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"Er glaubte an mich." Das hat mir nach dem Tod meines Vaters am meisten geholfen

Was mir in meiner Trauer geholfen hat: Ein in den Sand an einem Strand geschriebenes Goodbye
© peter verreussel / Shutterstock
Einen geliebten Menschen für immer zu verlieren, ist die mit Abstand schwerste Erfahrung, die wir im Leben machen müssen. Unsere Autorin erzählt, was ihr in ihrer Trauer am meisten hilft.

Meine Eltern zu verlieren, bevor ich erwachsen und stark genug bin, um damit klarzukommen, war immer meine größte Angst. Alle anderen Ängste, z. B. alleine in den dunklen Keller zu gehen oder ein Auto auf 120 km/h zu beschleunigen, haben sich mit der Zeit und Erfahrung gelegt. Nur diese eine Angst verfolgte mich, seit ich denken kann, über all meine Lebensphasen hinweg. Leider wurde diese Angst am 29. Januar 2017 Realität. Ich war an diesem Tag zwar schon knapp 30, aber längst noch nicht erwachsen oder stark genug, um mit dem Tod meines Vaters klarzukommen. Und dummerweise war ausgerechnet bei dieser Angst die Wirklichkeit deutlich schlimmer als meine Vorstellung ... 

Gott war keine Hilfe

Ehrlich gesagt habe ich mich damals tatsächlich darüber geärgert, dass ich nicht einfach an Gott und den Himmel glauben kann. Der Gedanke, dass mein Papa mit unserer weißen Schäferhündin auf einer Wolke chillt und ihr ab und zu ein paar Bälle zuwirft, hätte definitiv etwas Aufbauendes gehabt. Immerhin hatte ich mein gefährliches Halbwissen über den Energieerhaltungssatz, der ja angeblich besagt, dass Energie in unserem Universum niemals verloren geht, sondern immer nur umgewandelt wird. So konnte ich mir zumindest einbilden, dass ein Teil der Energie meines Vaters nach seinem Tod auf mich übergegangen ist. 

Papa hat immer Recht

Natürlich gab mir aber nicht eine wissenschaftlich haltlose und völlig unqualifizierte Einbildung die Kraft, weiterzumachen – die gab mir mein Vater! Er war ein wirklich toller, liebenswerter, liebevoller, verantwortungsbewusster und sehr kluger Mensch, den ich immer bewundert habe. In einem unserer letzten Gespräche (was ich damals nicht wusste, mein Vater starb für mich sehr überraschend!) sagte er zu mir, dass er an mich glaubt, stolz auf mich ist und davon überzeugt, dass ich meinen Weg gehe. Den genauen Wortlaut weiß ich nicht mehr, aber die Message war klar. Und die hat mich tief beeindruckt, weil ich meinen Vater nie als jemanden erlebt habe, der solche Dinge leichtfertig dahinsagt.

Dazu muss ich klarstellen, dass es in jener Zeit absolut nicht danach aussah, als bekäme ich mein Leben in naher Zukunft auf die Reihe: Ich hatte einen Job, der mich zutiefst unglücklich machte, finanzielle Probleme und wie man sich vorstellen kann, war ich daher psychisch in einer ziemlich schlechten Verfassung. Doch mein Vater war trotzdem stolz auf mich – und Papa hatte einfach immer Recht!

Was mir in meiner Trauer hilft: Ein attraktiver Mann hält sein niedliches Baby
© Susanne Schumann / Privat

Mein Vater bereichert mein Leben – bis heute

Nachdem mein Vater gestorben war, regnete es in Norddeutschland ein paar Wochen durch (kein Witz, checkt die Wetteraufzeichnungen!) und danach ging es in meinem Leben nur noch bergauf: Ich wechselte aus meiner beruflichen Hölle in meinen absoluten Traumjob, bekam (trotz eines überschaubaren Gehalts) meinen Umgang mit Geld unter Kontrolle (bei mir hieß das Zauberwort schlicht und ergreifend "Prioritäten setzen") und mein Selbstvertrauen stieg locker auf ein solides Level, bei dem man wieder richtig Lust aufs Leben kriegt.

