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Emotionsforschung Warum Neid für unser Leben wichtig ist

Neid: Eine nachdenkliche Frau
© Josu Ozkaritz / Adobe Stock
Neid ist schon ein besonders hässliches Gefühl, dachte BRIGITTE WOMAN-Autorin Katja Nele Bode lange. Bis sie verstand, dass es nicht nur menschlich ist, andere zu beneiden, sondern lebenswichtig

Ich könnte hier in hübscher Reklame für mich selbst schreiben: Neid ist nicht mein Ding. Aber damit mache ich mir vermutlich etwas vor. Denn als vor ein paar Monaten der unsägliche Begriff "Impfneid" aufpoppte, wurde ich wütend: Warum bekommt eine Sehnsucht danach, wieder freier und unbeschwerter leben zu dürfen, sofort ein fieses Etikett aufgeklebt? Es ging ja nicht darum, sich illegal eine Dosis Biontech erschleichen zu wollen, sondern darum, erst mal das Gefühl in sich zuzulassen: Na klar, das will ich auch! Obwohl ich noch nicht an der Reihe bin. Und das soll eine der sieben Todsünden sein?

Auch Impfneid ist okay

Ich rufe bei Katja Corcoran in Graz an, Professorin der Sozialpsychologie und eine äußerst gut gelaunte Neidforscherin. Sie beruhigt mich sofort: "Natürlich darf es Impfneid geben. Das ist ein vollkommen menschlicher Zug. Und in keiner Weise nur negativ." Weil sich nämlich durch diesen vehement geäußerten Wunsch höchstwahrscheinlich viele andere verstärkt zum Impfen motivieren ließen.

Es gehört zur Arbeit der Psychologin, salopp gesagt, Pluspunkte an den Neid, diese gesellschaftlich so verpönte Regung, zu verteilen. Ich bin skeptisch: Bis auf die begehrte Spritze, angefüllt mit 2,8 Millimeter Messenger-RNA, empfand ich das Auf-etwas-neidisch-Sein bis dato als sehr uncool. Mies und ungroßzügig. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn Neid hat zwei Seiten. Es gibt den verpönten, schlechten Neid, der tatsächlich hochproblematisch ist. Weil er destruktiv ist und in schwere seelische Schieflage führt. Aber dieser düstere Geselle hat einen spannenden, unternehmungslustigen Bruder, den wir kaum kennen. Was schade ist. Weil er das Talent hat, etwas in uns anzutreiben, uns zu Höherem zu inspirieren, ja, uns in einen ziemlich kreativen Sprint zu bringen.

Das Problem ist: Neid ist als Emotion gesellschaftlich so geächtet, dass kaum jemand von seinen hellen Zauberkräften weiß. Von der Grazer Psychologin erfahre ich, dass ich – wie die meisten von uns – diese anstrengende Gefühlsregung komplett falsch eingeordnet habe: als verzichtbares Übel, ohne dass die Gesellschaft zu hundert Prozent friedlicher dastehen würde. Falsch! Weil wir soziale Wesen sind, müssen wir uns sogar an anderen orientieren: Indem wir uns vergleichen, verorten wir uns. "Das gibt uns Orientierung und Struktur. Der soziale Abgleich und die Gefühle, die er auslöst, haben eine wichtige Funktion. Das sagt mir: Wo stehe ich, wohin möchte ich noch? Beneide ich andere, weil sie ein Stück weiter sind als ich, kann mich das anspornen." Die Idee, dass wir eine schönere Welt hätten, wenn es keinen Neid gäbe, verwirft Corcoran als unwissenschaftliche Schönfärberei: "Wir können uns nicht nicht vergleichen. Selbst in egalitären Gesellschaften bilden sich Unterschiede, Statusdifferenzen. Der Mensch will ja was und nicht einfach nur rumdümpeln."

Neid hat viel mit einem selbst und der Position in der Welt zu tun

Gegenvorschlag der Forscherin für ein faireres Miteinander: Wir müssten uns viel offener unseren Neidgefühlen stellen. Okay, aber warum sollte es netter zugehen, wenn ich über mein Begehr im Bilde bin? Fängt dann nicht erst recht das Hauen und Stechen an? Weil ich vielleicht insgeheim ziemlich neidisch darauf bin, dass andere klügere Texte schreiben, engagiertere Kinder haben oder, ganz schlicht, über das größere Budget verfügen? Nee, sagt meine Interviewpartnerin: Das sei der übliche Kurzschluss. Nach dem Motto: Hab ich nicht, komm ich nie hin, gönne ich den anderen nicht. Der erzeuge nur Bad Vibrations in alle Richtungen, führe in eine Sackgasse. Denken wir nur an Kain und Abel! Die bessere Lösung: Wenn ich selbstkritisch bei mir anklopfe und frage, was mich da so triezt, kann ich realisieren: Neid hat sehr viel mit mir selbst und meiner Position in der Welt zu tun. Die nur ich verändern kann.

