Es mag uns nicht immer bewusst sein, doch unser Selbstbild spielt eine große Rolle für unser Leben. Welche Stärken und Fähigkeiten wir uns selbst zuschreiben, wird zum Beispiel einen Einfluss darauf haben, was wir uns zutrauen, welchen Aufgaben und Herausforderungen wir uns stellen, was wir uns für Ziele und Grenzen setzen. Zu wissen, ob wir Menschen sind, die gerne planen und sich von Spontanität und Improvisation eher gestresst fühlen – oder umgekehrt –, ist wichtig und hilfreich, um zu entscheiden, mit welchen anderen Personen wir unsere Zeit verbringen, oder um Konflikte in unseren Beziehungen zu verstehen.
Kurzum: Wie wir uns selbst sehen, prägt unsere Entscheidungen und unser Handeln und wie wir unsere Erfahrungen einordnen und verarbeiten. Von daher ist es von Vorteil, ein realistisches und einigermaßen klares Selbstbild zu haben. Doch wer kann das schon mit voller Überzeugung von sich behaupten? Schließlich sind wir im Alltag meist mit anderen Dingen beschäftigt als mit Selbstbetrachtung und -reflexion, sodass unser Selbstbild im Laufe unseres Lebens leicht verschwimmen oder veralten kann. Der US-amerikanische Psychologe Gary Lewandowski hat deshalb gemeinsam mit seinem Kollegen Brent Mattingly nach dem Vorbild der 36 Liebesfragen von Arthur Aron ein Set aus 36 Fragen entwickelt, das unser Selbstbild schärfen soll. Das Set besteht aus sechs Abschnitten mit jeweils sechs Fragen – der Psychologe empfiehlt, dass wir uns nur einen Abschnitt pro Tag vornehmen, damit wir jeder Frage beziehungsweise Antwort die Zeit widmen, die ihr gebührt.
36 Fragen, um dein Selbstbild zu schärfen
Abschnitt 1: Deine Essentials – Wer bist du heute?
In diesem Teil geht es darum, dich mit deinem Selbst und deinem Charakter auseinanderzusetzen – so wie du es beziehungsweise ihn heute wahrnimmst. Laut Gary Lewandowski sollte es dir relativ leicht fallen, diese Fragen zu beantworten, doch wenn du bei der einen oder anderen Schwierigkeiten hast, kann das eine interessante Erkenntnis für dich sein.
Abschnitt 1: Deine Essentials
Welche fünf Adjektive oder Eigenschaften beschreiben dich am besten?
Welche fünf Rollen erfüllst du im Alltag? (Zum Beispiel Elternteil, Freund:in, Ärzt:in ...)
Über welche fünf Fähigkeiten oder Stärken verfügst du?
Welche fünf Dinge, die du besitzt, verraten etwas darüber, wer du bist? (Zum Beispiel Pflanzen, Lieblingsklamotten, bestimmte Bücher ...)
Welche fünf Erfahrungen haben dich besonders geprägt?
Welche fünf Eigenschaften würden dir deine engsten Freund:innen und Familienmitglieder zuschreiben?
Abschnitt 2: Dein authentisches Ich – Was weißt du mit Sicherheit über dich selbst?
Dieser Abschnitt dient dazu herauszufinden, wie sicher du dir deiner Eigenschaften bist, von denen du glaubst, dass sie dich ausmachen. Siehst du eine Diskrepanz zwischen deinen Antworten auf diese Fragen und denen in Abschnitt 1? Oder stimmen dein gefühltes und dein gedachtes Selbstbild weitestgehend überein?
Abschnitt 2: Dein authentisches Ich
Wenn du über dich selbst nachdenkst, welche Aspekte deiner Persönlichkeit sind für dich am klarsten und eindeutigsten?
Inwiefern stimmt das "Ich", das du anderen Menschen zeigst, damit überein, wer du wirklich bist?
Denk an drei Beispiele für Situationen, in denen du dir selbst treu geblieben bist und dich sozialen Erwartungen und Druck von außen widersetzt hast. Wie kann dir das auch in Zukunft gelingen?
Was sind drei deiner wichtigsten persönlichen Werte? Und wie kannst du künftig davon profitieren, wenn du an ihnen festhältst?
Welche Aspekte deiner Persönlichkeit bleiben konstant, und zwar unabhängig von der Situation?
Wenn du dir die Listen anschaust, die du im ersten Abschnitt erstellt hast: Stehen irgendwelche Elemente davon im Widerspruch dazu, wer du zu sein glaubst? Falls ja, wie könntest du diesen Widerspruch auflösen?
Abschnitt 3: Dein Selbstwert – Wie gut weißt du, wofür du stehst?
Zu einem vollständigen Selbstbild gehört, dass wir nicht nur die schlechten, sondern auch die guten Seiten an uns sehen. Bist du dazu in der Lage? Das wird sich in diesem Abschnitt herausstellen.
Abschnitt 3: Dein Selbstwert
Was sind deine drei besten Eigenschaften?
Wenn du dich mit anderen Menschen vergleichst, worin bist du besonders gut?
In welcher Hinsicht gefällt dir dein Leben besser als das Leben, das andere Menschen führen, die du kennst?