Vielleicht sind ja die frühen Dreißiger als Lebensphase dafür prädestiniert, dass solche Dinge passieren. Mein Vater hat mir auch mal erzählt, dass er als junger Mann unsicher war und erst ab 30 wirklich selbstbewusst wurde. Aber in meinem Fall spielte hundertprozentig noch etwas anderes eine ganz große Rolle: Mein Vater hatte mich überzeugt! Er glaubte an mich und hatte dafür mit Sicherheit gute Gründe. Also fing ich auch an, an mich zu glauben. Und das war für mich offenbar die entscheidende Maßnahme, um meinen Weg zu finden, der mich glücklich macht.

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Mehr als eine Message

Ich weiß, die meisten Menschen haben ganz andere Väter, Verhältnisse und Probleme als ich. Doch was mir konkret geholfen hat, den Tod meines Vaters zu bewältigen, war gar nicht so sehr seine Message und mein Selbstbewusstseins-Schub – das hat mir "nur" geholfen, mein Leben zu bewältigen. Trost fand ich vor allem in der Erkenntnis, dass mein Vater mein Leben bis heute so stark prägt und beeinflusst, obwohl er gar nicht mehr direkt unter uns ist. Wenn ich Angst habe und vor einer Herausforderung stehe, sage ich mir, Papa glaubt an mich, und spüre neuen Mut. Fühle ich mich gestresst und überfordert, erinnere ich mich daran, dass Papa stolz auf mich ist (und es sogar schon war, als er viel weniger Gründe dazu hatte als heute), und sehe ein, dass ich nur gestresst bin, weil ich zu viel von mir verlange.

Mein Vater lebt nicht nur in meiner Erinnerung und meinem Herzen weiter, sondern in all meinen Handlungen und Entscheidungen – weil er mir sooo viel mitgegeben hat. Ich glaube, das gilt für die meisten Menschen, die, wenn sie gehen, jemanden zurücklassen, der sie liebt und den sie liebten. Mir hilft diese Tatsache jedenfalls bis heute dabei zu akzeptieren, dass mir mein Papa nicht mehr antworten oder sehen kann, wie gut es mir mittlerweile geht. Sie hilft zwar nicht so richtig gegen das Vermissen, den Schmerz und die Tränen. Aber gegen die Fassungslosigkeit, die Ohnmacht und das Hadern.

Was ich persönlich außerdem sehr heilsam fand:

  • Briefe schreiben: Obwohl ich vor seinem Tod gar nicht täglich mit ihm gesprochen hatte, fehlt mir der Austausch mit meinem Vater seitdem furchtbar! Es macht mich unfassbar traurig, dass er so vieles nicht mitbekommt. Deshalb schreibe ich ihm regelmäßig Briefe, in denen ich ihn über alles Mögliche update – an seinem Geburtstag, seinem Todestag, Vatertag oder einfach so, wenn mir danach ist. Ich quatsche ihn einfach voll, wie ich es früher auch manchmal getan habe. Für mich fühlt sich das jedes Mal gut an.
  • Ans Meer fahren: Wir haben meinen Vater bei einer Seebestattung verabschiedet und ich muss wirklich zugeben: Als ich danach das erste Mal wieder am Meer war, habe ich mich ihm irgendwie ganz nahe gefühlt! Für mich war das sehr überraschend, da ich immer dachte, für Übersinnliches nicht so empfänglich zu sein, aber Fehlanzeige – selbst in mir schlummert offenbar ein Fünkchen Spiritualität. Seit dieser Erfahrung steht für mich jedenfalls fest, dass ich mindestens einmal im Jahr ans Meer fahren möchte, um quasi "das Grab" meines Vaters zu besuchen. Schließlich ist so ein Gefühl von Nähe fast ein bisschen wie richtige Nähe ...

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