Das Problem ist leider: Neidgefühle werden ganz schnell unterdrückt, man schämt sich dafür. Doch Emotionen, auch ungeliebte, sind immer ein lebenswichtiges Indiz. Die US-Psychoanalytikerin Lori Gottlieb formuliert es so: "Gefühle fordern etwas von uns. Und es ist ein großer Fehler, sie zum Schweigen zu bringen. Auch ein so hässliches Gefühl wie Neid hat seinen Sinn. Ich sage immer: Folge deinem Neid. Statt zu behaupten, Neid sei einem völlig fremd, wäre es besser, zu erforschen, wie er einen zu seinen tieferen Sehnsüchten führt." Das zu hören haut mich um. Plötzlich bin ich neugierig und versuche, in die ungemütlicheren Niederungen meiner Neidgelüste hinabzusteigen. Oh ja, es gäbe immer ein paar sauteure, wunderschöne Klamotten, um die ich andere Frauen, die sich solche leisten können, heiß beneide. Zu platt? Oder: Ich wäre gern eloquenter, schlagfertiger. Manchmal packt mich kleinmütiger Zorn, wenn andere ihre geschliffenen Pointen schmissig raushauen. Wie soll ich dieses Klassenziel erreichen? Oder: Ich hätte gern eine kleine Wohnung in Berlin oder Wien, weil ich im Moment süchtig bin nach Großstadt-Flirren. Kann sie mir aber leider nicht backen.

Rolf Haubl, Professor für Soziologie in Frankfurt und Autor des erhellenden Klassikers "Neidisch sind immer nur die anderen" (C. H. Beck Verlag), fordert freundlich, erst mal gelassen zu bleiben, wenn man feststellt, dass ein anderer etwas besitzt, was man selbst begehrt. Ohne diese eher stoische Haltung sei es uns nicht möglich, "Neid als Signal zu nutzen, das uns etwas über uns selbst verrät". Wenn wir immer sofort "kleinste Anzeichen eines Neidgefühls unterdrücken", klauen wir uns "Vitalität und Kreativität" Haubl schwärmt von "zündenden Funken", die dieses Stiefkind der Gefühle schlagen kann.

Sich dem Neid zu stellen erfordert Mut

Ich denke an das irre Prada-Kleid, das ich so gern hätte. Stelle mir mich flanierend in Charlottenburg vor. Träume weiter: dort einen Salon eröffnen, für gute Gespräche, lässige Gastgebereien. Äußerst illuminierend. Aber sind meine geheimen Wünsche nicht total überzogen? Vermutlich liegt die Kunst darin, herauszufinden, ob ich zum großen Run fähig bin oder besser auf machbare Kurzstrecke setze. Ich kann doch weiter zwecks Flairs durch Flagshipstores tigern, elegante Teile aber secondhand (und klimafreundlicher) ergattern. Kann es mir vielleicht leisten, mich drei Wochen im Jahr in einer Weltstadt einzumieten (dafür muss ich mich nicht mit kaputten Boilern und Gentrifizierungsneid rumschlagen). Kann einen Mini-Salon in meiner Heimatstadt wagen und meinen Wortwitz an ausgewählten, sympathischen Gästen üben. "Letztlich geht es darum, diese kleine oder größere Trauer, die Neid verursacht, zuzulassen und sie dann umzuwandeln, indem ich den Fokus auf meine Ressourcen lenke", rät Neidforscherin Corcoran. "Habe ich die Ausdauer, das Ziel meines Neides auch zu erreichen?" Sprich: Wenn wir gern die sportlichere Figur, den coolen Posten, den schicken Schrebergarten haben möchten, sollten wir ins Tun kommen: Pläne schmieden, Kraft aufwenden, Hindernisse überwinden – und dann Action! Doch Corcoran weiß auch: "Sich seinem Neid zu stellen erfordert Mut. Da ist ja zuerst ein schmerzhaftes Gefühl, ein Stich, der mir sagt: Du bist noch nicht da, wo du sein möchtest. Sich das anzugucken, muss man sich erst mal trauen."

Neid mag ein Antreiber, ein Katalysator sein, aber eine gute Fee, die für uns den Zauberstab schwingt, ist er nicht. Ihm nachzuspüren ist hoch spannend, aber nicht immer lustig. Ich muss überprüfen: Schaffe ich es überhaupt dorthin? Auch für mich klären: Ist es vielleicht nur ein gesellschaftlich eingeflüstertes Haben-Wollen? Glaube ich, ein Stand-up-Paddle inklusive Seezugang zu brauchen, weil es trendy ist? Oder wollte ich schon immer nach Stunden im Autostau von einem wackeligen Brett regelmäßig ins kalte Wasser klatschen? Ist es eine Schnapsidee, wie die chillige Aussteigerfamilie einmal die Welt zu umrunden, oder brauche ich nur einen letzten Ruck, weil ich das Zeug in mir trage, hart am Wind zu segeln? Muss ich in meinem Leben unbedingt eine leitende Funktion übernommen, ein Instagram-taugliches Sabbatical auf Costa Rica verbracht haben?

