2. Für wen hast du eine Bedeutung?

Gerade im Angesicht der großen Krisen, die wir zurzeit mehr oder weniger direkt miterleben (Artensterben, Luftverschmutzung, Pandemie, Krieg), können wir uns in einem Leben mit einem nicht gerade weltverändernden Durchschnittsjob sehr klein und unbedeutend fühlen. Die Therapeutin rät vor diesem Hintergrund, einmal die Außenperspektive einzunehmen und uns zu fragen, für wen wir eine Rolle spielen und eine Bedeutung haben.

Wir mögen dabei zunächst an Menschen denken, die uns nahe stehen und uns lieben. Doch solche Menschen überhaupt zu haben, ist etwas sehr Besonderes und spricht an sich schon dafür, dass wir ein erfülltes und reiches Leben führen. Wenn wir bei dieser Frage (nur) unsere Liebsten einbeziehen, setzen wir schon wieder den "Goldstandard" an, um unser Leben zu betrachten. Daher empfiehlt Amanda Dodson, den Kreis zu erweitern und uns all die Menschen vor Augen zu führen, denen auffallen würde, wenn wir plötzlich nicht mehr da wären: Kolleg:innen, Nachbar:innen, Mitarbeiter:innen in dem Supermarkt, in dem wir regelmäßig einkaufen. Vielleicht haben wir das Leben einer anderen Person positiv beeinflusst, indem wir sie nur angelächelt oder ihr die Vorfahrt gelassen haben.

Wir retten vielleicht keine Arten vor dem Aussterben, stiften keinen Frieden in der Ukraine, doch wir prägen zumindest einen winzig kleinen Teil dieser Welt, indem wir anderen Menschen begegnen und eine Spur in ihrem Leben hinterlassen. Das ist schon einmal nicht nichts.

3. Für wen hast du Opfer gebracht?

Manche Chancen oder Träume lassen wir ziehen, um für andere Menschen da zu sein. Zum Beispiel stellen wir den Traum vom Auswandern zurück, um uns um unsere Eltern zu kümmern. Oder die Karriere, die wir zugunsten unserer Partnerschaft oder Kinder nicht in dem Maße vorantreiben, wie wir es alleine täten. So etwas kann uns dazu veranlassen zu hadern und das ist okay, wir dürfen damit hadern. Zugleich sei es laut Amanda Dodson jedoch wichtig, uns dabei daran zu erinnern, dass wir bei unseren Entscheidungen an andere Menschen gedacht haben. Wir haben aus Liebe und Fürsorge gehandelt. 

Wir mögen Chancen verpasst haben, doch dabei haben wir zumindest eine sehr schöne und edle Seite unserer Persönlichkeit ausgelebt. Das heißt nicht, dass wir bei unseren Entscheidungen immer nur an andere und niemals an uns selbst denken sollten. Es heißt lediglich, dass wir einige möglicherweise rückblickend nicht mehr ganz ideale Entscheidungen aus Liebe und Mitgefühl getroffen haben. Und das ist zumindest nicht in jeder Hinsicht falsch.

4. Welche Faktoren lagen außerhalb deiner Kontrolle?

In der Theorie haben wir jede Menge Möglichkeiten, unser Leben nach unseren persönlichen Vorstellungen zu gestalten. Doch in der Praxis ist es – selbst in unserer Luxusüberflussgesellschaft – gar nicht so einfach. 

Limitierte finanzielle Mittel, die uns einschränken, Krankheiten, die uns ausbremsen, Verluste, die zu bewältigen sind, Pandemien, die unsere Pläne durchkreuzen, oder nur zwei linke Füße, die unseren Traum von der Tanzkarriere unrealisierbar machen. Das Leben kommt in seiner Standardausfertigung nun einmal mit Grenzen, Mauern, Schlammlöchern und jeder Menge Stolpersteinen. Gelegentlich zwingt es uns dazu, klobige Gummistiefel anzuziehen, in denen ständig unsere Strümpfe herunterrutschen und wir uns eigentlich nicht wohlfühlen. Es kann nicht immer Flip-Flop-Wetter sein. Und wir können nicht permanent glücklich sein und alles richtig machen. Wir geben unser Bestes. Wenn dabei ein Durchschnittsleben herauskommt, das uns manchmal langweilig erscheint, kann das trotzdem bedeutungsvoll sein. Immerhin ist es unser Durchschnittsleben. Damit ist es besonders. Und das ist genug. 

Und um noch einen persönlichen Lesetipp loszuwerden, der bei Sinn- und Lebenskrisen überaus gut tun kann: Matt Haig – "The Midnight Library". Mir hat dieses Buch auf jeden Fall geholfen.

Verwendete Quelle: psychologytoday.com

Brigitte

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