Auf welche drei deiner Eigenschaften oder Erfolge bist du besonders stolz?
Was sind die drei größten Erfolge deines bisherigen Lebens? Was ist dein nächstes Ziel?
Womit haderst du und hast Schwierigkeiten? Kennst du Menschen, die ähnliche Probleme haben?
Abschnitt 4: Deine Vergangenheit – Erinnerst du dich, wer du einmal warst?
Auf unserem Lebensweg bleibt mitunter einiges auf der Strecke – manchmal auch essenzielle Teile unseres Selbst. Die Fragen in diesem Abschnitt sollen dir dabei helfen wiederzufinden, was du möglicherweise von dir verloren hast.
Abschnitt 4: Deine Vergangenheit
Welche drei Dinge tust du gerne, findest aber wenig Gelegenheit, sie zu tun? Welche Schritte wären nötig und sinnvoll, um öfter dazu zu kommen?
Welche Teile deiner Persönlichkeit kannst du in deinem Alltag nicht ausleben? Was könntest du tun, um ihnen mehr Raum zu verschaffen?
Wo und auf welche Art hast du die Bedürfnisse anderer Menschen über deine eigenen gestellt? Wie könntest du eine bessere Balance zwischen deinen Wünschen und den von anderen finden?
Wie kannst du nächstes Wochenende Zeit finden, um wenigstens einem Hobby nachzugehen, zu dem du lange nicht gekommen bist?
Wenn du daran zurückdenkst, was für ein Mensch du sein wolltest, als du deinen Schulabschluss gemacht hast – welche positiven Eigenschaften hattest du damals, die du heute nicht mehr an dir siehst? Wie könntest du sie wiederbeleben?
Wenn du dir alte Fotos oder Tagebücher von dir anschaust: Inwiefern könnte es dir helfen, zu der Person zurückzufinden, die du einmal warst?
Abschnitt 5: Dein Berufsleben – Wie kannst du möglichst viel aus deinem Job für dich ziehen?
Die meisten Menschen verbringen sehr viel Lebenszeit mit dem Job, für den sie sich entschieden haben oder in den sie eben hineingeraten sind. Was tust du oder könntest du dafür tun, dass all diese Zeit nicht verloren beziehungsweise verscherbelt ist, sondern dass du sie zu deiner Zeit machst, die dich weiterbringt und dich bereichert? Das herauszufinden, dabei soll dieser Abschnitt des Fragesets helfen.
Abschnitt 5: Dein Berufsleben
Inwiefern fördert dein Job deine persönliche Weiterentwicklung? Was kannst du dafür tun, dass das in Zukunft so bleibt?
Welche neuen und interessanten Dinge lernst du in deinem Job? Inwiefern konntest du davon schon profitieren?
Welche neuen Verantwortungen hast du in deinem Job übernommen und schätzt du? Inwiefern haben sie dich weitergebracht?
Wie könntest du den unangenehmen, langweiligen und nervigen Teil deines Jobs interessanter und reizvoller gestalten?
Welche neuen Fähigkeiten hast du in den vergangenen fünf Jahren durch deinen Job erworben? Wie haben sie dir geholfen?
Wenn du an die kommenden fünf Jahre denkst, in welchen Bereichen möchtest du dich weiterentwickeln?
Abschnitt 6: Deine Zukunft – Wie kannst du dich bestmöglich entfalten?
Fast genauso wichtig wie die Frage, wer wir sind, ist die Frage, wer wir sein wollen. Und zwar sowohl für unsere Gegenwart als auch für unsere Zukunft. Deshalb widmet sich dieser letzte Abschnitt genau diesem Thema.
Abschnitt 6: Deine Zukunft
Welche drei neuen und interessanten Aktivitäten könntest du ausprobieren? Mit welcher davon könntest du nächste Woche beginnen?
Was sind drei Themen oder Dinge, über die du gerne mehr wissen möchtest? Überleg dir, wie du dir zumindest eines dieser Themen aneignen kannst.
Nimm dir für diesen Monat drei Dinge vor, die du an dir zum Positiven verändern möchtest. Welche Schritte können dir dabei helfen?
Welche drei Orte möchtest du in Zukunft besuchen? Und warum?
Inwiefern hast du dich in den vergangenen fünf Jahren als Mensch weiterentwickelt? Was haben diese Veränderungen zu deinen Essentials (siehe Abschnitt 1) beigetragen?
In welcher Hinsicht könntest du dich in den nächsten fünf Jahren weiterentwickeln? Was kann dir dabei helfen, deine Potenziale auszuschöpfen?
Zugegeben, all diese Fragen gründlich zu beantworten, ist nicht gerade einfach. Es kostet Zeit, Energie und kann unter Umständen schmerzhaft sein. Andererseits kann es sich lohnen, denn ein klares Selbstbild und -verständnis zu haben, hilft uns dabei, uns zu orientieren und Entscheidungen zu treffen, die wir am Ende unseres Lebens nicht bereuen. Schließlich haben wir mit unserem Leben diese einmalige, großartige Chance bekommen, wir selbst zu sein beziehungsweise zu werden. Sie nicht zumindest zu versuchen zu nutzen, wäre doch schade.
Verwendete Quellen: psychologytoday.com