Wichtige Überlegung, wenn wir unsere nach nebenan schielenden Gefühle unter die Lupe nehmen: Was müssten wir für einen Preis dafür zahlen, um uns unserem Neidobjekt anzunähern? Nehmen wir an, ich wäre neidisch auf eine Familie, keiner geschieden, viele Kinder, herrlich durchs Leben plätschernde, gut betuchte Boheme, alle wahnsinnig kreativ und gut gestimmt. Da bleibt mir fast nichts anderes übrig, als in ein schwer nölendes Sehnsuchtsgefühl zu kippen, das mich allerdings null weiterbringt: Bestimmte Parameter dieser Konstellation werde ich in meinem Leben nicht mehr erreichen. "Wenn wir uns mit schwer erreichbaren Objekten der Begierde herumschlagen, vergessen wir oft, welche Kosten die anderen Menschen, die wir um ihren Lifestyle beneiden, dafür aufwenden", mildert Katja Corcoran jetzt meine Gelüste ab. Außerdem sei es nie förderlich, sich in dieses ungute Kräftemessen à la Ich-versage-der-andere-brilliert zu begeben. "Das stimmt ja so nie. Wir alle neigen dazu, uns geschönt nach außen zu zeigen. Das ist nicht nur auf Instagram der Fall. Hier muss man Abstriche machen. Hinterfragen, ob das alles so stimmen kann." Die Expertin weiß auch, es macht das Leben leichter, nicht zu sehr nach dem Kontrast zu suchen: "Das ist nur niederschmetternd. Da gebe ich meine Selbstwirksamkeit auf. Denke nur: Da komme ich nie hin! Und lasse mich davon zerfressen." Viel heilsamer sei es, sich an Zielen zu orientieren, die innerhalb des eigenen Radius liegen. Sich mit Menschen zu messen, die einem ähnlich sind. Jetzt denke ich daran, wie ich mit meiner Freundin Christine über unsere Kinder sprach und ich sie plötzlich sehr um ihre unbekümmerte, gleichzeitig sehr zugewandte Art der Erziehung bewunderte. Kurz spürte ich einen Stich und dachte: Bin ich nicht viel ernster, angstvoller, auch biestiger zu meinen Söhnen? Dann holte ich tief Luft und merkte: Ich werde einiges von Christines Schalk und Punk portionsweise in mein Muttersein einbauen. Inspiration geglückt!

Neidgefühle verlangen Verzicht.

Brillante Vierzeiler im Stundentakt auf Twitter, siebenmal die Woche Sex, Meisterin im Kopfstand, Bitcoin-Millionärin, Diven-Aura, Poly-Glück: Sollte uns alles keine schlaflosen Nächte bereiten, wenn andere das scheinbar locker aus dem Ärmel schütteln. Denn falls (!) es der Wahrheit entspricht, haben sie verdammt hart dafür gearbeitet. Und wir können entspannt klären, ob wir in diesen Talenten selbst noch ein gutes Quäntchen zulegen wollen. Oder nicht. Sich seinem Neid zu stellen heißt tröstlicherweise auch, von Dingen Abschied zu nehmen. Rolf Haubl sagt dazu: "Neidgefühle verlangen Verzicht." Man müsse wissen, "wann es nicht nur immer besser, sondern auch gut ist". Chronisch neidische Menschen wüssten nicht, wann es gut ist. "Sie finden diesen Punkt nicht und können deshalb ihr Leben nicht genießen." So jemand will ich auf keinen Fall sein!

Neid, wohldosiert bis großzügig wie eine exotische Würze über meine Ziele und Wünsche gestreut, kann mich dazu anstiften, mein Leben zu verändern. Wenn ich es schaffe, meine Superduper-Fantasien mit dem, was wirklich in mir steckt, in Einklang zu bringen. Ich kann mich reinhängen, nach Alternativen suchen, meine Stärken testen. Ich denke, aus mir wird keine Starköchin, keine Bestsellerautorin, keine Gelassenheits-Queen mehr, aber ich weiß, was ich in den nächsten Wochen mit Verve tun werde: coole Streetfood-Rezepte nachkochen, endlich mit der Buch-Idee anfangen, die schon lange in meinem Kopf ist, und zwischendurch nicht vergessen zu atmen.

Dieser Text stammt aus der BRIGITTE WOMAN.

BRIGITTE WOMAN 9/ 2021 Brigitte

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