Anzeige

Mutig sein: Unglück entsteht aus fehlenden Entscheidungen

Mutig sein. Mädchen mit Rucksack am Bahnhof
© Rawpixel.com / Shutterstock
Unglück und Unzufriedenheit entstehen meistens nicht aus Fehlentscheidungen, sondern aus fehlenden Entscheidungen. Wir sollten uns also trauen – in zweierlei Hinsicht, sagt Bestsellerautorin Melanie Wolfers.

Bin ich der Pilot oder die Pilotin meines Lebens? Oder bin ich Passagierin, gebe also das Steuerruder aus der Hand und andere geben Richtung und Tempo vor? Sich diese Frage gelegentlich zu stellen, halte ich für mutig. Und für wichtig. Denn nichts hinterlässt einen schaleren Nachgeschmack als der Eindruck: Ich bleibe Zuschauerin im eigenen Leben und lasse es auf diese Weise an mir vorüberziehen. Und umgekehrt will jeder Mensch zufrieden bejahen können, was er aus sich und seinem Leben macht.

Traue ich mich? Und traue ich mir?

Um dorthin zu gelangen, gilt es, in den kleinen und großen Entscheidungen das Steuerruder in die Hand zu nehmen. Ob in alltäglichen Begebenheiten oder bei weitreichenden Entscheidungen, unausweichlich steht man vor der Wahl: Fasse ich in dieser konkreten Situation den Mut, zu mir selbst zu stehen? Traue ich mich? Und traue ich mir? Oder gehe ich lieber auf Nummer sicher? Passe mich an? Sich zu entscheiden braucht Mut.

Denn egal, ob wir eine Beziehung eingehen oder beenden, in eine fremde Stadt ziehen oder für eine Sache leidenschaftlich kämpfen - in all diesen Situationen lassen wir uns auf ein Geschehen mit offenem Ausgang ein. Wir gehen das Wagnis ein, dass wir möglicherweise falsch liegen oder dass wir enttäuscht werden oder scheitern. Ob sich die Entscheidung bewährt oder als Missgriff entpuppt, lässt sich nämlich nicht sicher prognostizieren. Und ob unser Engagement zum Erfolg führt oder wir eine grandiose Bauchlandung hinlegen, haben wir nicht 100-prozentig im Griff.

Eine Entscheidung bringt oft Besserung

Jede Entscheidung bleibt ein Wagnis! Kein Wunder, dass viele es vorziehen, sich gar nicht erst zu entscheiden. Lieber belassen sie alles beim Alten, als dass sie Neues wagen - selbst dann, wenn sie sich mies fühlen. Etwa jene Frau, die schon lange unter den Seitensprüngen ihres Mannes leidet, aber nicht wagt, Klartext zu reden und Konsequenzen zu ziehen.

Das gewohnte Leben zu gefährden schürt Angst. Denn wer weiß, was dann passiert ... Dann doch besser im gewohnten Unglück ausharren als aufbrechen und Neuland betreten. Das macht zwar nicht glücklich, gibt aber Sicherheit, denn man weiß, woran man ist. Und Sicherheit wird vom Gehirn mit Dopamin, einem Glückshormon, belohnt. Aber das Gefühl der Sicherheit trügt. Denn sowohl das Handeln als auch das Nicht-Handeln bergen Risiken in sich. Auch wenn wir alles beim Alten belassen, geht das Leben weiter - aber gewissermaßen ohne uns: Wir sitzen nämlich nur noch auf dem Beifahrersitz.

Der schlechteste Weg, den man wählen kann, ist der, keinen zu wählen. Denn das Gefühl der Sicherheit trügt

Der schlechteste Weg, den man wählen kann, ist der, keinen zu wählen. Unglück entsteht oft weniger aus Fehlentscheidungen als aus fehlenden Entscheidungen. Denn wenn wir nicht entscheiden, dann entscheiden andere oder anderes über uns: der Lauf der Zeit, Umstände oder der Mainstream. Ehrlich gesagt: Es überrascht mich, wie viele ihr Leben führen, als hätten sie danach noch eins und noch eins und noch eins ...

Aber Leben lässt sich nicht aufschieben! Entweder ich ergreife es hier und jetzt – oder lasse es an mir vorübergleiten. Entweder ich verschlafe es – oder bin wach dabei. Aufwecken kann eine tiefe, unter die Haut gehende Einsicht in die Begrenztheit: in die Endlichkeit der eigenen Kraft und Lebenszeit. In die Beschränktheit der Mitmenschen, der natürlichen Ressour­cen und der Machbarkeit von Dingen. Natürlich, der Tod ist ein Totschlag­argument. Aber er ist trotzdem ein Argument. Denn er wird kommen, und dann wäre es gut, sagen zu können: Ich habe mein Leben gelebt! Und es nicht nur hingenommen.

Hör auf deine Intuition!

Um das Leben hier und jetzt beim Schopf zu ergreifen, hilft es, ab und zu vom vorgestell­ten eigenen Ende her auf das Jetzt zu schauen. Wer wirklich spürt: "Ich habe nur dieses Leben", entdeckt dessen Kostbarkeit oft mit einer ganz neuen Klarheit. Die Einmaligkeit der Beziehungen und die Bedeutsamkeit des eigenen Tuns treten heller zutage. Und dies kann dazu animieren, intensiver zu leben und beherzter zu entscheiden. Doch wie erkenne ich, was richtig ist? Ob eine Entscheidung stimmig ist oder nicht, können weder der Ver­stand noch der "Bauch" allein sagen. Vielmehr tragen verschiedene Kräfte zu einer guten Entscheidung bei: Denken und Fühlen, Wünschen und Wollen, Intuition und nicht zuletzt auch der Körper.

Aber genau an diesem Punkt hakt es: Viele Menschen haben kein Gespür für ihren Körper. Dabei signali­siert dieser manchmal wie ein Seismo­graf, ob eine Entscheidung passt oder nicht. Etwa, wenn sich etwas verkrampft und hart wird, oder wenn es sich weich und fließend anfühlt. Ebenso findet die Intuition viel zu selten Gehör. Denn in unserem Bedürf­nis nach Sicherheit suchen wir nach klaren Anzeichen für richtig und falsch. Doch was in einer konkreten Situation angemessen oder passend ist, das lässt sich nicht aus allgemeinen Regeln ver­standesmäßig ableiten, sondern nur im Augenblick intuitiv erfassen.

Da bereut eine Person bitter eine Entscheidung - etwa dass sie sich auf eine Freund­schaft mit jemandem eingelassen hat - und muss sich rückblickend eingeste­hen: "Eigentlich hatte ich damals schon intuitiv gewusst, dass ich mich auf die­sen Menschen nicht so offen und ver­trauensvoll einlassen soll. Aber ich habe meinen Zweifeln keine Bedeutung bei­ gemessen und meinem Unbehagen nicht geglaubt. Und nun stehe ich vor einem Scherbenhaufen."

Man braucht Mut, sich für die innere Unruhe Zeit zu nehmen

Solche Erfahrungen bestätigen, was zahlreiche Studien zeigen: Die Intuition ist nicht so spontan wie man meint. Vielmehr schöpft sie aus einem großen Erfahrungsschatz, verarbeitet blitz­ schnell eine Fülle an Informationen und spielt einem diese Erkenntnisse zu. Wann immer wir gegen unser Herz entscheiden, wann immer wir gegen unsere Werte handeln oder auch: Wann immer wir uns kopfüber in eine wich­tige Entscheidung stürzen anstatt die Dinge sorgfältig zu durchdenken - unsere Intuition merkt es. Und schlägt Alarm.

Aber sie tut dies nicht mit einem lauten Sirenengeheul, sondern mit einem leisen Zweifel, einem Zögern, einer Unruhe. In der Fülle des Alltags gehen diese Warnungen leicht unter. Doch wenn wir den Mut haben, uns dafür Zeit zu nehmen, werden wir die innere Stimme in größerer Klarheit vernehmen. Die Stille ist der Ort, an dem sich das Herz traut zu sagen, was einem der Verstand viel­leicht schon seit Langem auszureden versucht. Natürlich, der Verstand ist wichtig - aber wie der französische Essayist Joseph Joubert einst schrieb:

"Der Verstand kann uns sagen, was wir unterlassen sollen. Das Herz kann uns sagen, was wir tun müssen."

Das Schöne ist: Jedes Mal, wenn wir unserem Gespür in den kleinen Belan­gen Gehör schenken, bringen wir uns selbst Vertrauen entgegen. Im doppelten Sinn des Wortes trauen wir uns. Auf diese Weise kann ein allzu großes Sicherheitsbedürfnis langsam abflachen. Mit wachsender Leichtigkeit werden wir Klarheit und Gewissheit in uns selbst finden. Werden wir das Steuerruder in die Hand nehmen und den Kurs ein­schlagen hin zu einem stimmigen, beziehungsreichen Leben.

Melanie Wolfers, 47, ist Seelsorgerin, Speakerin, Ordensfrau und Bestsellerautorin. Ihr aktuelles Buch heißt: "Trau dich, es ist dein Leben. Die Kunst, mutig zu sein" (17 Euro, 224 S., bene! Verlag). Mehr Infos unter: www.melaniewolfers.de

BRIGITTE 06/2019

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel